: Jusos gegen SPD-Verteidigungsminister
Die Jusos lehnen eine Wehrpflicht durch die Hintertür ab, wie es Pistorius plant. Dazu kommen Mindestlohn, Nahost, Aufrüstung. Der SPD-Parteitag könnte hitzig werden

Von Anna Lehmann
Das Wochenende wird heiß für die SPD, nicht nur wettermäßig. Wenn sich die Sozialdemokraten von Freitag bis Sonntag in Berlin zum Bundesparteitag treffen, dürfte es auch in den Debatten hoch hergehen. Mindestlohn, Migration, Aufrüstung, Nahost – diese Themen liegen ohnehin auf dem Tisch und werden von den bislang eher stillen Genoss:innen wohl nun auch öffentlich kontrovers diskutiert.
Pünktlich zum Parteitag haben auch die Jusos Gesprächsbedarf angemeldet: zur Wehrpflicht. Zwar sprechen sich auch die Jungsozialist:innen für eine Stärkung der Bundeswehr aus, aber nicht durch Zwang. Eine Verpflichtung junger Menschen zum Wehrdienst lehnen sie ab, genauso wie einen Automatismus im Gesetz, wie von SPD-Bundesverteidigungsminister, Boris Pistorius geplant. In einem Initiativantrag für den Parteitag, der der taz vorliegt, heißt es: „Im geplanten Wehrdienstgesetz muss daher über Freiwilligkeit statt über Zwang gearbeitet werden.“
Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD darauf geeinigt, „einen neuen attraktiven Wehrdienst“ schaffen, „der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“. SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte seine Pläne am Sonntag in der ARD konkretisiert. Sein Gesetz solle Regelungen enthalten, die dann greifen würden, wenn zu wenige Freiwillige Wehrdienst leisteten.
Das wollen die Jusos verhindern und ihren Antrag den 600 Delegierten zur Abstimmung stellen. Würde der Parteitag mehrheitlich zustimmen, dann wäre das nicht nur eine Schlappe für den SPD-Verteidigungsminister, sondern auch für die Parteispitze. Dass es dazu kommt, ist ungewiss, es hängt wohl auch davon ab, wann der Antrag diskutiert wird. Es ist nicht nur bei den Sozialdemokraten gute Tradition, solche heiklen Tagesordnungspunkte in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden aufzusetzen.
Der Parteitag soll nach dem Willen von Cheforganisator Tim Klüssendorf „ein Wendepunkt nach vorn“ werden. Die SPD, der noch die Bundestagswahl mit einem Ergebnis von 16,4 Prozent in den Knochen steckt, wählt nicht nur die gesamte Parteiführung neu, sondern will sich in den kommenden Jahren auch ein neues Grundsatzprogramm geben.
Klüssendorf zufolge, der als designierter Generalsekretär ebenfalls zur Wahl steht, sagte, es sei das Ziel, die SPD „konsequent zur Partei der Arbeit“ und zur „linken Volkspartei“ zu machen. Dabei dürfe man sich nicht damit begnügen, das Erreichte zu verteidigen.
Gleichzeitig will man aber auch das „historisch schlechte“ Wahlergebnis aufarbeiten und „Kritik nicht nur abhaken, sondern nach Lösungen suchen“. Wie genau die Partei sich die nötigen Debattenräume für Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsperspektiven schaffen will, ist noch unklar.
Denn die zur Wahl stehende Doppelspitze, Bärbel Bas und Lars Klingbeil, sind als Minister:innen an führender Stelle in der schwarz-roten Koalition eingebunden und damit im ständigen Spagat zwischen Koalitionsdisziplin und Parteiprofilierung. Klingbeil ist Finanzminister und Vizekanzler, Bas leitet das für die SPD so wichtige Ministerium für Arbeit und Soziales.
Dieses Spannungsverhältnis dürfte auch auf dem Parteitag sichtbar werden. Nur eine Stunde vor dessen Beginn will die Mindestlohnkommission am Freitagmittag bekannt geben, wie hoch der Stundenlohn sein soll, den Arbeitnehmer:innen künftig mindestens verdienen. Die SPD hatte im Wahlkampf 15 Euro versprochen.
Sollte die Kommission aus Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen zu einer weit niedrigeren Untergrenze kommen, dürfte das Bas und die SPD vor eine politische Zerreißprobe stellen. Und die Haltung vieler Genoss:innen zum Stopp des Familiennachzugs kann man bislang nur als knurrendes Schweigen werten.
Gerade Politiker:innen mit Fluchtgeschichte sind entsetzt, dass die schwarz-rote Regierung Menschen, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Vertreibung gefunden haben, sogenannten subsidiären Schutz, nicht mehr gestatten will, ihre Familien nachzuholen. Doch am Freitagmorgen wollen die Koalitionsparteien genau das beschließen, auf Antrag der Linken sogar in namentlicher Abstimmung.
Über das von prominenten Ex-Funktionären und vielen älteren Mitgliedern unterstützte Manifest der SPD-Friedenskreise, das einen anderen Umgang mit Russland fordert, wird hingegen auf dem Parteitag nicht abgestimmt. Sowohl die Verfasser um Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich als auch die Parteispitze verzichteten auf entsprechende Anträge. Also gilt weiterhin der Beschluss des Parteitags vom Dezember 2023: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“
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