Jüdisches Leben in Europa: „Wir müssen wachsam sein“
Absolute Sicherheit gibt es nicht, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Deswegen müsse versucht werden, Terror durch Aufklärung zu verhindern.
taz: Herr Schuster, was war Ihre erste Reaktion, als Sie von den Anschlägen in Kopenhagen gehört haben?
Josef Schuster: Die erste Reaktion war ein ehrliches Erschrecken. Innerlich war für mich damit eigentlich auch klar, dass der Terrorismus tatsächlich mitten in Europa angekommen ist und die schrecklichen Anschläge von Paris keine einmaligen Vorfälle waren.
Erst der mörderische Überfall auf den koscheren Supermarkt in Paris und jetzt die tödlichen Schüsse vor der Kopenhagener Synagoge. Für wie bedroht halten Sie jüdisches Leben in Europa?
Ich halte jüdisches Leben leider nicht nur, aber auch in Europa für bedroht. Die in Kopenhagen getroffenen Sicherheitsmaßnahmen haben wohl, davon bin ich überzeugt, wenigstens ein größeres Blutvergießen verhindert.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die Juden in Europa zur Auswanderung nach Israel aufgerufen. Was halten Sie davon?
Israel ist die Heimstätte aller Juden und damit immer unsere Rückversicherung. Aber Terrorismus ist ein weltweites Phänomen. Unter dem Aspekt terroristischer Anschläge ist man als Jude in Europa nicht weniger sicher als etwa in den USA oder auch in Israel. Israel hat viel für die Sicherheit getan, sehr erfolgreich. Aber wir sehen, dass man auch in Kopenhagen etwas getan hat, was Schlimmeres verhindert hat. Eine absolute Sicherheit gibt es nirgends auf der Welt.
Im Osten Frankreichs wurden mehrere hundert Gräber auf einem jüdischen Friedhof geschändet, und ebenfalls am Wochenende haben Unbekannte Gräber auf einem jüdischen Friedhof in Oldenburg mit Hakenkreuzen beschmiert. Droht eine neue Welle des Antisemitismus?
Es sind absolut erschreckende Vorfälle, wenn jüdische Gräber beschmiert, wenn jüdische Friedhöfe geschändet werden. Denn hier werden ja antisemitische Handlungen an heiligen jüdischen Orten vorgenommen, an denen letztlich auch ein kompletter Schutz nicht möglich ist. Hier gilt es, entsprechend wachsam zu sein. Ob eine neue Welle von Antisemitismus droht, vermag ich momentan nicht abzuschätzen.
geboren 1954, ist seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Würzburger Mediziner ist zudem Vize-Präsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Sein Vater und seine Mutter überlebten die NS-Verfolgung in Palästina.
Haben die Anschläge von Frankreich und Dänemark Konsequenzen für den Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland?
Die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der jüdischen Einrichtungen in Deutschland wurden nach den Anschlägen in Paris von den Behörden überprüft und anschließend entsprechend angepasst. Ich gehe davon aus, dass man das gerade nach dem neuerlichen Anschlag noch einmal tun wird. Dort, wo man es für nötig hält, wird sicherlich noch einmal etwas geändert. Ich habe das Gefühl, dass die Sicherheitsbehörden sehr verantwortlich mit der Thematik umgehen.
Welche Lehren sollten aus den Anschlägen gezogen werden?
In der Politik sollte nochmals kritisch hinterfragt werden, ob die Sicherheitsmaßnahmen nicht noch weiter optimiert werden können. Darüber hinaus muss durch interne Aufklärung alles getan werden, um solche Anschläge im Vorfeld zu verhindern. Ich sehe in diesem Zusammenhang auch die Absage des Karnevalszugs in Braunschweig, so unschön es ist, als eine – wenn diese Informationen über eine Bedrohung entsprechend valide waren – richtige Entscheidung.
Welche Konsequenzen müsste man aus Ihrer Sicht jenseits der Sicherheitsfrage ziehen?
Jenseits der Sicherheitsfrage gilt auch weiterhin der Appell, dass gerade in den muslimischen Kreisen alles dafür getan werden muss, um Antisemitismus, Judenfeindlichkeit, gerade bei jüngeren Mitgliedern der Moscheegemeinden, entsprechend argumentativ zu bekämpfen. Hier muss noch deutlich mehr getan werden.
Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt hat der Zentralrat der Juden gemeinsam mit den muslimischen Verbänden vor dem Brandenburger Tor demonstriert. War das ein Schritt zu einer besseren Zusammenarbeit?
Diese Zusammenarbeit zu verbessern, zu vertiefen ist wünschenswert. Aber das gilt sicherlich nur dann, wenn wir das Gefühl haben, dass sie auch auf fruchtbaren Boden fällt. Da bestehen weiterhin leider einige Zweifel.
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