Juristische Jahresbilanz der taz: „Bossi hat ein Genre begründet“
Wenn wir uns in rechtlichen Fragen unsicher sind, rufen wir Christian Rath an. Diesmal für seine Jahresbilanz 2015.
Uli Hoeneß hat Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt, das Landgericht Augsburg will das prüfen. Käme Hoeneß im März frei, hätte er nur die Hälfte seiner Haftstrafe verbüßt. Will er einen Promi-Bonus?
Normalerweise werden Haftstrafen erst nach zwei Drittel der Zeit zur Bewährung ausgesetzt. Die Aussetzung nach der Hälfte ist selten, vor allem bei Straftätern, die zu Strafen über zwei Jahren verurteilt wurden. Hoeneß erhielt dreieinhalb Jahre wegen Steuerhinterziehung. Allerdings hat er auch eine außerordentlich gute Sozialprognose.
Der Münchner Staranwalt Rolf Bossi hat Prominente wie Romy Schneider, Hardy Krüger und Ingrid van Bergen und spektakuläre Verbrecher wie die Geiselnehmer von Gladbeck vertreten. Am 23.12. ist er im Alter von 92 Jahren gestorben. Was bleibt von ihm?
Bossi hat in Deutschland wohl das Genre des Staranwalts begründet. Aber er war schon sehr lange nur noch eine Legende, seine Nachwirkung ist eher gering. Er hat die letzten 20 Jahre, in meinem Berufsleben, keine große Rolle mehr gespielt.
Polens neue Regierung hat als Erstes das Verfassungsgericht neu organisiert und entmachtet. Ein Staatsstreich, wie manche sagen?
Es gibt keine anerkannten Mindeststandards, was die Aufgaben und Befugnisse eines Verfassungsgerichts betrifft. Wenn man aber dessen Urteile ignoriert, die Zusammensetzung manipuliert und die Verfahrensregeln so ändert, dass es weitgehend lahmgelegt ist, dann wirkt das wie das Signal zum Übergang in einen autoritären Staat.
Dr. Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz und stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Er lebt in Freiburg
Wie sieht Ihre juristische Jahresbilanz aus - was waren Ihre Highlights?
Da wäre als erstes das „Safe Harbor“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober, der damit seinen frischen Ruf als Grundrechtegericht gefestigt hat. Er hat dabei den Datenschutz europäischer Bürger über einen EU-Beschluss gestellt, der die Übermittlung persönlicher Daten aus Europa in die USA erlaubte.
Beim Kopftuchurteil im März hat das Bundesverfassungsgericht seine frühere Entscheidung aus dem Jahr 2003 und damit einen eigenen Fehler korrigiert. Lehrkräften kann nun nicht mehr pauschal das Tragen einer religiösen Kopfbedeckung verboten werden. Der Schutz der Religionsfreiheit gilt auch für Minderheiten. Dies sicherzustellen, auch gegen politische Mehrheiten, ist der Job eines Verfassungsgerichts.
Drittes Highlight, diesmal negativ, war das Verfahren wegen angeblichen Landesverrats gegen Journalisten des Onlinemediums netzpolitik.org. Es ist erschütternd, dass so ein absurdes Ermittlungsverfahren in Deutschland überhaupt möglich war.
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