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Justiz in FrankreichGnadenlos bei Angriffen auf die Polizei

Sieben Angeklagte werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Statt um Beweise ging es um Indizien und Verdachtsmomente.

Demonstrationen gegen die Polizei am Mittwoch in Paris Foto: ap

Paris taz | Sieben Angeklagte sind am Mittwoch vom Pariser Strafgericht zu Gefängnisstrafen zwischen zweieinhalb und sieben Jahren verurteilt worden. Sie waren laut Gericht im Mai 2016 maßgeblich an einem Angriff auf ein Polizeifahrzeug beteiligt, das am Quai Valmy attackiert und in Brand gesteckt worden war. Zwei Beamte wurden dabei schwer verletzt.

Nach Ansicht der Pressekommentare war diese Attacke ein Mordversuch, der als solcher bestraft werden müsse. Die Anklage beim Prozess lautete dann aber auf schwere Körperverletzung und Aggression gegen Vertreter der Staatsmacht.

Einer der Angeklagten, Joachim L., gegen den in Abwesenheit verhandelt wurde, erhielt sieben Jahren Haft. Er soll einen Brandsatz ins Auto geworfen haben. Laut Gericht soll er sich heute in der Schweiz aufhalten.

Unter den übrigen Verurteilten befindet sich auch ein Enkel des Schriftstellers Georges Ber­na­nos. Er ist ein bekanntes Mitglied der linksautonomen Szene. Ihn hatte ein anonymer Zeuge belastet. Bei diesem Zeugen „Nummer 142“ handelt es sich um einen Polizisten, der – wie dies die Prozessordnung erlaubt – aussagen konnte, ohne seinen Namen zu nennen.

Indizien und Verdachtsmomente

Auf den vorhandenen Videoaufnahmen sind die Angreifer vermummt. Die Identifikation beruht auf Indizien und Verdachtsmomenten, wie zum Beispiel „ähnliche Kleider“.

Für die Justiz und die Medien in Frankreich stand vor dem Urteil fest: Ein brutaler Angriff auf die Polizei der Republik muss mit größter Strenge bestraft werden. Wenn es um die Autorität der Staatsmacht geht, darf die Justiz nicht lange fackeln.

Da werden andere Prinzipien zweitrangig, namentlich: im Zweifel für den Angeklagten. In diesem Prozess war die Identität der Opfer wichtiger als die zweifelsfreie Identifizierung der Angreifer.

Der politische Charakter der Gerichtsverhandlung war deutlich. Denn dieser Angriff am Rande der Proteste gegen die Arbeitsrechtsreform unter Präsident François Hollande war 2016 ein Auslöser für Protestaktionen der Polizisten. Sie hatten lange ihren Ärger heruntergeschluckt. Wochenlang demonstrierten sie für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung.

In der Polizei wurde daher die Verhandlung mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. In ersten Kommentaren wird das Urteil als ungenügend kritisiert. Das stimmt in gewisser Hinsicht. Falls es sich eindeutig um einen Mordversuch handelte, müsste dieser strenger bestraft werden. Die Richter haben einen Mittelweg gesucht, sich jedoch mit ihrem Urteil dem Verdacht ausgesetzt, im Zweifel für die Polizei Partei ergriffen zu haben.

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3 Kommentare

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  • Die angewendete "Logik" in solchen Prozessen ist nicht nachvollziehbar, könnte aber erklärbar sein:

     

    Für einen Mordversuch gibt's 14 Jahre.

    Wenn an den Vorwürfen nichts dran ist, gibt's einen Freiespruch.

    Wenn Unklarheit besteht, gibt's den Mittelwert - 7 Jahre. Das sind dann 7 Jahre weniger im Sinne "im Zweifelsfall für den Angeklagten".

     

    Übrigens: Solche richterliche "Logik" ist theoretsich auch in Deutschland möglich. Jedoch hapert es an der Beweismöglichkeit, denn kein Richter würde so etwas zugeben, geschweige denn als Urteilsbegründung vortragen.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @wxyz:

      Die Logik ist häufig eine andere: Ist der Richter sich nicht sicher und hilft der Angeklagte nicht, (zB. durch ein Geständnis), gibts oft mehr. Je härter das Urteil ausfällt desto überzeugter muss der Richter sich geben und sein eigenen Unwohlsein mit übertriebener Härte überspielen.

      So kriegte ein ein junger Niederländer, nicht vorbestraft, für seine Teilnahme beim G20-Protest in Hamburg, dessen Urheberschaft für zwei Bierflaschenwürfe nicht sicher ist, mal eben 2 Jahre sieben Monate, ohne Bewährung.

      https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5437063&s=niederl%C3%A4nder+g&SuchRahmen=Print/

       

      In jeder Hinsicht überzogen, egal, dass der junge Mqn nach wie vor in U-Haft schmort.

       

      Das ist freislerische Unlogik furchtbarer Juristen. Und dummerweise gibts die überall.

  • Das Strafmass für eine solche Tat - der Versuch, Menschen anzuzünden - erscheint nicht als unverhältnismäßig. Die beiden Männer, die 2015 einen Brandsatz in eine Asylunterkunft im niedersächsischen Salzhemmendorf warfen, erhielten acht und sieben Jahre.