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Jüngste Luftangriffe auf die UkrainePlanmäßig und zielgerichtet

Kommentar von Barbara Oertel

Über Weihnachten hat Russland die Ukraine so schwer angegriffen, wie schon lange nicht mehr. Silvester dürfte das Bomben weitergehen.

Sanitäter behandeln einen verletzten ukrainischen Soldaten Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

G lauben Sie noch an den Weihnachtsmann? Eben. Von ähnlicher Güte ist die jüngste Märchenstunde des Kremls, mit der dieser die massiven Angriffe auf die kritische Infrastruktur in der Ukraine begründet – pünktlich zum Christfest versteht sich. Besagte Objekte unterstützten den militärindustriellen Komplex in der Ukraine, heißt es da, alle Ziele seien erreicht worden.

Wahrscheinlich ist das auch die Rechtfertigung für den Angriff auf den Zentralmarkt in Nikopol mit mehreren Schwerstverletzten an diesem Donnerstag. Die südukrainische Großstadt liegt ohnehin unter russischem Dauerbeschuss. Auch da dürfte sich unter so manchem Gemüsestand wohl noch das eine oder andere Waffendepot finden lassen. Mehr Zynismus geht nicht.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat anlässlich dieser jüngsten Angriffswelle die Frage gestellt, was noch inhumaner sein könnte. Aber würde jemand allen Ernstes von Russland derzeit etwas anderes erwarten? Die gezielte planmäßige Zerstörung von kritischer Infrastruktur ist fester Bestandteil der „Spezialoperation“. Frischfleisch hat Präsident Wladimir Putin offensichtlich noch genug. Hohe Verluste, ob bei den Nordkoreanern im Gebiet Kursk oder den eigenen Leuten: uninteressant. Die Waffenproduktion in Russland, das auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, läuft auf Hochtouren. Warum sollte es Moskau mit etwaigen Verhandlungslösungen eilig haben?

Derweil durchleiden die Ukrai­ne­r*in­nen ihren dritten Kriegswinter. Zu Erschöpfung gesellt sich die Angst, ob es nicht doch über den Kopf Kyjiws hinweg, zu einem Diktatfrieden kommen könnte. Die Furcht ist berechtigt. Von einem Konsens der europäischen Staaten kann keine Rede sein. Was von Donald Trump ab dem 20. Januar 2025 zu erwarten ist: unklar.

Klar hingegen ist, dass russische Truppen weiter bomben werden. Als nächstes symbolträchtiges Datum böte sich der 31. Dezember an. Frohes neues Jahr? Für die Menschen in der Ukraine wohl kaum.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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6 Kommentare

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  • Zunächst eine Anmerkung nebenbei: Für die Russen ist heute Donnerstag. Weihnachten ist der 6. Januar. Die Verluste...nun, ich wäre skeptisch bei "gegnerischen Verlusten", die eine Seite im Krieg angibt. Ich darf mal an den "Body Count" der Amerikaner in Vietnam erinnern.



    Wo Frau Oertel Recht hat: Putin hat wenig Anreiz zu Verhandlungen. Das wäre im Herbst 2022 noch anders gewesen. Aber damals dachte der Weste auch, dass die Ukraine gewinnen würde. Warum also verhandeln? General Milley hat das damals vorhergesagt.



    Ich denke, die Russen werden sehr, sehr harsche Bedingungen setzen. Und am Ende wird die Ukraine entweder diese akzeptieren. Oder die Russen werden diese Bedingungen militärisch durchsetzen.

    • @Kartöfellchen:

      Passt zu Ihnen, dass Sie einfach mal festsetzen, dass Weihnachten am 6.01. ist. Mal schauen, ob Russland dann seinen Terror mal bleiben lässt, wenigstens für einen Tag?

      • @tazziragazzi:

        Passt zu mir, Dinge zu wissen. Nicht alle orthodoxen Kirchen haben die (katholische) gregorianische Kalenderreform übernommen, daher feiern sie Feste einfach später. Derselbe Grund, warum die Oktoberrevolution nach Einführung der Kalenderreform in der UdSSR immer am 7. November gefeiert wurde.



        Orban hat dies nach eigenen Aussagen bei Putin gefordert, ein paar Tage über das orthodoxe Weihnachten die Waffen schweigen zu lassen. Aber dazu sind die Nachrichten ein Chaos, wo jeder jeden irgendwie verantwortlich macht. Geben Sie Orban und Weihnachtswaffenstillstand bei Google ein. Vermutlich wird es also nichts. Leider.

  • Wenn ich Artikel wie diese über das schlimme russische Vorgehen lese, muss ich immer wieder daran denken wie es vielfach bei uns im Westen im Herbst 22 hieß, dass Russland Eskalationpotenial aufgebracht ist, dabei ist leider noch so viel mehr möglich.



    Man könnte jetzt über evt. verpasste Möglichkeiten reden wie ein Verhandlungsangebot an Russland im Herbst 22 (Putin hatte große Bedenken bzgl Mobilisierung und Umstellung auf Kriegswirtschaft) oder die abgebrochenen instanbuler Verhandlungen oder man beschäftigt sich endlich ernsthaft damit was an Zugeständnissen gegenüber Russland noch verkraftbar für die Ukraine ist um eine diplomatische zu finden. Die Alternative ist ein "weiter so", wobei ich abgesehen von dem hohen humanitären Leid und Zerstörung der ein weiterer Krieg kostet, sehr skeptisch bin, dass sich die Verhandlungsposition dahingehend verbessert, dass die Ukraine auf "Augenhöhe" verhandeln kann. Als Unterstützer der Ukraine tragen wir da durchaus eine gewisse Verantwortung.

  • Die Alternative zum Krieg ist nunmal Frieden.



    Ich frage mich, was denn einige hier vor 2 Jahren erwartet haben, was bei diesem Krieg herauskommt?



    Ein glorreicher Durchmarsch der heldenhaften ukrainischen Armee bis Moskau, wo dann der Tyrann Putin endlich abgesetzt wird und nach Den Haag vors Kriegsverbrechertribunal geschliffen wird? Daraufhin erhält die Ukraine umfassende Reparationen aus Russland um für die Kriegsschäden und Verbrechen aufzukommen.



    In Russland setzen sich demokratische Kräfte durch, die eine massive Abrüstung beschließen und sämtliche Atomwaffen an die USA übergeben.

    So hat man sich das vorgestellt, ja? Ich habe es schon Mitte 2022 gesagt: Verhandelt jetzt, so billig wie jetzt wird es nie wieder in diesem Krieg Frieden für die Ukraine geben!



    Was war die Antwort? Man setze auf den vollständigen Sieg auf dem Schlachtfeld und müsse Russland eine "Strategische Niederlage" zufügen!



    Davon ist man heute meilenweit entfernt. Putin sitzt fest im Sattel, die Ukraine liegt in Trümmern und die ukrainische Armee wird auf absehbare Zeit zusammenbrechen.



    Und selbst in dieser Situation hält es hier niemand für notwendig, endlich zusammenzukommen und den Krieg zu beenden.

    • @TeeTS:

      Ich möchte hier Prof. Mearsheimer zitieren, der genau das vorhersagte. Er sagte auch: "We won´t fight for them, you understand. We will be fighting till the last ukrainian". Jetzt will Blinken, dass die ab 18jährigen eingezogen werden. Für was? Damit der Krieg noch ein, zwei Jahre dauert, ohne dass sich am finalen Outcome etwas ändert?