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Klinsmann-Abgang bei Hertha BSCDer nächste Erlöser wird gesucht

Kommentar von Jenni Wulfhekel

Nach den überraschenden Rücktritt von Jürgen Klinsmann als Hertha-Trainer bleiben Fragen. Woran lag es? Und wer könnte nun kommen?

Lächelt jetzt nicht mehr für Hertha: Jürgen Klinsmann Foto: dpa

A m Gesundbrunnen landet ein Hubschrauber, aus dem ein gut gelaunter Jürgen Klinsmann in hellblauem Poloshirt steigt. Er trägt eine Sonnenbrille, damit er den grauen Betonblock rund um die Stelle, die einst Plumpe genannt wurde, nicht in seiner ganzen Schroffheit ertragen muss.

Das einstige Stadion an der Grenze zum Wedding war die erste Spielstätte Hertha BSCs und, mit Unterbrechung, Heimat bis zum Umzug ins Olympiastadion. Eine Delegation des Vereins zeigt dem 55-Jährigen das Areal, das heute nicht mal mehr im Ansatz an die glorreichen Zeiten erinnert. Aus dem „Bierbrunnen“ gegenüber starren sie verständnislos.

Das ist so nie passiert, und so wird es auch nie passieren – das ist seit Dienstag klar.

Am Dienstag hat Jürgen Klinsmann nach nur 76 Tagen den Posten des Cheftrainers bei Hertha BSC aufgegeben. Auf dem eigenen Facebook-Kanal verkündete er seine Entscheidung, bevor sich der Verein dazu äußern konnte. Der Klub reagierte deutlich: Seit Donnerstag ist bekannt, dass Klinsmann seinen Sitz im Aufsichtsrat ebenfalls verliert und somit keine Verbindungen mehr zum Verein bleiben.

Ende November, zu Kliensmanns Amtsantritt, hatten sie im Zuge der Liebeschwüre an Stadt und Verein noch keine Idee, wie kurz dieses Abenteuer würde. Dabei hat es Ideen und Umstrukturierungen gehagelt, die so fantastisch klangen, als hätte man sie im Labor entwickelt. Kommuniziert wurde in nebulösem Marketingsprech. Und wären Investor Lars Windhorst („der Lars“) und der neue Cheftrainer selbst nicht so euphorisch dahergekommen, hätte man damals schon ahnen können, dass Berlin für eine 180-Grad-Drehung nicht den Nährboden gibt. Nicht als Stadt, nicht als Verein.

Hertha ist für eine 180-Grad-Wende schlicht der völlig falsche Verein

Vor wenigen Jahren war es Fans schon einmal unangenehm aufgestoßen, als man eine Werbeagentur beauftragte, das Image der Hertha zu modernisieren. Als „ältestes Start-up Berlins“ bewarb man fortan die alte Dame. Fans und Verein versöhnten sich mit dem dankbaren Slogan: In Berlin kannst du alles sein.

Dass dies nur bedingt auf Vereins- und Arbeitsstruktur von Hertha BSC zutrifft, hat Jürgen Klinsmann recht früh spüren müssen. Die großen Ideen waren zu weit weg von Team, zu weit weg von der bodenständigen Hauptstadt, die ihre eigenen Gesetze schreibt.

Vielleicht hat Berlin Klinsmann schlicht nicht verdient

Eine letzte Runde über den Gendarmenmarkt, dann fliegt Jürgen Klinsmann wieder in den weichen Schoß Kaliforniens. Zu Frau und Heim. Vielleicht hat Berlin diesen Mann schlicht nicht verdient.

Doch im „Bierbrunnen“ weint niemand dem 55-Jährigen hinterher. Hier spricht man von früher, nicht von der Zukunft. An den mit Vereinsbildern tapezierten Wänden des Lokals malt sich die Geschichte der Hertha rund durch die Räumlichkeiten.

Auf einem dieser Bilder ist Niko Kovač abgebildet, Berliner und ehemaliger Hertha-Spieler. Im Wedding geboren, spielte er noch zu Zweitligazeiten für die Berliner und trainierte zuletzt erfolgreich Bayern München. Am Gesundbrunnen wäre man erfreut über seine Rückkehr.

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