Jura-Prof über Arbeit an der Hochschule: „Verkapptes Bewerbungsverhältnis“
Unterfinanzierte Hochschulen rechtfertigen keine ausgebeuteten Vertretungensprofessoren, sagt Michael Hartmer vom Deutschen Hochschulverband.
taz: Herr Hartmer, rund jeder zehnte Lehrstuhl an deutschen Hochschulen ist derzeit nicht besetzt. Woran liegt das?
Michael Hartmer: Das Auswahlverfahren für eine Professur ist komplex und dauert im Extremfall schon einmal mehrere Jahre. Über den Vorschlag einer Berufungskommission beraten die Fakultät und häufig auch der Senat. Der Entscheidung muss dann noch die Gleichstellungsbeauftragte und oftmals der Rektor der Hochschule zustimmen. Nur wenn sich die Fakultät rechtzeitig vor dem planmäßigen Ausscheiden eines Professors mit einem Nachfolger auseinandersetzt, kann die Stelle nahtlos besetzt werden.
Die Professoren, die bis zur Neubesetzung einspringen, werden schlechter bezahlt. Warum?
Die Hochschulen müssen sparen. Andererseits gibt es viele Nachwuchswissenschaftler, die die Vertretungen zu diesen Konditionen annehmen. Die Vertretungsprofessur ist ein wichtiger Zwischenschritt in ihrer Karriere.
Die Hochschule setzt auf diese Selbstausbeutung?
Natürlich. Die Hochschulen wissen, dass die meisten Nachwuchswissenschaftler ein solches Vertretungsangebot kaum ausschlagen werden. Oft landen sie erst nach einer Vertretung auf einem Listenplatz für eine W2- oder W3-Professur. Die Wissenschaftler, die eine Vertretung annehmen, hoffen häufig auch, dass daraus vielleicht mehr wird. Die Vertretungsprofessur kann ein verkapptes Bewerbungsverhältnis auf Dauer sein.
Der 60-Jährige ist promovierter Jurist und seit 1991 Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes. An der Universität Köln ist Hartmer Lehrbeauftragter für Bildungsrecht.
Wie viel weniger eine Vertretung erhält, entscheidet jede Hochschule selbst. Warum gibt es keine einheitlichen Vorgaben der Landesministerien?
Die Länder überweisen den Hochschulen ein Globalbudget. Wie sie ihre Mittel verwenden, überlassen sie weitgehend den Hochschulen. Das ist grundsätzlich auch zu begrüßen. Nach welchen Konditionen Vertretungen angestellt werden, ist von Hochschule von Hochschule unterschiedlich. In der Regel müssen Vertretungen die Leistung eines Professors erbringen, werden aber nicht entsprechend honoriert.
Ist das fair gegenüber Nachwuchswissenschaftlern?
Nein, Vertretung heißt, eine Stelle in vollem Umfang zu übernehmen. Dazu gehört auch, gleich honoriert zu werden. Da muss man nicht anfangen, die vorlesungsfreie Zeit auszunehmen oder einen Sondervertrag zu schlechteren Konditionen aufzusetzen. Das ist aus meiner Sicht unfair.
Was passiert mit dem Geld, das die Universität mit billigeren Professuren einspart?
Die vakanten Stellen sind im Haushalt eingeplant. Ohne sie könnte die Hochschule die übrigen Professoren nicht bezahlen. Deshalb versucht die Hochschule, über unterbezahlte Vertretungen oder noch schlechter bezahlte Lehraufträge Mittel für Personalausgaben einzusparen.
Warum lassen die Hochschulen Lehrstühle nicht ganz unbesetzt, bis sie einen Nachfolger gefunden haben?
Diese Möglichkeit gibt es für die Hochschulen eigentlich nicht. Insbesondere in den zulassungsbeschränkten Studiengängen sind die Hochschulen verpflichtet, ein komplettes Lehrangebot aufrechtzuerhalten. Generell gilt: Wenn die Lehre nicht aus der Fakultät ersetzt werden kann, muss die Hochschule für eine Vertretung von außen sorgen.
Warum zahlen die Hochschulen nicht einfach mehr?
Jeder Dekan würde vermutlich sehr gerne den Vertretungen das volle Gehalt zahlen. Gleichzeitig muss er aber mit den vorhandenen Mitteln auskommen. Er trägt nicht die Verantwortung für die finanziellen Nöte. Gleichwohl könnte jede Hochschule intern entscheiden: Bei uns werden keine Dumpingpreise gezahlt.
Wäre eine gesetzliche Regelung nicht doch sinnvoll?
Die Autonomie der Universitäten ist wichtig. Aus meiner Sicht ist der einzige Weg, dass sich die Universitäten zu einem fairen Belohnungssystem für Vertretungen selbst verpflichten. In einem Wettbewerbssystem könnten sie das sogar zu ihrem Vorteil nutzen und sehr gute Wissenschaftler an ihren Standort locken. Dass die Länder mehr Geld geben oder die Wissenschaftler ihre Karriere aufs Spiel setzen, ist eher unwahrscheinlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!