Justizministerkonferenz zu Missbrauch: Das Verbrechen im Klassenchat

Die Länder fordern mehr Flexibilität bei Strafen für Missbrauchsdarstellungen. Nach aktueller Gesetzeslage werden Opfer teils als Verbrecher behandelt.

Ausschnitt: Eine Person mit Smartphone.

Korrekturbedürftig: Das Opfer, das der Polizei Beweismittel übergibt, macht sich strafbar Foto: Addictive Stock/imago

BERLIN taz | Wenn Eltern andere Eltern vor Missbrauchsdarstellungen warnen und dabei strafbare Fotos verbreiten, sollen sie nicht mehr als Ver­bre­che­r:in­nen eingestuft werden. Die Justizministerkonferenz der Länder fordert mehr Flexibilität bei der Bestrafung sogenannter Kinderpornografie. Nach einer massiven Verschärfung vor einem Jahr sehen die Länder schon jetzt „Korrekturbedarf“.

Im Frühjahr 2021 hatte der Bundestag den Strafrahmen für Besitz und Verbreitung solcher Missbrauchsdarstellungen stark angehoben. Die Mindeststrafe liegt jetzt bei einem Jahr. Damit gilt das Delikt nun als Verbrechen. Folge: Eine Einstellung gegen Geldauflage ist ebenso nicht mehr möglich wie ein Strafbefehl. Der Fall muss vor Gericht öffentlich verhandelt werden.

Tatsächlich sind über 40 Prozent der Fälle jedoch sogenannte Schulhoffälle. Kinder und Jugendliche schicken sich Bilder, die sie irgendwie lustig oder krass finden und machen sich dabei strafbar. Dies können Hardcore-Missbrauchsdarstellungen sein oder Fotos von posierenden 12-Jährigen in Unterwäsche; auch letzteres ist als sogenannte Kinderpornografie strafbar. Oft verschicken Jugendliche im Übermut Fotos vom eigenen Penis oder den eigenen Schamlippen, manchmal geschieht dies auch im Rahmen von Freundschaften oder (böswillig) nach deren Ende.

Die Einstufung als Verbrechen ist bei Kindern und Jugendlichen nicht so relevant. Wer jünger ist als 14 Jahre, ist ohnehin noch nicht strafmündig. Und bei Jugendlichen gibt es im Jugendstrafrecht viele Möglichkeiten, Verfahren einzustellen und erzieherisch einzuwirken, etwa indem ein Aufsatz geschrieben werden muss.

Lambrecht ignorierte Warnungen

Durch die massenhaften Schulhoffälle kommen aber auch viele Erwachsene mit Missbrauchsdarstellungen in Berührung, die eigentlich gar nichts damit zu tun haben wollen. Etwa die Mutter, die Fotos, die sie im Klassenchat gefunden hat, an andere Eltern weiterleitet, um sie zu sensibilisieren. Sie gilt nun als Verbrecherin. Oder der Lehrer, der Fotos auf dem Handy eines Schülers fand. Wenn er damit nicht sofort zur Polizei geht, sondern erst nach einigen Tagen, muss er wegen Besitzes von Kinderpornografie bestraft werden. Ein Verbrechen.

Sogar das Opfer eines Missbrauchs, das der Polizei als Beweismittel ein Missbrauchsfoto übergibt, welches ihm der Täter einst schickte, machte sich damit wegen Besitzes von Kinderpornografie strafbar – und das Verfahren kann heute nicht mehr eingestellt werden. Ex­per­t:in­nen hatten den Bundestag vor solchen Konsequenzen gewarnt und zumindest die Einführung eines „minder schweren Falles“ gefordert. Doch die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hörte nicht auf die Fachleute.

Eineinhalb Jahre später sind die Berichte aus der Praxis offensichtlich so deutlich, dass nun alle Lan­des­jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen an einem Strang ziehen. Einstimmig stellten sie an diesem Donnerstag bei der Justizministerkonferenz in Berlin fest, dass die generelle Einstufung von Kinderpornografie als Verbrechen „korrekturbedürftig“ ist.

Sie appellierten an den heutigen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), er solle bald einen Gesetzentwurf vorlegen, der entweder die Rückstufung zum Vergehen oder die Einführung eines „minder schweren Falles“ vorsieht.

Auch das Bundesverfassungsgericht könnte intervenieren. Dort liegt ein Normenkontrollantrag des Amtsrichters Robert Grain aus München, der über die Mutter entscheiden muss, die aus Empörung strafbare Fotos an andere Eltern geschickt hat. Er hält die Verschärfung von 2021 für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Wann sich Karlsruhe mit seiner Vorlage befasst, ist noch unklar. Die Rich­te­r:in­nen werden vermutlich erst einmal abwarten, ob die Bundespolitik selbst zur Korrektur fähig ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.