Juso-Chefin zur deutschen Außenpolitik: „Führungsmacht? Nicht mit mir“
Vor dem Juso-Bundeskongress stellt sich die Vorsitzende Rosenthal hinter Kanzler Scholz. Eine militärische Vorreiterrolle Deutschlands lehnt sie ab.
taz: Frau Rosenthal, wie fühlt es sich nach einem Dreivierteljahr an, auf zwei Stühlen zu sitzen?
Jessica Rosenthal: Gut. Ich habe bei den Jusos als Vorsitzende einen starken Verband an meiner Seite. Und in der SPD-Fraktion im Bundestag viele junge engagierte Kolleg*innen.
Aber als Juso-Chefin müssen sie die Regierungspolitik kritisch hinterfragen. Als Abgeordnete sind sie in die Disziplin der Regierungsfraktion eingebunden…
Das widerspricht sich nicht, im Gegenteil, es ergänzt sich. Als Jusos geht es uns darum, die Welt der Freien und Gleichen zu schaffen. Am Spielfeldrand zu kommentieren, was andere für uns entscheiden, ist deshalb nicht unser Ding. Daher geht es natürlich darum, mutig und deutlich zu formulieren, wo uns Antworten der Regierung nicht weit genug oder in die falsche Richtung gehen. Aber es geht auch darum, unsere Ideen umzusetzen.
Als Sie gegen das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr stimmten, bekamen Sie einen Rüffel vom Fraktionsvorsitzenden. Haben Sie da Druck bekommen?
Ich höre von der Spitze der Fraktion und vielen Kolleginnen und Kollegen generell immer wieder, dass sie großes Verständnis für meine Positionen haben. Aber wir sind die Regierungsfraktion. Da gibt es die Notwendigkeit, dass die Fraktion zusammenhält und Positionen gemeinsam vertritt. Da entsteht auch ein gewisser Druck, aber den halte ich aus. Genau das ist auch unser Kurs als Jusos. Wir halten lieber den Druck drinnen aus als nur von außen zu kommentieren. Das ist eine produktive Position, und nichts, worüber man klagen sollte. Klar kritisieren wir auch weiter Dinge.
Dann Feuer frei. Sind die Entlastungspakete der Ampel sozial gerecht?
Da geht mehr.
Was fehlt?
Wir brauchen für alle, die in Deutschland weniger als Summe X verdienen, 300 Euro steuerfrei auf das Konto. Weitere Direktzahlungen sind eine sinnvolle Maßnahme, um Menschen zu entlasten. Leider haben wir diese Möglichkeit noch nicht. Der Staat muss endlich die Möglichkeit bekommen, Menschen direkt Geld zu überweisen.
Ist Umverteilung für die Jusos noch ein Thema? Oder spielt das keine Rolle mehr – weil mit der FDP in der Ampel sowieso nichts geht?
Wir ordnen uns der FDP doch nicht unter. Wir reden ja seit Monaten über die Finanzierung weiterer Ausgaben, die Schuldenbremse und die Besteuerung höherer Vermögen. Deshalb wollen wir die Vermögensabgabe. Da blockiert die FDP komplett, was schwer zu verstehen ist.
Vor der Fraktionsklausur in Dresden vor zwei Monaten forderte die SPD-Linke die Vermögensabgabe. Aber im Positionspapier, mit dem die Fraktion in die Entlastungsverhandlungen ging, fehlte die Forderung. Versteckt sich die SPD hinter der FDP?
Nein, die parlamentarische Linke, relevante Teile der Fraktion und wir Jusos wollen die Vermögensabgabe. Bei dem Positionspapier haben wir uns damals aber auf das Wesentliche konzentriert. Das war die Gaspreisbremse. Anfang September haben viele die noch für absurd gehalten. Die SPD-Fraktion hat sich da eigenständig und weitsichtig positioniert. Ich habe die Gasumlage von Anfang an für einen Fehler gehalten, weil es falsch ist, die Kosten einfach auf Verbraucher*innen umzulegen. Wir können doch nicht denjenigen, die vom Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren wenig hatten, jetzt schon wieder erzählen: „Schnallt den Gürtel enger.“ Das machen wir nicht mit. Es ist gut, dass es möglich war, die Umlage zu korrigieren.
Und was ist mit Schuldenbremse und Vermögensabgabe?
Wir brauchen beides – mindestens die Aussetzung, eigentlich aber die Abschaffung der Schuldenbremse 2023, um flexibel zu tun, was nötig ist. Und die Vermögensabgabe, um beispielsweise in die Transformation der Industrie zu investieren. Diese Debatte ist nicht weg. Im Gegenteil.
30, ist seit 2021 Juso-Chefin und als SPD-Bundestagsabgeordnete Mitglied im Ausschuss für Bildung und Forschung. Zuvor war sie Lehrerin an einer Gesamtschule in Bonn.
Haben die Jusos die Unterstützung von Partei und Kanzler?
Saskia Esken hat sich ja früh für eine Vermögensabgabe ausgesprochen. Generalsekretär Kevin Kühnert und viele in den Ländern äußern sich kritisch zur Schuldenbremse. Die SPD muss sich bei Schuldenbremse und Vermögensabgabe mit klarer Sprache positionieren. Ich erwarte, dass dies beim Konvent der SPD am 6. November passieren wird.
Scholz scheint es ganz lieb zu sein, dass Lindner die Debatte über Schuldenbremse und Vermögensabgabe immer im Vorfeld beendet.
Das sehe ich anders. Das Problem ist die FDP, für die die Schuldenbremse ein goldenes Kalb ist, ein sakrales Element in der Politik. Sie muss endlich erkennen, dass gerade in Krisenzeiten ein Umdenken unausweichlich ist.
Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit der FDP im Bundestag?
Ich kann nicht für alle Arbeitsbereiche sprechen, im Bildungsausschuss läuft es sehr konstruktiv. SPD und FDP teilen ja die Idee, dass alle ihr Leben gestalten können sollen, egal wo sie herkommen, wo sie geboren wurden oder wie viel ihre Eltern verdienen. Das Ziel eint uns, über den Weg streiten wir oft auch hart. Es gibt verfestigte Armut, die ganze Leben zerstören kann. Darauf ist „Ich kämpfe mich durch, dann läuft's schon“ keine Antwort.
Beim Juso-Bundeskongress, der diesen Freitag beginnt, gibt es eine Vielzahl von Forderungen. Das 9-Euro-Ticket soll wieder eingeführt werden, das Bürgergeld soll auf 678 Euro steigen. Ist das nicht illusorisch?
Nein, wir wollen umsetzen, was wir da formulieren.
Es gibt nur das 49-Euro-Ticket, das Bürgergeld steigt nur auf 502 Euro. Die Juso-Forderungen haben keine Chance, von der Ampel umgesetzt zu werden.
Das sehe ich anders. Wer aus der Arbeiterbewegung kommt, weiß, dass jeder kleine Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit hart erstritten wird. Wer immer nur das fordert, was unter Umständen möglich erscheint, wird noch weniger erreichen. Ich sehe Juso-Erfolge wie die Durchsetzung eines deutschlandweit gültigen 49-Euro-Tickets – ohne damit zufrieden zu sein.
Hier spricht die Abgeordnete, nicht die Juso-Chefin…
Nein, ich will auch als Juso-Chefin ein deutschlandweites Ticket, aber maximal für 365 Euro im Jahr, langfristig einen komplett ticketfreien Nahverkehr. Unsere Aufgabe ist, dieses Ziel zu erreichen und beim 49-Euro-Ticket dafür zu sorgen, dass es für Studierende, Auszubildende und Menschen, die wenig Geld haben, noch billiger wird. Es wäre falsch, verantwortungslos und feige, wenn wir mit dem Anspruch Politik machen würden, dass das, was wir fordern, eh nicht passiert. Das Bürger*innengeld kommt nur, weil Jusos lange und heftig dafür gestritten haben. Es ist zwar frustrierend, wenn der Erfolg lange auf sich warten lässt, und mir geht vieles oft zu langsam. Aber das Bürger*innengeld zeigt, dass Jusos Sachen durchhalten, grundsätzlich verändern und gleichzeitig ihre Visionen im Blick behalten.
Die Berechnungsgrundlage des Bürgergeldes ändert sich aber nicht.
Das ist schlecht. Ich habe kein Problem, das zu sagen. Deshalb müssen wir genau das verändern und dafür weiterkämpfen.
Der Krieg in der Ukraine dauert inzwischen seit acht Monaten an. Bei den Grünen fordern viele mehr deutsche Waffen für die Ukraine. Und bei den Jusos?
Wir unterstützten die Waffenlieferungen in die Ukraine. Als Jusos haben wir diese Frage gut abgewogen. Denn wir sind zwar ein antimilitaristischer Verband, wir wollen keine Aufrüstungsspirale. Aber wir sind keine Pazifisten. Frieden lässt sich manchmal nicht ohne Gewalt verteidigen oder stiften. Wir haben beispielsweise nie die Waffenlieferungen nach Israel in Frage gestellt, sondern sie unterstützt, um das unverhandelbare Existenzrecht Israels zu garantieren. Im völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine sehen wir ein von faschistischen Ideologien getriebenes Russland und einen Diktator, der ein Land überfällt und dessen kulturelle Identität auslöschen will. Wir als dezidiert linker antimilitaristischer Verband sagen deshalb ja zu Waffenlieferungen, weil sie auf dem Fundament des Völkerrechts notwendig im Kampf gegen diesen Imperialismus sind.
Der grüne Parteitag fordert die Lieferung von Leopard-Panzern. Die Jusos auch?
Wir Jusos beteiligen uns nicht an dieser Debatte. Wir sollten all das tun, was wir können und immer wieder wohlwollend prüfen, was möglich ist. Aber die Entscheidungen über Waffenlieferungen gehören hinter verschlossene Türen und die Debatte sollte von Expert*innen geführt werden – gerade weil es um die Verteidigung der Ukraine geht. Ich weiß nicht, warum eine öffentlich geführte Debatte hier hilfreich sein soll.
Die Debatte dreht sich seit Monaten um schwere Waffen– ja oder nein. Und die Jusos sagen – wissen wir nicht. Ist das etwas wenig?
Ich bin nicht dafür bekannt, dem Kanzler immer stumpf alles zu glauben. Aber in dieser komplizierten Abwägung traue ich ihm Augenmaß zu und glaube auch, dass er für diese Abwägungen gewählt wurde.
Die SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bezeichnet Deutschland als militärische Führungsmacht. Einverstanden?
Nein, das lehnen wir komplett ab. Das ist gefährlich und steht Deutschland nicht zu. Olaf Scholz hat ja immer deutlich gemacht, dass Deutschland im Schulterschluss mit den Partnerinnen und Partnern agiert. Aber nicht vorneweg als Führungsmacht.
SPD-Chef Lars Klingbeil will eine deutsche Führungsrolle in der EU.
Ich bin überzeugt, dass wir mehr Verantwortung tragen sollten, ja. Aber bei Begriffen wie „Führungsmacht“ zucke ich zusammen. Deutschland hat ja lange eine Führungsrolle in Europa gespielt – in der Austeritätspolitik, die Hunderttausende beispielsweise in Griechenland in die Armut gestürzt hat. Unser Kurs sollte vielmehr sein: Wir übernehmen Verantwortung, mit Fingerspitzengefühl, und wir hören den Partnern zu. Das haben wir schon bei Nord Stream 2 nicht ausreichend getan. Und noch ein grundsätzliches Argument: Wir haben noch immer den Holocaust zu verantworten. Wollen wir jetzt sagen: Das ist lange genug her, wir sind jetzt wieder Führungsmacht? Nicht mit mir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich