Theaterregisseurin Anta Helena Recke: Bloß weg mit den Kategorien

Den Begriff „Sozialkritik“ findet sie verstaubt, Diversität hingegen maßgeblich: Anta Helena Recke gilt als eine der spannendsten Regisseur*innen.

Porträtaufnahme einer jungen Frau mit Dreadlocks

Virtuosin und Langschläferin: Anta Helena Recke Foto: zombienanny

Für die Theaterregisseurin Anta Helena Recke läuft es momentan ziemlich gut. Als „Aufsteigerin der Theaterszene“ bezeichnete sie Wolfgang ­Höbel auf Spiegel Online kürzlich, „Shootingstar der deutschen Theaterszene“ kommentierte Sven Ricklefs im Deutschlandfunk. Die Angesprochene selbst pflegt dagegen das Understatement: „Ich habe gute Arbeitsmöglichkeiten und das weiß ich zu schätzen“, sagt sie beim Interview in einem Café in Berlin-Neukölln. Die kommenden zwei Jahre sind mit zahlreichen Projekten und weiteren Arbeiten gut ausgefüllt.

Recke wurde bekannt, als sie vor rund zwei Jahren mit ihrer ersten Regiearbeit an den Kammerspielen München bundesweit viel Aufmerksamkeit bekam. Denn Recke ließ das Stück „Mittelreich“ nach dem Roman von Josef Bierbichler mit einem komplett schwarzem Ensemble spielen, ein Novum an den Kammerspielen.

Das Besondere dabei: Es handelte sich um eine Aneignung von Anna-Sophie Mahlers Musiktheaterstück desselben Stoffes, das zuvor ebenfalls an den Kammerspielen aufgeführt wurde. Bei Mahler hatte Recke als Regieassistentin gearbeitet. Die Kopie ließ keine Zweifel daran, dass auch schwarze Dar­­steller*innen bayerische Ge­schichte verkörpern können.

Nun hat Anta Helena Recke mit „Die Kränkungen der Menschheit“, ihrer zweiten Regiearbeit am Haus von Intendant Matthias Lilienthal, die neue Spielzeit, die auch Lilienthals letzte ist, eröffnet. Es ist ein Abend von knapp 70 Minuten, vollgepackt mit fragmentarischen Reflexionen, die Freud’sche Psychoanalyse, kunsthistorische Überlegungen und erneut die bereits in „Mittelreich“ aufgeworfene Frage zur Diversität im Theater anklingen lassen.

Menschenaffen und blasierte Besucher

Der Abend liefert mit prägnanten Bildern, die haften bleiben, Diskursansätze statt ausformulierter Antworten, für deren tieferes Verständnis es allerdings der Begleitlektüre des Programmhefts bedarf: Die Darsteller*innen tollen in der ersten Sequenz als (Menschen-)Affen über die Bühne, in der zweiten Szene philosophiert eine blasierte Museumsbe­sucher*innengruppe über das Gemälde „Affen als Kunstrichter“ von Gabriel Cornelius von Max aus dem Jahr 1889.

Es geht also etwa um die Darstellung von Entwicklungsstufen des Menschen: Der Übergang vom Affen zum Homo sapiens, aber eben auch darum, wie kolonialistische Nationen Rassismus etablierten. So geschehen, was im Programmheft genannt wird, bei der „Great Exhibition“ in London 1851, bei der etwa Indigene, Schwarze und People of Color als frühere Entwicklungsstadien des Menschen diskreditiert wurde.

Der Titel „Kränkungen der Menschheit“ knüpft wiederum an einen Text von Sigmund Freud an und kritisiert gleichzeitig, dass Freuds Vorstellung vom Menschen nicht die Gesamtheit der Menschen umfasste, sondern nur das Kon­strukt einer weißen, männlichen und europäischen Menschheit. Hinterfragt werden damit heteronormativen Machtstrukturen, Marginalisierung und die Frage, inwiefern jeder und jede dazu beiträgt, sie zu stabilisieren – alles Dinge, die Recke wichtig sind.

Keine eindeutige Lesart vorgeben

„Wenn wir beklagen, dass überall nur weiße Männer in Leitungspositionen sind, muss man immer beachten, dass wir, die wir das nicht sind, diesen Zustand mit produzieren“, sagt Recke. „Wir haben auch diese Wahrnehmungsmuster in uns, etwa wenn wir in einer diversen Runde diskutieren und dem weißen Mann mehr glauben und mehr Souveränität zuschreiben.“

Wie formuliert sie ihren Theaterbegriff? „Sozialkritisch ist für mich ein verstaubter Begriff“, findet Recke. Für sie geht es in der Kunst um Wahrnehmung. „Meine Stücke sind so angelegt, dass die Zuschauer*innen daraus machen können, was sie wollen. Sie können auf ganz verschiedene Weisen gelesen werden.“

Eine Handschrift will sie als Regisseurin nicht kultivieren: „Ich bin sehr undogmatisch. Meine Handschrift ist, dass ich mich immer wieder neu hinterfragen muss. So reibt man sich immer wieder neu auf, was auch sehr anstrengend ist.“ Mit Kategorien wie Performance, Schauspiel oder Installation kann sie wenig anfangen: „Theater entsteht in dem Moment, in dem Menschen zusammenkommen und ist eben das, was dann passiert.“

Endlich „careless“ sein

Den Kammerspielen in München fühlt sie sich verbunden, dort arbeitete sie vor „Mittelreich“ eineinhalb Jahre als Regieassistentin. Sie kennt die Belegschaft sehr gut, erzählt sie. 1989 wurde sie in München geboren. Zu ihrer Heimatstadt hat sie ein ambivalentes Verhältnis: „Der öffentliche Raum dort ist sehr eng und sehr monokulturell.“ Als das Polizeiaufgabengesetz in Bayern verschärft wurde, fand sie es besser, dort nicht gemeldet zu sein.

Die politische Stimmung und den Rassismus in Deutschland empfindet sie als sehr bedrohlich

Denn für Recke war und ist eine Erfahrung prägend: „Ich erzeuge immer Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum, weil ich schwarz bin, das ist in allen Gesellschaften, die weiß geprägt sind, so. In Gesellschaften, die schwarz geprägt sind, falle ich wiederum auf, weil ich Europäerin bin. Das habe ich schon immer so gefühlt, aber strukturell einordnen konnte ich das erst seit meiner Teenager- und Jugendzeit.“ Das Gefühl, Aufmerksamkeit zu erzeugen, sei in Berlin viel schwächer, wo sie mittlerweile ihren Hauptwohnsitz hat: „Ich kann hier mehr careless sein.“

Nach Berlin zog sie bereits mit 18 Jahren und verbrachte dort rund fünf Jahre, bis sie 2011 ein Studium der Szenischen Künste an der Universität Hildesheim absolvierte. Die derzeitig politische Stimmung und den Rassismus in Deutschland empfindet sie als sehr bedrohlich: „Es brennt. Man spürt die Feindseligkeit. Das, was sagbar ist, hat sich verschoben. Der feine bürgerliche Rassismus, etwa von Politikern der Mitte, ist für viele unsichtbar.“

Hauptsache ausschlafen

Wie gestaltet sich ihr kreativer Arbeitsprozess? Ein Nachtmensch sei sie nicht: „Ich bin echt so richtig langweilig, ich komme nicht klar, wenn ich weniger als acht, neun Stunden schlafe“, beschreibt sie ihren Alltag. Gleichzeitig erlebt sie es selbst noch als Findungsprozess, die zahlreichen Projekte und Inszenierungen unter einen Hut zu bringen. „Ich muss mich immer disziplinieren und immer wieder neu erfinden, wie meine Arbeit geht.“ Dazu gehören die Unwägbarkeiten, die ihre Arbeit mit sich bringt. Dem Erfolg von „Mittelreich“ ging ein langer Prozess mit vielen Zweifeln und Ungewissheit voraus, aber Recke ist überzeugt: „Ich wusste, wenn es stattfindet, wird es groß.“

In den nächsten Monaten stehen zahlreiche weitere Projekte für sie an. Sie arbeitet auch immer wieder als Dramaturgin für andere Künstler, beispielsweise zusammen mit Jeremy Nedd für das Stück „The ecstatic“, das Ende Oktober beim Spielart-Festival in München Premiere hat. Darin geht es um die Tanzform des Pantsula, die während der Apartheitszeit in den Townships Südafrikas entstand. Ihre an den Berliner Sophiensælen entstandene Performance „Angstpiece“, die sie mit Julia*n Meding entwickelt hat, gastiert im kommenden März in Zürich. Und auch an den Kammerspielen wird man sicher wieder eine Arbeit von ihr sehen können.

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