Juso-Vorstand zu Sondierungen in Berlin: „Die Ampel löst Abwehrreflexe aus“

Berlins SPD-Chefin Franziska Giffey müsse ihre Tendenz überdenken, fordert Juso-Landesvorstand Sinem Taşan-Funke mit Blick auf die Sondierungen.

Wollen sich näher kommen: Das Verhandlungsteam von FDP, SPD und Grüne am Montag Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl

taz: Frau Taşan-Funke, Ihre Spitzenkandidatin Franziska Giffey hat klar gemacht, dass sie eine Ampel-Koalition mit Grünen und der FDP will. In der Hälfte der Kreisverbände und auch bei den Jusos gibt es hingegen eine Präferenz für Rot-Grün-Rot. Ist Giffeys Festlegung, noch vor den Sondierungen mit Linken und Grünen, ein Affront gegen die Partei?

Sinem Taşan-Funke: Ich sehe es erstmal nicht als Affront, wenn Menschen unterschiedliche Positionen haben. Zudem hat ja der geschäftsführende Landesvorstand, also auch Franziska Giffey, ganz klar den Beschluss gefasst: Es wird ergebnisoffen sondiert.

Sie glauben, dass Rot-Grün-Rot noch eine Chance hat?

Ja, ich glaube, diese Chance ist realistisch.

Sinem Taşan-Funke, 28, ist seit 2020 Landesvorsitzende der Jusos Berlin. Sie ist eine der InitiatorInnen des Aufrufs „Weitermachen!“ für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis in Berlin.

Giffey müsste klein beigeben – nicht zuletzt auch gegenüber dem kleineren Koalitionspartner in spe, den Grünen – die auch Rot-Grün-Rot wollen.

Also, zunächst mal unabhängig davon, was die Grünen wollen: Der Beschluss aus dem geschäftsführenden Landesvorstand ist, wie gesagt, eindeutig neutral gehalten – beiden Koalitionsoptionen gegenüber. Und dann gibt es, das hat der Zuspruch für unseren Weitermachen!-Aufruf für ein rot-rot-grünes Bündnis gezeigt, ganz offensichtlich eine deutliche Sehnsucht in der SPD, bei dieser Koalition zu bleiben. Wir glauben daher, dass trotz der geäußerten Tendenz von Franziska Giffey nach der nächsten Sondierungsrunde das Pendel noch zugunsten von R2G ausschlagen kann. Das wäre kein Kleinbeigeben, sondern das, wofür Sondierungen da sind.

Eine Entscheidung für Rot-Grün-Rot könnte Giffeys Position schwächen – und damit auch die Position der SPD in einer künftigen Koaltion. Eine Ampel hingegen würde die Spaltung zwischen den Lagern in der SPD befördern. Wie sehr schwächt dieser innerparteiliche Machtkampf die Partei?

Diese Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Wir haben einen sehr geeinten Wahlkampf geführt. Dass man jetzt darum ringt, was der richtige Weg ist in den Sondierungen, das halte ich für völlig normal. Wir sind halt keine Top-Down-Partei wie die CDU. Ich habe aber in Gesprächen in den vergangenen Tagen auch noch niemanden bei uns getroffen, der Rot-Grün-Rot per se ablehnen würde. Die Ampel löst deutlich mehr Abwehrreflexe aus: Warum sollten wir auch ohne Not eine FDP mit ins Boot holen, obwohl wir mit Rot-Grün-Rot eine andere Option haben – mit der nicht nur die inhaltlichen Schnittmengen größer sind, sondern die zudem eine weit deutlichere Mehrheit bei der Wahl bekommen hat.

Eine Ampel-Koalition hätte nur fünf Stimmen Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Das wäre kein ruhiges Regieren gegen eine starke linke Opposition und womöglich auch gegen GegnerInnen aus der Partei.

Am Montag haben SPD, Grüne und FDP für ein Ampel-Bündnis sondiert – die Gespräche dauerten bei Redaktionsschluss noch an. Am Dienstag will sich die SPD mit Grünen und Linken treffen. Dann soll über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entschieden werden.

Vor der SPD-Zentrale im Stadtteil Wedding demonstrierten am Dienstag zudem etwa 100 Vertreter der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ für soziale Mietenpolitik und dafür, das Ergebnis des Volksentscheides nun rasch umzusetzen. Am 26. September hatten in Berlin parallel zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl gut 56 Prozent der Wähler für eine Enteignung von Wohnungskonzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt gestimmt.

Weitermachen! ist ein gemeinsamer Aufruf der Berliner Jugendorganisationen von SPD, Grünen und Linken für eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün. Inzwischen haben auch viele Abgeordnete und MandatsträgerInnen unterzeichnet. (taz/dpa)

Es wäre vor allem nicht sinnvoll, auf der linken Seite eine Flanke aufzumachen. Warum sollte eine linke, sozialdemokratische Volkspartei eine linke Opposition gegen sich im Parlament ermöglichen? Wir sollten stattdessen mit linken Kräften gemeinsam regieren und die Stadt nach vorne bringen. Das wäre die bessere strategische Entscheidung für die Berliner SPD.

Halten Sie es eigentlich für ein realistisches Szenario, dass Giffey auch nochmal mit CDU und FDP eine Deutschland-Koalition sondieren könnte, falls die Grünen bei ihrem „Nein“ zur Ampel bleiben?

Angesichts der breiten Unterstützung für den Weitermachen!-Aufruf, in dem wir die Koalition mit der CDU explizit ablehnen: Nein, ich halte das schlicht für unrealistisch.

Die FDP hat bereits vor der Wahl „rote Linien“ für Koalitionsverhandlungen aufgemalt: Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz soll als „Hemmschuh“ abgeschafft, der Milieuschutz „entschärft“ werden. Der Vergabemindestlohn von 12,50 Euro soll ausgesetzt werden. Das wird kompliziert?

Eine sozialdemokratische Partei kann nie daran beteiligt sein, Mindestlöhne zurückzunehmen. Das ist indiskutabel. Und wenn eine ganze Stadt gerade mehrheitlich für Enteignungen großer Wohnungskonzerne gestimmt hat, dann halte ich es für abwegig, eine Partei zu beteiligen, die Deregulierung auf dem Wohnungsmarkt befürwortet. Zweckentfremdungsverbotsgesetz, Milieuschutz – das sind wichtige mietenpolitische Instrumente. Die Abschaffungsphantasien lassen mich sehr stark daran zweifeln, dass die FDP ein Bündnispartner ist, mit dem man die Herausforderungen dieser Stadt angehen kann.

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