Juso-Chefin Annika Klose im Interview: „Nicht von den Grünen geklaut“

Die Berliner Juso-Chefin Annika Klose fordert nicht nur eine inhaltliche Neuausrichtung ihrer Partei – sondern auch eine personelle.

Juso-Chefin Annika Klose spricht auf einem Landesparteitag der Berliner SPD

Juso-Chefin Annika Klose auf einem Landesparteitag der Berliner SPD Foto: picture alliance/Gregor Fischer/dpa

taz: Frau Klose, Sie fordern eine Neuausrichtung der Berliner SPD. Warum?

Annika Klose: Die Berliner Situation unterscheidet sich von der im Bund. Auf Bundesebene war die SPD in 10 der letzten 14 Jahre Teil einer Großen Koalition. In Berlin haben wir eine rot-rot-grüne Landesregierung. Es ist ein ziemlicher Erfolg, dass wir hier eine progressive Regierungskoalition haben, die von der SPD geführt wird. Trotzdem stellen wir fest, dass die SPD schlechte Umfragewerte hat.

Woran liegt denn das Ihrer Meinung nach?

Wir haben in der Berliner SPD einen großen Bedarf an Umstrukturierung. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was in der Partei diskutiert oder beschlossen wird, und dem, wie die SPD dann in der Regierung auftritt.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Es gibt immer wieder progressive Beschlüsse, die aber nicht durchdringen. In der Wohnungspolitik kommen sie zu einem Zeitpunkt, in dem die SPD das Ressort nicht mehr hat. Das frisst an der Glaubwürdigkeit, wenn man erst dann ein linkes Profil entwickelt, sobald man keine Verantwortung mehr trägt. Ein anderes Beispiel: Im März haben wir beim Landesparteitag beschlossen, dass wir gegen das Abschiebegesetz von Seehofer sind. Von den Berliner Bundestagsabgeordneten hat am Ende nur eine dagegen gestimmt. Oder unsere beiden Berliner VertreterInnen im Parteivorstand haben für die Große Koalition gestimmt, obwohl der Berliner Landesvorstand sich klar dagegen positioniert hatte. Es gibt aber auch Dinge, die umgesetzt werden, zum Beispiel die Reform des Ticketsystems im ÖPNV, dass es ein Azubiticket gibt, dass das Schülerticket kostenlos wird, dass das Sozialticket billiger geworden ist.

Was unterscheidet die Berliner SPD von der Bundespartei?

Wenn man den Berliner Landesverband und die Beschlusslage mit der Bundesebene oder mit anderen Landesverbänden vergleicht, dann ist die Berliner SPD ein linker Verband. Das ist eine Stärke. Aber es ist ein Problem, dass FunktionärInnen aus Berlin das oft so nicht vertreten. Das liegt auch daran, dass wir es in Berlin nicht hinkriegen, das Führungspersonal und andere Funktionen öfter durchzuwechseln.

27 Jahre, in Dortmund geboren, studiert derzeit im Masterstudium Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin, seit 2011 Mitglied der SPD, 2014–16 aktiv im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen und Vertreterin im Studierendenparlament der HU Berlin, seit Oktober 2015 Landesvorsitzende der Jusos Berlin, seit März 2016 stellvertretende Abteilungsvorsitzende, Abteilung 17 – Brunnenviertel in Mitte.

Meinen Sie damit auch die Parteispitze?

Ja, ebenso wie auf der Bundesebene brauchen wir in Berlin perspektivisch ein Aufbruchs­signal. Teile des Spitzenpersonals sind bereits seit über 15 Jahren dabei. Aber es gibt auch Kreisvorsitzende, die schon seit über 20 Jahren im Amt sind.

Ist es nicht der leichteste Weg, einfach einen Personalwechsel zu fordern?

Es geht nicht nur um das Personal. Im Oktober haben wir einen Landesparteitag, bei dem über Vorschläge der Kommission „Politische Handlungsfelder“ diskutiert und diese beschlossen werden sollen. Das sollen Leitlinien für die Berliner SPD werden, für 2021 und darüber hinaus. Ein halbes Jahr später findet dann der Wahlparteitag statt, dann geht es um dazu passendes Personal.

Wen würden Sie denn gerne an der Spitze der Landespartei sehen?

An Personalspekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. Ich glaube, das hilft uns gerade nicht weiter.

Warum sind die Ergebnisse bei der Europawahl in Berlin noch schlechter ausgefallen als im Bund?

Die Frage stelle ich mir auch. Mir tut es weh, zu sehen, dass wir eine R2G-Koaliton haben, die von der SPD angeführt wird, und man die eigene Politik durchsetzen kann, und das Ergebnis trotzdem schlecht ausfällt. 2016 nach der Abgeordnetenhauswahl haben wir etwas festgestellt, was die Bundestagswahl 2017 bestätigt hat: Die Leute wissen gar nicht, wofür die SPD steht. In der Nachwahlumfrage in Berlin 2016 hatten das 60 Prozent der BerlinerInnen gesagt. In Berlin kommt hinzu, dass wir mit den Grünen und den Linken zwei eher linke Koalitionspartner haben. Der Verkauf der Wohnungen wird der SPD immer noch sehr übel genommen. Es gibt Altlasten, die wir mit uns schleppen.

Was haben Sie gedacht, als einen Tag vor Senatsbeschluss über den Mietendeckel die Nachricht herumging, dass die Senatskanzlei blockieren möchte?

Ich habe mich geärgert. Die SPD hat diese Initiative eingebracht. Und es ist schade, wenn es öffentlich so wirkt, als würde die SPD das Projekt stoppen wollen und als würden es Linke und Grüne dagegen unterstützen. Dann sieht es nicht mehr wie ein SPD-Projekt aus. Das war in der öffentlichen Kommunikation ein ziemliches Desaster. Die Berliner SPD hat derzeit weniger ein inhaltliches Problem, sondern ein Umsetzungsproblem.

Fürchtet sich das Führungspersonal, progressive Beschlüsse mitzutragen?

Sicherlich war eine Angst da, wichtige Positionen nicht zu berücksichtigen. Da steht auch eine sehr staatstragende Mentalität dahinter.

Was denken Sie über das Enteignungsvolksbegehren? Da steht ja noch ein Beschluss bevor.

Wir Jusos finden das Mittel der Sozialisierung von Wohnungen gut. Die pauschale Lösung, dass alle Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen enteignet werden, überzeugt uns aber nicht. Es sollte lieber geschaut werden, wie die Vermietungspraktiken der VermieterInnen sind. Wir fänden es auch sinnvoller, bei Enteignungen einen Fokus auf die Bodenpolitik zu legen, weil man da Raum für Neubau schaffen kann.

Sie fordern einen „sozial-ökologischen Wandel“. Das hört sich an, als wäre es von den Grünen geklaut.

Das ist überhaupt nicht von den Grünen geklaut. Sozial-ökologische Transformation heißt, man will einen ökologischen Wandel, der sozial ist. Transformation bedeutet eine Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse. Ich nehme die Grünen derzeit nicht als transformatorisch wahr.

Was machen die Grünen gerade besser als Ihre Partei?

Die Grünen in der Hauptstadt profitieren massiv vom Bundestrend. Bei der Europawahl standen sie für das wahlentscheidende Thema Klima so konsequent ein wie keine andere Partei. Was die Grünen auch ganz gut hinkriegen: immer wieder Personalwechsel durchführen.

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