Justiz in Spanien: Richter entmachten Parlament
Konservative Richter des spanischen Verfassungsgerichts blockieren eine Gesetzesreform im Bereich Justiz. Dahinter steckt die größte Oppositionspartei.
Mit der Reform sollen unter anderem die Regeln zur Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichts sowie des Obersten Justizrats (CGPJ) geändert werden – so etwas wie die Regierung der Richter. Nur wer die meisten Stimmen erhält, soll künftig ernannt werden. Bisher war eine Dreifünftelmehrheit im Parlament nötig.
Was zunächst undemokratisch aussieht, ist aus extremer Not geboren. Denn der CGJP hätte – so will es die Verfassung – bereits vor vier Jahren neu besetzt werden müssen; ebenfalls zwei Posten im Verfassungsgericht vor einem halben Jahr. Das dies nicht geschehen ist, liegt an der Blockadehaltung der konservativen Volkspartei (PP). Sie weigert sich strikt, mit der Linksregierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez zu verhandeln und so eine Dreifünftelmehrheit zu sichern.
Die Richter, die so weiterhin im Amt bleiben, sichern eine konservative Mehrheit sowohl im CGJP als auch am Verfassungsgericht. Dort hätten zwei konservative Richter, einer davon der Gerichtsvorsitzende, längst ausgetauscht werden müssen. Sie stimmten jetzt für das Debattenverbot im Senat und sichern sich so – gegen die Verfassung – einen Posten, der ihnen längst nicht mehr gehört. Die Regierungsparteien – die spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) und die linke Unidas Podemos- hatten einen Befangenheitsantrag gegen die beiden gestellt. Die konservative Mehrheit am Gericht lehnte dies vor der endgültigen Abstimmung ab.
„Putsch in Robe statt in Uniform“
Die demokratische Vorgehensweise lautet normalerweise, dass Verfassungsgerichte Gesetze prüft, nachdem sie verabschiedet wurden. Dass ein Verfassungsgericht auf Antrag der Opposition ein Gesetzgebungsverfahren und eine Parlamentsdebatte stoppt, gab es so in Spanien noch nie. In den Radio- und TV-Debatten am Dienstag nach der Entscheidung fiel immer wieder der Satz vom „Putsch in Robe statt in Uniform“.
„Das ist ein schwerwiegender Vorfall. Zum ersten Mal werden die von den Bürgern gewählten, legitimen Vertreter daran gehindert, ihre Funktion der Debatte und Gesetzgebung auszuüben“, erklärte Ministerpräsident Sánchez in einer Ansprache an die Nation. Die Volkspartei wolle mit der Blockade der Erneuerung der Justiz eine Macht beibehalten, die die Urnen 2019 den Konservativen verweigerten. Das Vorgehen des Verfassungsgerichts sei nicht nur „einmalig in Spanien, sondern in Europa“, fügte der Regierungschef hinzu.
Die Sprecherin der Volkspartei im spanischen Parlament, Cuca Gamarra, wirft der Sánchez-Regierung vor, das Verfassungsgericht „in Verruf bringen“ zu wollen. Das sei „extrem gefährlich“ für die Demokratie und Ausdruck „des autoritären und autokratischen Abdriftens“ von Sánchez. Was sie verschweigt: Der Erhalt der konservativen Mehrheit im CGJP ist ihrer rechtskonservativen Partei wichtig. Denn gegen die Volkspartei hängen mehrere schwerwiegende Korruptionsverfahren an, die höchste Partei- und ehemalige Regierungsämter betreffen. Außerdem: Das Verfassungsgericht muss in den kommenden Monaten ein Urteil zum Recht auf Abtreibung treffen.
Wie es jetzt weitergeht, ist völlig offen. Der Präsident des spanischen Senats, der Sozialist Ander Gil, kündigte eine Verfassungsbeschwerde an, da die Rechte der Abgeordneten beider Kammern und damit die der Bürger verletzt worden seien. Das Verfassungsgericht muss somit in den kommenden Tagen über sein eigenes Vorgehen zu Gericht sitzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen