Juryauswahl für das Theatertreffen 2020: Ritual und Vorfreude

Sandra Hüller als sturer Hamlet und mehr Frauen in der Regie als Männer: Das Theatertreffen Berlin stellte seine Auswahl für dieses Jahr vor.

Eine weiße Frau sitzt auf der Kante einer Theaterbühne und guckt in die Ferne

Sandra Hüller, Mercy Dorcas Otieno (v. li.) im „Hamlet“ vom Schauspielhaus Bochum Foto: JU Bochum

Ein Stück über das Ballett der Romantik, seine Fantasien von Elfen, Leichtigkeit und Spitzentanz, aber auch über die dunkle Seite des Romantischen, die Verteuflung von Frauen als Hexen, das ist tatsächlich eine Überraschung auf dem Spielplan des Theatertreffens. „Tanz. Eine sylphidische Träumerei in Stunts“ von Florentina Holzinger vorzustellen, hatte sich die siebenköpfige Jury des Theatertreffens denn auch als letzte Position vorbehalten, als sie am Dienstag im Haus der Berliner Festspiele die Auswahl von zehn Inszenierungen bekannt gab, die im Mai nach Berlin eingeladen werden.

Die Vorstellung der Auswahl ist ein kleines Ritual für die Presse. Auf dem Podium sitzen sieben KollegInnen, Theaterredakteure und freie Journalisten, die den deutschsprachigen Theaterraum unter sich aufgeteilt haben und stellen ihre besten Fundstücke vor.

Wolfgang Höbel vom Spiegel bereist den Norden, Cornelia Fiedler Nordrheinwestfalen, Margarete Affenzeller aus Wien schaut sich in Österreich um, Georg Karsch von Nachtkritik.de und Franz Wille von Theater heute sind in Berlin vor Ort und im Osten Deutschlands unterwegs, Shirin Sojitrawalla macht sich von Wiesbaden aus auf den Weg, Andreas Klaeui schaut sich in der Schweiz um. Und wenn eine/r eine Inszenierung empfiehlt, reisen die anderen auch dorthin.

432 Inszenierungen habe man gesichtet, schickt Yvonne Büdenhölzer, Leiterin den Theatertreffens, voraus. 261 von Regisseuren, 171 von Regisseurinnen. Das Theatertreffen hat sich letztes Jahr zu einer Frauenquote von 50 Prozent in der Regie verpflichtet, die einzuhalten war einfach. Tatsächlich kommen sechs der zehn Inszenierungen von Frauen.

Regie-Frauen gut vertreten

Dabei sind „Der Menschenfeind“ (Regie: Anne Lenk, Deutsches Theater Berlin), “Die Kränkungen der Menschheit“, (Anta Helena Recke, Kammerspiele München), „Chinchilla Arschloch, waswas. Nachrichten aus dem Zwischenhirn“ von Helgard Haug von Rimini Protokoll, „Anatomie eines Suizids“ (Katie Mitchell, Deutsches Schauspielhaus Hamburg) und „Süßer Vogel Jugend“ von Claudia Bauer (Schauspiel Leipzig).

Die Kammerspiele München sind noch mal mit „The Vacuum Cleaner“ von Toshiki Okada dabei und als Coproduzent bei „Tanz“. Das ist auch eine Bestätigung von Matthias Lilienthal, dessen letzte Spielzeit als Intendant an den Kammerspielen zu Ende geht. Auch das Residenztheater aus München ist ausgewählt mit „Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini“, das in der Regie von Antonio Latella über den Mord an Pasolini erzählt.

Aus dem Schauspielhaus Bochum kommt „Hamlet“ vom Theaterteffen-Veteranen Johan Simons. Vor kurzem erst Premiere hatte „Der Mensch erscheint im Holozän“, nach Max Frisch in der Regie von Theatertreffen-Newcomer Alexander Giesche. Es überrasche, erläuterte Andreas Klaeui, wie man hier in einem mehr als 40 Jahre alten Text Endzeitängste und Visionen finde, die heute mit der Klimakatastrophe assoziiert werden.

Nicht alles ist kontrollierbar

Helgard Haugs Stück „Chinchilla Arschloch“, erläuterte Georg Kasch, holt Spieler mit Tourette-Syndrom auf die Bühne: Verhandelt werden die Konditionen, unter denen sie spielen können. Es ist ein Theater über die Bedingungen von Theater und gleichzeitig ein Stück Porträtkunst. Nicht alles ist kontrollierbar, die Unsicherheit wird physisch.

Dass der Körper wieder mehr ins Spiel komme, sei ein Merkmal dieser Auswahl, fasste Yvonne Büdenhölzer zusammen, aber auch dass gesellschaftliche Verhältnisse über das Individuum erzählt werden und sein Versagen im Turbokapitalismus. Nach der Bekanntgabe der Juryauswahl beginnt jetzt die logistische Arbeit: Wie bekommt man die Inszenierungen nach Berlin.

Im Rahmen des Theatertreffens werden auch drei Preise verliehen. Schon bekannt ist, dass die Schauspielerin Sandra Hüller den Theaterpreis Berlin erhalten wird. Sie spielt den Hamlet in der Inszenierung aus Bochum als einen, wie es Margarete Affenzeller formulierte, unkorrumpierbaren, sturen, manisch aufrichtigen Nachwuchspolitiker auf der Suche nach der Wahrheit. Das macht doch neugierig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.