Jugendzentrum Potse und Drugstore: Ultimatum für die Potse
Stadtrat Schworck (SPD) hat einen Ersatzraum für Drugstore und Potse angeboten. Nimmt die besetzte Potse das Angebot nicht an, droht die Räumung.
Obwohl man dort rund um die Uhr Lärm machen darf, ist der angebotene Raum für das Potse-Kollektiv nicht ideal. Sprecher Paul sagt der taz: „Es ist besser als alles bisher, aber ein Konzertraum ist nicht alles.“ Es fehle viel im Vergleich zu den jetzigen Räumen: „Wir haben eine Werkstatt, Küche, Räume für Plenas und brauchen bei Veranstaltungen einen Awareness-Raum, falls unser Awareness-Team Übergriffe feststellt oder jemand eine Auszeit braucht.“
All dies sei im vorgeschlagenen Raum nicht möglich, dem man sich zudem noch mit dem im Exil befindlichen Jugendprojekt Drugstore teilen müsse. Deswegen sei die Potse weiter auf der Suche nach besseren Räumen und für jeden Hinweis dankbar.
So passten etwa leer stehende Räume in der Rathenower Straße 16 in Moabit wesentlich besser, sagt Paul. In dem leerstehenden Gebäude gebe es mehr Platz und das Kollektiv könnte autark agieren. Der Austausch dazu liefe auch über das Jugendamt und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Gerade, wenn diese Pandemie irgendwann vorbei ist, braucht es Jugendarbeit, um die sozialen Folgen abzufedern“, sagt Paul. Rot-Rot-Grün solle sich gut überlegen, ob es vor der Wahl ein Jugendzentrum räumen will.
Konzertsaal im Rockhaus Lichtenberg
Nach einem Bericht im Neuen Deutschland handelt es sich beim Ersatzraum um den Konzertsaal des Rockhauses Lichtenberg, das im Besitz der Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) ist. Und auch hier gibt es Konflikte: Die Jugendprojekte würden einen Kioskbesitzer mit Musikbedarf verdrängen, der dort seit zehn Jahren Material und Getränke an probende Bands verkauft, Instrumente repariert und den Saal für Konzerte vermietet. Für die gemeinnützige GSE hat ein soziales Projekt Vorrang, zumal die Nutzung durch die Jugendkollektive absehbar vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg bezahlt würde.
Das selbstverwaltete Jugendzentrum in Trägerschaft des Vereins Potse e. V. ist eines der ältesten Jugendzentren Berlins. Es existiert seit 1979. Anfang 2019 weigerte sich das Kollektiv, den Schlüssel für ihre Räume in der Potsdamer Straße 180 herauszugeben. Die Räume hatte der Bezirk zuvor von privat gemietet. Nachdem der Eigentümer allerdings eine höhere Miete verlangte, lief der Mietvertrag aus. Der Bezirk klagte danach erfolgreich auf Räumung.
Domi, Sprecherin Drugstore
Das bis 2019 nebenan befindliche und deutlich größere Jugendzentrum Drugstore hatte damals die Schlüssel abgegeben mit der Aussicht auf geeignete Ersatzräume. Diese sollten eigentlich bereits im Sommer 2019 in der alten Post in der Potsdamer Straße 134/136 zur Verfügung stehen, sind aber noch immer nicht bezugsfertig.
Und so verweilt das seit 1972 als Kollektiv bestehende Drugstore noch immer verstreut im Exil. Jugendliche und Kollektivmitglieder von Potse und Drugstore hatten nicht nur deswegen immer wieder auf fehlende Freiräume für Jugendliche hingewiesen. Teilweise gab es auch versuchte Besetzungen.
„Wir sind komplett am Arsch“
Domi vom Drugstore sagt: „Wir wissen, dass es schwierig bis unmöglich ist, unsere Angebote unter ein Dach zu bringen. Den nun vom Bezirksamt angebotenen Raum für Konzertveranstaltungen könnten wir uns übergangsweise gut vorstellen – auch um unsere Projekte und Kollektive zu schützen, müssen wir das annehmen.“
Gleichzeitig wolle man aber niemanden verdrängen, sagt Domi: „Wir sind absolut bereit und willens, mit jetzigen Nutzern gemeinsame Sache zu machen. Probende Bands können dort gerne Konzerte veranstalten.“ Natürlich könne aus ihrer Sicht auch der Kiosk bestehen bleiben. Langfristig wollen Potse und Drugstore wieder in ihren Bezirk zurückkommen.
Während der Pandemie versuche das Kollektiv die Jugendlichen bei Laune zu halten, indem man über soziale Medien erreichbar sei, Spiele-, Film- und Tresenabende online organisiere. Das Exil und die noch immer nicht bezugsfertigen Räume seien neben der Pandemie allerdings ein zusätzlicher Dämpfer. Mittlerweile seien viele Kollektivmitglieder nur noch abgegessen. Domi sagt: „Wir sind komplett am Arsch. Wir haben viele Tränen und Schweiß seit der Kündigung 2015 vergossen.“
Tempelhof-Schönebergs Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD) hingegen ist froh, überhaupt noch einen Ersatzraum gefunden zu haben. Es sei kurzfristig möglich, dass man jetzt zugreife, sodass die Projekte dort als Übergangslösung unterkommen könnten. Langfristig plant der Bezirk ein Haus der Jugend inklusive geeigneter Räume für Potse und Drugstore. Dafür habe man bereits ein Grundstück in der Schöneberger Straße im Auge und vor der Sommerpause sollen die ersten Planungsschritte eingeleitet werden: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir bald konkret werden können, aber bis das Haus steht, vergehen noch ein paar Jahre“, sagt Schworck.
Bis dahin sei die Zwischenlösung zwar nicht perfekt, aber es sei das beste Angebot, das man bisher vorlegen konnte. Das Drugstore habe bereits Bereitschaft signalisiert, die Potse habe sich Bedenkzeit erbeten. Den Alternativvorschlag der Potse in der Rathenower Straße 16 hält Schworck nicht für machbar, weil das Haus abgerissen werden soll. Nächste Woche soll weiterverhandelt werden.
Mit dem Angebot drängt der SPD-Stadtrat auch darauf, dass das Jugendkollektiv Potse seine Besetzung aufgibt: „Ich sage ganz klar, dieses Angebot steht, ist aber damit verknüpft, dass die Potse aus den jetzigen Räumen rausgeht. Wenn es zu einer Räumung kommen muss, gilt dieses Angebot für die Potse später nicht mehr. Wir können nicht einerseits mit massiver staatlicher Unterstützung Räume freiziehen und dann auf der anderen Seite noch bei der Suche helfen“, sagt Schworck.
Gleichzeitig sei Schworck an einem Kompromiss interessiert: „Seit sechs Jahren beschäftigt mich dieses Kapitel“, sagt er, „es ist außerordentlich schwierig, Räume für Jugendarbeit zu finden. Dort braucht man immer Möglichkeiten, auch mal eine Fete zu machen oder die Musik aufzudrehen.“ Die Lage sei berlinweit dramatisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag