Juraprofessorin über Neil Gorsuch: „Ein radikal rechter Richter“
In den USA gibt es großen Protest gegen die Nominierung des Trump-Kandidaten. Er sei kaltherzig und sehr konservativ, sagt Marjorie Cohn.
taz: Frau Cohn, gegen die Bestätigung von Donald Trumps Kandidaten für den Obersten Gerichtshof gibt es Demonstrationen und harte Maßnahmen im Senat. Warum so viel Leidenschaft wegen eines Richters?
Marjorie Cohn: Der Oberste Gerichtshof ist eine sehr delikat ausbalancierte Angelegenheit. Seit dem Tod des konservativen Richters Scalia sitzen da nur acht Richter: vier Liberale und vier Konservative. Einer von letzteren ist Richter Kennedy, der manchmal auch mit den Liberalen stimmt. Vor einem Jahr hat Präsident Obama den liberalen – aber moderaten – Richter Merrick Garland nominiert. Laut Verfassung hätte der Senat anschließend ein Hearing organisieren müssen, um zu entscheiden, ob er ihn für den Obersten Gerichtshof bestätigt. Aber das haben die Republikaner verweigert. Donald Trump hat dann entschieden, Neil Gorsuch zu nominieren – einen radikal rechten Richter.
Den Mehrheitsverhältnissen entsprechend, werden die Republikaner die Bestätigung von Gorsuch gewinnen. Welchen Sinn macht es, noch zu kämpfen?
Für die Progressiven – aber auch für die Wähler von Trump – ist es wichtig, dass sie sehen, welche Ziele Trump verfolgt. Und dass die gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen in diesem Land sind. Zugleich ist es wichtig, dass es Widerstand gibt. Wir haben hier eine Massenbewegung, wie seit Vietnam nicht mehr. Trump kommt nicht ohne weiteres durch.
Gorsuch nennt sich selbst einen „Originalisten“. Was bedeutet das?
Eine marginale und diskreditierte Position. Das bedeutet, die Verfassung so zu interpretieren, wie man glaubt, dass sie ursprünglich, zum Zeitpunkt ihres Entstehens im Jahr 1789 gedacht war. Wenn Sie den Originalismus konsequent interpretieren, wird es Bundesstaaten geben, die Geburtenkontrolle verbieten, die Segregation zurückbringen und das Christentum zur offiziellen Religion machen.
ist emeritierte Professorin der Thomas Jefferson School of Law in San Diego, Kalifornien und ehemalige Präsidentin der Anwältevereinigung National Lawyers Guild. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher und Aufsätze über Exekutivgewalt, Folter, Drohnen und Kriegsverbrechen.
Das Weiße Haus nennt Gorsuch einen „Mainstream“-Richter.
Er hat gute Schulen besucht und ist formal qualifiziert. Aber das bedeutet nicht, dass er für Gerechtigkeit stimmen wird. Er ist kaltherzig und noch konservativer als Richter Scalia, wenn es um die Interpretation von mehrdeutigen Gesetzen geht, wie Regeln zum Gesundheits- und Sicherheitsschutz am Arbeitsplatz. Richter Scalia hat in solchen Fällen die Interpretationen der relevanten Behörde akzeptiert. Richter Gorsuch hingegen besteht darauf, das Recht selbst zu definieren.
Können Sie Beispiele nennen?
Etwa der Fall des „gefrorenen Lkw-Fahrers“ Maddin. Als an seinem Anhänger in einer Winternacht in Illinois die Bremsen versagten, verlangte sein Arbeitgeber von ihm, dass er am Straßenrand, ohne Heizung bei Temperaturen unter -25 Grad Celsius auf ein Reparaturteam wartete. Als Maddin nach drei Stunden seine Füße nicht mehr spüren und kaum noch sprechen konnte, koppelte er den Anhänger ab und fuhr in Sicherheit. Daraufhin wurde er gefeuert. Bei dem anschließenden Verfahren stellten sich alle Richter auf die Seite des Lkw-Fahrers, nur Gorsuch rechtfertigte die Entlassung. Dann gibt es die Professorin, die an Leukämie erkrankte, nachdem sie 15 Jahre lang an der Kansas State Universität gelehrt hatte. Als sie bei Ablauf ihrer Krankschreibung um eine Verlängerung von mehreren Wochen bat, weil sie noch schwach war, wurde sie gefeuert. Richter Gorsuch hat auch das gerechtfertigt.
Die US-Republikaner haben im Senat mit Traditionen gebrochen, um ihren konservativen Kandidaten Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtshof durchzudrücken. Sie übten am Donnerstag die sogenannte nukleare Option aus, um die Regeln der Kongresskammer bei der Ernennung von Richtern für das Supreme Court zu ändern. Künftig sind keine Filibuster bei diesen Personalentscheidungen mehr möglich. Mit dieser Taktik der Dauerdebatte wollten die Demokraten das Votum über Gorsuch hinauszögern.
Nachdem es den Republikanern zunächst nicht gelang, die Blockade der Demokraten aufzubrechen, griffen sie auf Geheiß von US-Präsident Donald Trump auf das letzte Mittel zurück. Somit kann Gorsuch nun am Freitag mit einer einfachen Mehrheit bestätigt werden, über die die Republikaner verfügen. Sie haben 52 Sitze, die Demokraten 48. Zuvor wäre eine "Supermehrheit" von 60 der 100 Stimmen nötig gewesen. Mit der Bestätigung von Gorsuch könnte Trump nach den Schlappen bei seinem Einreiseverbot und dem Umbau der Gesundheitsreform Obamacare den ersten nennenswerten Erfolg seiner Amtszeit verbuchen.
Steht Richter Gorsuch also für die Deregulierung, eine der Prioritäten von Präsident Trump?
Seine Rechtsprechung kommt dem Programm von Stephen Bannon gleich, der „Dekonstruktion des Verwaltungsstaates“, also dem Abbau von staatlichen Bestimmungen. Dazu gehört die von Trump angeordnete Streichung von Regeln für die Wall Street, was eine neue Rezession verursachen kann und Trumps Vorhaben, für jede neu eingeführte Regel zwei alte Regeln zu streichen. Auch das ist gefährlich. Die Nominierung von Gorsuch ist eng mit der Deregulierung verbunden. Sie wird den großen Konzernen nutzen und den kleinen Leuten schaden.
Nach 14 Monaten mit einem leeren Sitz im Obersten Gerichtshof haben Donald Trump und der Chef des Senats McConnell es jetzt sehr eilig. Warum?
Wegen Donld Trumps’„Muslim-Ban“. Dieses Einreiseverbot, das sechs Länder herausgreift, wird unweigerlich vor dem Obersten Gerichtshof enden. Die Republikaner wollen sicherstellen, dass Gorsuch dann auch dort ist.
Was passiert, wenn einer der drei anderen Richter ausfällt, die auch schon um die 80 Jahre alt sind?
Wenn Breyer, Kennedy oder Ginsburg das Gericht verlassen, hat Trump eine weitere Nominierung. Und der Oberste Gerichtshof würde so weit nach rechts wandern, dass wir höchstwahrscheinlich Rechte verlieren werden: Wählerrechte, Einwandererrechte, Abtreibungsrechte, wirtschaftliche Rechte.
Waren Richternominierungen in den USA immer so politisiert?
Es gab in der Vergangenheit mehr politische Kooperation. Aber im Allgemeinen nominierten demokratische Präsidenten demokratische Richter und republikanische Präsidenten republikanische Richter. Manchmal gab es dennoch Überraschungen. Präsident Eisenhower, ein Republikaner, hat zwei Richter nominiert: Earl Warren und William Brennan, zwei Republikaner die sich als sehr fortschrittlich entpuppten. Aber Gorsuch hat eine lange Vorgeschichte. Da sind nicht nur seine zehn Jahre am Berufungsgericht, sondern auch seine Arbeit im Justizministerium unter George W. Bush. Damals hat er sich nach einem Besuch in Guantánamo positiv über die Zwangsernährung von Gefangenen geäußert und hat sowohl Folter, als auch die Verteidigung von Überwachung ohne richterliche Zustimmung gebilligt.
Gorsuch könnte ein halbes Jahrhundert in dem Gremium bleiben und würde damit Trumps Programm lange nach dessen Amtsende weitervertreten. Ist es sinnvoll, Richter auf Lebenszeit zu haben?
Dass Bundesrichter – auch die in den unteren Bundesgerichten – lebenslang bestellt sind, soll verhindern, dass sie Kampagnen machen müssen. Das ist generell positiv, weil es sie weniger politisch macht. Aber es bedeutet auch, dass der 49-jährige Gorsuch großen Schaden anrichten kann.
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