Jurist:innen im Staatsexamen: Sitzen nur Männer am Tisch, ist das ein Problem
Das Staatsexamen gilt als Inbegriff des Leistungsprinzips. Doch in Hamburg sitzen in vielen Kommissionen nur Männer und die benoten Frauen schlechter.
D as Staatsexamen ist für Jurist:innen die entscheidende Prüfung: Es öffnet Türen zu Karrieren als Richter:in, Staatsanwält:in oder Anwält:in – oder schließt sie für immer. Dass Frauen hier systematisch schlechter abschneiden als Männer – in Hamburg besonders deutlich –, verweist auf ein strukturelles Problem: Nicht die Leistung ist ausschlaggebend, sondern das System, das sie bewertet.
Denn in den schriftlichen Prüfungen, die anonym und standardisiert stattfinden, unterscheiden sich die Ergebnisse kaum. Der Bruch kommt in der mündlichen Prüfung – dort also, wo keine Anonymität herrscht und das Urteil einer Kommission zählt. Studien zeigen dabei schon seit Jahren: Sitzen nur Männer am Tisch, fallen die Noten von Kandidatinnen messbar schlechter aus. Und gerade die mündliche Note entscheidet, wer das begehrte Prädikat erreicht – den Schlüssel zu den besseren Karrieren.
In Hamburg sitzen in vielen Kommissionen fast nur Männer. Das ist ein Problem, weil Noten die Wahrnehmung spiegeln. Wer als Frau selbstbewusst auftritt, gilt schnell als forsch; wer vorsichtig argumentiert, gilt eher als unsicher. Beides kann negativ ausgelegt werden – und beides hat mit juristischer Qualität nicht viel zu tun.
Die Justizverwaltung verweist auf die Erfahrung ihrer Prüfer:innen. Aber Erfahrung schützt nicht vor unbewussten Vorurteilen. Hamburgs Strukturen verstärken deshalb das Ungleichgewicht.
Staatsexamen als Inbegriff des Leistungsprinzips
Viele Kandidatinnen tragen zugleich mehr familiäre Verpflichtungen. Ein starres Prüfungssystem, das Flexibilität kaum kennt, benachteiligt sie zusätzlich.
Gerade deshalb ist der Befund so brisant. Das Staatsexamen gilt als Inbegriff des Leistungsprinzips: Dort zählt Wissen, nicht das Geschlecht. Wenn aber selbst hier die Waage kippt, hat die Justiz ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wer Fairness prüft, sollte sie auch praktizieren.
Helfen würden paritätisch besetzte Kommissionen. Wo Frauen und Männer gemeinsam prüfen, gleichen sich Perspektiven aus und unbewusste Vorurteile werden eher korrigiert.
Eine regelmäßige, transparente Auswertung der Prüfungsergebnisse nach Geschlecht könnte zudem sichtbar machen, wo und wie die Benachteiligung entsteht. Erst dort könnte eine Reform ansetzen.
Zugleich braucht das System mehr Selbstkritik. Die juristische Prüfung misst eben nicht nur Wissen, sondern Auftreten, Sprachstil, Sicherheit. Wer im Habitus dem klassischen Juristenbild entspricht – meist männlich, souverän, laut –, hat Vorteile. Eine Prüfung, die Rhetorik und Selbstvertrauen höher gewichtet als analytische Präzision, misst aber nicht die juristische Qualität, sondern Sozialisation.
Wenn die juristische Ausbildung ernst nehmen will, was sie lehrt – Gleichheit vor dem Gesetz –, muss sie auch den Zugang zu guten Noten gerechter gestalten. Und diese Vielfalt im juristischen Denken wäre ganz grundsätzlich ein Gewinn an Perspektive und Qualität.
Dass Frauen in Hamburgs Staatsexamen so deutlich schlechter abschneiden, ist also ein Prüfstein für den Zustand des Rechtsstaats. Denn Gerechtigkeit beginnt nicht erst vor Gericht, sondern in den Verfahren, die bestimmen, wer dort eines Tages Recht sprechen darf. Wenn der Rechtsstaat ernst meint, was er predigt, muss er bei sich selbst anfangen – mit einer Prüfungskultur, die Gleichheit nicht behauptet, sondern herstellt.
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