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Jürgen Klinsmann und Hertha BSCKlinsi geht, Blender bleibt

Die Flucht des Hertha-Trainers hat viel Spott und Häme ausgelöst. Dabei hält Klinsmann uns doch allen den Spiegel unserer Erlösersehnsucht vor.

Jürgen Klinsmann in seiner kaulquappigen Art Foto: Soeren Strache/dpa

G eht uns das nicht allen manchmal so? „Und dann hab ich so wenig geschlafen die Nacht, und dann bin ich halt so ein Typ, der vor sich selbst auch nicht Halt machen kann“ – was haben wir nicht selbst schon alles gesagt und getan an einem Dienstagmorgen. Jürgen Klinsmann hat an so einem Dienstag nach 80-Millionen-Euro-Einkäufen einseitig mit der Hertha Schluss gemacht, in allen Einzelheiten nachvollziehbar in seinem Facebook-Video.

Ein letztes Mal noch so voll Zehner­jahre in den Zwanzigern. Tapsige Facebook-Einträge, öffentliche Liebesbeichte („viele Dinge sind passiert, die sehr schwer waren für mich“) und das Waschen dreckiger Wäsche in der Fußballöffentlichkeit, deren Kommunikation sich eigentlich durch PR-Berater professionalisiert hat.

In einem abgeriegelten Geschäft also führt Klinsi uns vor, was ihn in echt an Preetz nervt, wie ein Trainer den Tag nach dem Rücktritt verbringt und alles halb Wahre über interne Vertragsdiskussionen. Eine radikale Transparenz, die die Bundesliga viel unterhaltsamer machen würde, ihre Protagonisten menschlicher, ihre Motive nachvollziehbarer. Und die vom Zeitgeist nicht honoriert wird.

Vor allem aber hat Jürgen Klinsmann uns unfreiwillig den Spiegel vorgehalten. Deutsche haben ja eine traditionell ungute Fixierung auf einen Mann, der verspricht, alle Probleme zu lösen. Heute muss man da nicht einmal Merz zitieren, der Erlösermythos zieht sich von Habeck bis Höcke. Klinsi trat dreimal als Heiland an und scheiterte zweimal; und der Hohn der Medien ist ja auch bloß eine durchsichtige Selbstkasteiung derer, die eben noch an den dauer­grinsenden Selbstdarsteller glaubten.

Jetzt schenkt uns der Mann den Realitätsschock: Da sitzt er vor der Kamera, rudert etwas kaulquappig mit den Armen, im Hintergrund eines dieser Gläser mit Kieselsteinen und grünem Gestrüpp, wie sie bei jeder Petra zu Hause rumstehen, Klinsi ist auch nur einer wie wir eben. Verhindert das am Ende Merz als Kanzler?

Der ganz große Blender bei Hertha aber bleibt am Schalthebel, Lars Windhorst sieht den Klub weiter auf dem Weg in die europäische Spitze. Investoren kann man nicht abwählen, er sieht für Hertha grenzenlose Wachstumschancen. Das ist schon fast 2000er.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de
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2 Kommentare

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  • Ein recht guter Artikel, Frau Schwärmer. Es geht doch. Marcel Reif, jeder mag über ihn denken was er will: Wenn sich bei UNION drei Leute hinstellen und ein Lied singen, interessiert das mehr Leute als vieles, was bei Hertha passsiert. 22. Spieltag und UNION steht in der Tabelle immer noch vor Hertha! UNVEU

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