Jugendliche müssen endlich feiern dürfen: Right to party
Die Jugend hat unter Corona am meisten gelitten. Jetzt muss sie jung sein und entsprechend leben dürfen, statt schon wieder gegängelt zu werden.
I ch geb’s zu: Ein wenig mulmig war auch mir zumute auf dem Schulterblatt am frühen Freitagabend der vergangenen Woche. Ich mochte meine Maske nicht abnehmen, so brechend voll war es. Dabei hatte die erste Partynacht in der Schanze noch nicht mal angefangen. Und als ich mein Rad am Sonntagmorgen durch abertausende Glassplitter wieder zum Büro steuerte, dachte ich tatsächlich einen Moment lang: Vielleicht war der Lockdown gar keine so schlechte Sache?
Aber wenn die jungen Leute nach Monaten des Eingesperrtseins nichts weiter tun, als Flaschen auszutrinken und sie hinterher zu zerdeppern – müssen wir dann nicht dankbar sein? Es herrschte in den vergangenen Wochen breiter Konsens darüber, dass die Jungen die Verlierer der Pandemie sind: Sie haben so viel verpasst, für das sie nun großzügig entschädigt werden sollten – mit Lernferien, Nachhilfepaketen, Notenrabatten oder verlängerten Regelstudienzeiten.
Dabei haben sie vor allem Zwischenmenschliches verpasst: Rumhängen mit Gleichaltrigen, Quatsch machen, Demos, Kino, Körperkontakt, Drogenerfahrungen – was eben so dazugehört zum Erwachsenwerden. Für all das kann die Politik keinen Ersatz schaffen. Das holen sich die Jugendlichen selbst zurück.
Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) redete dem Partyvolk zunächst fast kumpelhaft ins Gewissen: „Was sich am Wochenende in der Schanze abgespielt hat, war total daneben.“ Gefolgt von einer Drohung: „Wir werden im Senat über Maßnahmen beraten müssen, wenn sich die Lage nicht durch Einsicht entspannt.“ Gesagt, getan: Bevor die jungen Menschen Einsicht zeigen konnten, verbot der Senat auf ganz St. Pauli und in der Schanze den Außer-Haus-Verkauf und sogar das „Mitführen“ von Alkohol nach 20 Uhr. Den gibt’s dann nur noch in der Innengastronomie, die bizarrerweise am gestrigen Freitag wieder öffnen durfte – für alle, die sich’s leisten können.
Coronaverbote könnten auch künftig für Ordnung sorgen
Fegebank gab zwischen den Zeilen auch einen deutlichen Hinweis darauf, dass man mit den in der Pandemie erprobten Mitteln auch in Zukunft für Ordnung in der Stadt sorgen könnte: „Das ist nicht nur ein Problem für die Eindämmung der Pandemie, sondern auch für die Menschen, die in der Schanze leben“, teilte sie mit.
Tatsächlich gibt es kaum einen Grund, Treffen an der frischen Luft zu unterbinden: Beim Raven im Florapark ist die Infektionsgefahr viel geringer als in den vollgepackten Klassenzimmern, in denen viele Jugendliche jetzt wieder sitzen – ohne Belüftungsgeräte, mit überwiegend ungeimpften Lehrkräften, die zwischen den Klassen hin und her springen. Und das drei Wochen vor den Sommerferien, wo fast alle Noten schon feststehen.
Man möchte den Kindern zurufen: Schwänzt die Schule und geht lieber feiern! Diesmal stimmt der Beastie-Boys-Klassiker wirklich: „You gotta fight for your right to party!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe