Jugendhilfe-Immobilie: Ein Heim für böse Jungs
Eine ungastliche Unterkunft am Hamburger Bullerdeich wird nicht mehr für junge Geflüchtete benötigt. Jetzt soll sie zum Kurzzeit-Heim für Jugendliche mit „deviantem“ Verhalten werden.
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Der LEB will die Einrichtung einer neuen Nutzung zuführen: Die Zielgruppe der „devianten“ – laut Duden „von der Norm sozialen Verhaltens abweichend“ – jungen Ausländer ist nicht mehr da. Doch der LEB betreibt auch den Jugendnotdienst und sieht eine neue Zielgruppe. Jungen zwischen 14 und 17 Jahren, die weder bei ihren Familien noch in Einrichtungen betreut werden könnten.
Ins Haus nur bei gutem Betragen
Der Bullerdeich war damals kein geschlossenes Heim. Jedoch sah das Konzept vor, dass Jugendliche nur ins Haupthaus durften, wenn sie Regeln einhielten. Wer das nicht tat, verbrachte den Tag im Container auf dem Hof – oder draußen. Nur im Haupthaus gab es Gemeinschaft und Freizeitangebote.
Müller sagte damals, man habe junge Geflüchtete aus Ersteinrichtungen teils nur tageweise dort. „Die machen zwei Tage Auszeit am Bullerdeich und sagen: Ich möchte wieder zurück.“ Für Müller war vor allem die abschreckende Wirkung des Aufenthalts wichtig. Ausweislich einer Reportage der Weltvom November 2015 wurden nur wenige Jugendliche erreicht und in Wohngruppen vermittelt. Viele kamen ins Gefängnis oder reisten in andere Länder. Dennoch schreibt der LEB, er habe „Kompetenz im Umgang mit diesem Klientel erworben“. Der Standort Bullerdeich sei „wesentlicher Baustein“.
Das Grundkonzept soll nun reaktiviert werden für ein Heim mit zehn Plätzen. Auch die Security-Leute soll es rund um die Uhr weiter geben. Als Zielgruppe nennt der LEB nun Jungen mit „deviantem“ Verhalten. Die Kriterien sind teils harte Straftaten wie Gewalt gegen andere Betreute. Aber auch schon die „regelhafte Ablehnung von Hilfsangeboten“, „Verweigerung von Pflichten am Tag“, „Verweigerung des Schulbesuchs“ oder „manipulatives Sozialverhalten“ werden in dem LEB-Papier als Gründe für einen Aufenthalt in der neuen „Clearingstelle“ aufgezählt. Der soll nur „einige Wochen, längstens drei bis fünf Monate“ dauern.
„Für mich ist die Konzeption nicht glaubwürdig. Sie intendiert eher eine Form verkappter geschlossener Unterbringung“, sagt Sabine Boeddinghaus (Linke). Eine Clearingsstelle sei dafür da, zu klären, welche Bedarfe ein Jungendlicher hat und welche Konzepte er braucht.
Linke: „Klare Grenzen für Security“
Die Jugendpolitikerin Boeddinghaus war 2005 Mitglied im Untersuchungsausschuss zum berüchtigten Heim in der Feuerbergstraße. Sie hält den Einsatz von Security für problematisch. Gerade beschäftigt sich das Amtsgericht mit dem Fall eines 17-jährigen Flüchtlings: Er eurde in einer Erstunterkunft von Security-Kräften am Arm gepackt und zu Boden geworfen, weil er morgens nicht aus dem Bett wollte. „Das ist eine zutiefst pädagogische Angelegenheit“, sagt Boeddinghaus. Sei Security im Heim-Einsatz, „müssen die Grenzen klar gezogen werden“.
Hamburgs Sozialbehörde kann konkrete Fragen zum Betrieb noch nicht beantworten. Man brauche erst eine Nutzungsgenehmigung des Bezirks, sagt Sprecher Marcel Schweitzer. Aus Mitte sei noch keine Stellungnahme gekommen. Dort hat man für den Ort zwar andere Pläne. Der Hof soll Teil des künftigen Alster-Elbe-Grünzugs werden. Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg sagt, es ginge seines Wissens nur um eine einjährige Verlängerung der Heim-Nutzung. „Da sehen wir keine kritischen Punkte.“
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