Jugendstrafe für Mutter von Lara Mia: Nie Schlimmes gewollt
Ihre Tochter starb, unterernährt, mit zehn Monaten. Jessica R. habe den Tod in Kauf genommen, urteilt das Hamburger Landgericht - drei Jahre Jugendhaft. Ein milderes Urteil hatte der Bundesgerichtshof verworfen.
HAMBURG taz | Als die Vorsitzende Richterin im Namen des Volkes verkündet, Jessica R. müsse für ihre Tat drei Jahre in Jugendhaft, freuen sich im Saal 378 des Hamburger Landgerichts leise drei Personen. "Die geht rein", sagt ihr Vater hinten auf der Zuschauerbank, ihre Schwestern lachen auf. Jessica R., 21, wird verurteilt wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der elterlichen Fürsorgepflicht. Ihre Tochter Lara Mia war im März 2009 völlig abgemagert gestorben. Jessica R. habe ihren Tod billigend in Kauf genommen, so das Gericht.
Die damals zehn Monate alte Lara Mia habe bei ihrem Tod ein "greisenhaftes" Gesicht gehabt, heißt es im Obduktionsbericht. Ihr Kopf sei ungewöhnlich groß im Vergleich zu den dünnen Armen und Beinen gewesen - das Kind wog 4,8 Kilogramm, die Hälfte des für ihr Alter angemessenen Gewichts, die Fettreserven des Körpers waren zum Todeszeitpunkt schon angegriffen. "Wie ein Kind in Afrika", hatte eine Nachbarin im Zeugenstand das Aussehen von Lara Mia Wochen vor ihrem Tod beschrieben.
Jessica R. stand in dieser Sache zum zweiten Mal vor Gericht. Das erste Urteil, eine Bewährungsstrafe, hob der Bundesgerichtshof im Mai dieses Jahres wieder auf: Die Hamburger Richter hätten ein zu niedriges Strafmaß angewandt. Wann sich R.s damaliger Lebensgefährte ebenfalls erneut vor Gericht verantworten muss, ist unklar.
Am 16. Mai 2008 wird Lara Mia R. geboren, sie ist gesund und propper, sagen die Ärzte.
Ab Oktober 2008 ernähren Jessica R. und Daniel C., der nicht der leibliche Vater ist, Lara Mia nicht mehr ausreichend.
Im November wird die nötige U4-Untersuchung für Babys und Kleinkinder bereits von der Mutter versäumt, ebenso die U5 und U6.
Februar 2009: Lara Mia erbricht sich, ist völlig abgemagert, spätestens jetzt schätzt Jessica R. laut Gericht den Zustand ihres Babys als lebensbedrohlich ein.
3. März 2009: Familienhelferin Marianne K. besucht Jessica R. und Lara Mia, bescheinigt dieser einen guten Gesundheitszustand und fährt in den Urlaub. Für danach hat sie einen Arztbesuch geplant.
11. März 2009: Lara Mia stirbt mit zehn Monaten in ihrem Kinderbett in Hamburg-Wilhelmsburg. Zum Arztbesuch ist es nicht mehr gekommen.
Seit Ende September ist erneut verhandelt worden und jedes Detail aufgerollt. Den Kopf gesenkt verfolgte Jessica R. jeden Prozesstag, ihre Haut fast wächsern, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Meistens hatte sie sich eine Strähne ihrer wasserstoffblonden Haare ins Gesicht gelegt. Gegenüber anderen hatte sie immer wieder behauptet, ihr Kind sei ein schlechter Esser, nehme zu - und sei nach ein paar Stunden wieder dünn. Am liebsten seien Lara Mia Fruchtzwerge.
Nach Auffassung des Gerichts hat Jessica R. die nötige Empathie, Geduld und Energie gefehlt, um ihr Kind ausreichend und regelmäßig zu ernähren. Die Polizeibeamten und der Notarzt, die sie unmittelbar nach dem Tod ihres Kindes erlebt hatten, wunderten sich über den gefassten Zustand der Mutter: Nicht einmal geweint habe sie.
Die Wohnung sei unaufgeräumt gewesen, es habe nach Urin und Fäkalien gestunken, gebrauchte Windeln sollen auf dem Boden gelegen haben, in der Wohnung hätten auch ein Hund und ein Hase gelebt. Am Morgen des 11. März 2009 war Jessica R. noch mit dem Hund Gassi gegangen, bevor ihr auffiel, dass Lara Mia in ihrem Kinderbett nicht mehr atmete, und sie den Notarzt rief.
Jessica R. sei, so das Gericht, in einer zerrütteten Familie aufgewachsen, mit ihren Schwestern seit Jahren zerstritten, jede mögliche Hilfe habe sie als Bevormundung empfunden. Die Schwestern hatten nach dem Tod Lara Mias eine Homepage lanciert, auf der sie über ein Foto von Jessica R. einen roten Schriftzug setzten: "Mörderin".
Die Todesursache des Kindes konnten während des Prozesses auch fünf Sachverständige nicht klären. Wahrscheinliche Hauptursache sei die gravierende Mangelernährung gewesen, hieß es, aber ein plötzlicher Kindstod könne nicht ausgeschlossen werden. Einig waren sich die Beteiligten, dass die Sozialpädagogin Marianne K., die die Kleinfamilie regelmäßig besuchte, versagt hatte. Noch eine Woche vor Lara Mias Tod hatte K. dem Kind einen guten Gesundheitszustand bescheinigt. Sie ist bereits zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro verurteilt worden.
"Ich wollte sagen, dass ich nie was Schlimmes wollte. Ich werde meine Tochter immer lieben, ob man mir das glaubt oder nicht", waren Jessica R.s letzten Worte. Dem Gericht soll sie außerdem gesagt haben, sie wolle sich während und nach der Haft psychotherapeutisch behandeln lassen, ihren Schulabschluss machen - und vielleicht eine Ausbildung zur Tierpflegerin.
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