Jüdisches Leben in Deutschland: Die Suche hört niemals auf
In Berlin haben sich Menschen auf die Spuren einer jüdischen Familie begeben. Was dabei zunehmend an Bedeutung gewinnt: die Rolle digitaler Archive.
D ie Hackerstraße liegt in einer der ruhigen und gut bürgerlichen Gegenden im Süden Berlins, gesäumt von Häusern, die Anfang des vorigen Jahrhunderts entstanden sind. Das gelbe Eckhaus mit der Nummer 22 ist 1911 erbaut worden. Im Berliner Telefonbuch von 1920 wird unter dieser Adresse die Familie von Sally Driesen und seiner Frau Selma, geborene Lewin, geführt: I. OG, also erstes Obergeschoss, links. Hier haben die Driesens mit den Söhnen Paul und Hans-Philipp sowie mit Selmas Schwester, Dorothea Lewin, gewohnt.
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Im Vorgarten wächst heute, gut 100 Jahre später, pflegeleichter Efeu, in dem aus besonderem Anlass fünf langstielige, weiße Rosen stecken: zwei rechts vom Weg für die Söhne der Driesens, die in den 1930ern nach Palästina geflüchtet sind; drei Rosen links für Sally und Selma Driesen sowie Dorothea Lewin. Sally Driesen starb 1940 in einem Berliner Krankenhaus, offiziell an Herzversagen; die beiden Schwestern wurden 1943 deportiert und in Auschwitz ermordet.
Eine kleine Gruppe Menschen ist an diesem Freitag im Februar für eine ungewöhnliche Gedenkzeremonie ohne festes Zeremoniell zusammengekommen. Gunter Demnig, bildender Künstler und Initiator der inzwischen europaweit verlegten Stolpersteine, ist mit einem roten Transporter und einem Gehilfen gekommen und wird fünf Gedenksteine für die einstigen jüdischen Bewohner:innen der Hackerstraße 22 setzen. Wortlos wird er seine Arbeit verrichten, während die kleine Gedenkfeier läuft.
Gundula Oertel über den ersten Besuch der Familie Driesen in Berlin
Die Kantorin der jüdischen Gemeinde Berlins, Avitall Gerstetter, wird am Ende das Kaddisch, das Gebet für die Toten, sagen und sehr schön singen. Auch Ori Avigdorov, Enkel von Paul Driesen, wird ein Kaddisch auf Hebräisch sprechen. Er ist aus Israel angereist, er ist zum ersten Mal in Berlin. Seine Frau und Tochter stehen neben ihm.
Oris Mutter Alisa, die Tochter von Paul Driesen, hat sich die Reise aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zugetraut. Anders als 2005, als sie mit ihrer Schwester Nomi und ihrer deutschen Großkusine vor dem Haus Nummer 22 stand und von einer Hausbewohnerin angesprochen und hilfsbereit gefragt wurden, wonach sie suchten. Sie suchten die Wohnung, in der ihre Großeltern gelebt und ihre Väter groß geworden waren.
Sie landeten in der Wohnung von Gundula Oertel, die heute sagt: „Nach diesem Besuch hatte ich das Gefühl, dass ich das nicht einfach wieder so ablegen kann. Und auch nicht wollte. Denn ab da war der Holocaust für mich nicht mehr abstrakt.“
Es sollten trotzdem noch etwa zehn Jahre vergehen, bis die freie Autorin und Journalistin die Geschichte der ehemaligen Hausbewohner:innen zu recherchieren begann und die Verlegung der Stolpersteine initiierte. Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten und neue Zugänge, der Geschichte der eigenen Stadt, der eigenen Straße, des eigenen Hauses nachzuspüren. Die Driesens, weiß Oertel heute, haben nicht in ihrer, sondern in der Wohnung gegenüber gewohnt. Doch mit einem Klick ist die Suche lange nicht getan.
Den entscheidenden Anstoß bekam Oertel 2014 durch ihre Schwägerin, eine Historikerin, und den Verein Tracing the Past. Der erstellt mit dem Projekt Mapping the Lives interaktive Stadtpläne, die Adressen der zwischen 1933 und 1945 Verfolgten des NS-Regimes enthalten, basierend auf den Daten der Volkszählung von 1939.
Damals musste jeder Haushaltsvorstand eine sogenannte Ergänzungskarte ausfüllen, auf der gegebenenfalls der jüdische Hintergrund der einzelnen Familienmitglieder mit den Großeltern angegeben werden musste. Diese Karten überlebten den Krieg, sie gelangten in Besitz des DDR-Staatsarchivs und gingen nach der Wende ans Bundesarchiv. Einige Regionen fehlen, nicht aber Berlin.
Die Idee zur Gründung von Tracing the Past hatte Roderick Miller. Der Verein ist bewusst klein gehalten: neun Leute, Historiker:innen, Bibliothekare und Informatiker. Miller, ein US-Amerikaner, ist „der einzige Amateur“ in dieser Gruppe, wie er spöttelnd bei einem Videotelefonat mit der taz sagt. Der Journalist und Musiker zog 2004 von New York nach Berlin, wo er 2016 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragte. Als er von ehemaligen jüdischen Bewohner:innen in seinem Berliner Mietshaus erfuhr, versuchte er, Informationen zusammenzutragen. Es war schwierig. „Es standen jede Menge einzelne Zeugnisse oder Dokumente im Internet“, erinnert er sich, „ohne dass sie vernetzt gewesen wären.“ Auch die Archive waren der Öffentlichkeit oft nicht zugänglich.
„Die Archiv-Regeln sind ein wenig antiquiert in Deutschland“, sagt Miller milde. Er sammelte private Spenden und steckte sein Erbe in das Projekt Mapping the Lives, eine Datenbank, die heute Einträge zu über 950.000 Verfolgten des NS-Regimes mit verifizierbaren Quellen enthält, ergänzt um die Daten aus der Residentenliste des Bundesarchivs. Es ist ein langer Weg, work in progress. Auf die Authentizität der Quellen lege man großen Wert, erklärt Miller. „Auch wenn wir Bürgerforschung und Crowdsourcing betreiben, setzen wir höchste wissenschaftliche Standards an.“
Tracing the Past bot Oertel erste Ansatzpunkte, und doch bedurfte es von da an einer langwierigen Archivsuche, erzählt sie bei einem Treffen in ihrer Wohnung. Paul Driesen beispielsweise war 1933 nach seiner Zwangsexmatrikulation als fast fertiger Arzt ins damalige Palästina ausgewandert und wurde 1939 gar nicht mehr „gezählt“.
Oertel drückt Enkel Ori Avigdorov beim Kaffee im Anschluss an die Gedenkfeier eine Kopie der Personal- oder Matrikelkarte Paul Driesens in die Hand, die in roter Farbe den Stempel „Gelöscht m 31.7.33. Wegen Nicht-Befolgung der Feststellung von Nicht-Ariern“ trägt. Durch Zufall ist Oertel im Internet auf eine Namensliste von Medizinstudenten der damaligen Friedrich-Wilhelm-Universität gestoßen, die jemand geerbt und zu Recherchezwecken ins Internet gestellt hat. Oertel fand den Namen Paul Driesen und darüber seine Matrikelnummer. Die heutige Humboldt-Universität hatte die Karte im Archiv. Etwas unsicher studiert Avigdorov die Kopie mit der alten deutschen Schrift. Er spricht kein Deutsch.
Neben ihm sitzt Doris Kretschmer, die Großkusine seiner Mutter. Geboren 1951, ist sie die Enkelin des einzigen Überlebenden der Lewin-Geschwister. Ihr Großvater Georg Lewin war Uhrmacher im brandenburgischen Putlitz, verheiratet mit einer Nichtjüdin, was ihn anfangs vermutlich schützte. 1940 ging er nach Berlin. Er war nach dem Tod von Sally Driesen häufiger in der Hackerstraße zu Besuch und ab 1942 in der Hohenstauffenstraße gemeldet, wohin seine Schwestern Selma und Dorothea umziehen mussten, nachdem die Wohnung in der Hackerstraße beschlagnahmt worden war.
Oertel ist im Landesarchiv Berlin auf den Wiedergutmachungsantrag von Paul und Hans-Philipp Driesen gestoßen. 1.310 D-Mark haben die Brüder 1959 für die 1942 übrig gebliebenen Möbel und Hausrat als Entschädigung zugesprochen bekommen. Was aus den China- und Japanwaren geworden ist, mit denen Sally Driesen handelte, ist nicht bekannt.
Es sind viele Details, die die Recherche „immer komplexer“ werden lassen, wie Oertel sagt. Wer die Toten sind, ist – unzulänglich – bekannt. Gundula Oertel geht es darum, sie aus der Namenlosigkeit zu holen, sie vor dem Vergessen zu bewahren, einer Haltung auch Handlungen folgen zu lassen. Über die Täter weiß man nur so viel: Es waren, ganz allgemein gesprochen, die Nazis.
Doris Kretschmer hat in einer Ausstellung in München über die Rolle der Reichsbahn den Tag und Ort der Deportation der Schwestern ihres Großvaters ausfindig gemacht. „Es war Zufall“, erzählt sie, „dass ich in München umsteigen musste. Und ich hatte in der Zeitung von der Ausstellung ‚Züge in den Tod‘ gelesen, die am Bahnhof zu sehen sein sollte, die aber ohne Hinweise schwer zu finden war. Dort lagen die Bücher zu den Transporten aus. Ich habe sie aufgeschlagen, und die Namen gesucht. Und da standen sie tatsächlich: Dorothea Lewin, Selma Lewin, Marta Lewin.“
Dorothea Lewin wurde mit dem 28. Osttransport am 3. Februar 1943 deportiert, Selma und Marta Lewin fuhren am 12. März 1943 mit dem 36. Osttransport in den Tod. Einzufinden hatten sie sich an der Putlitzbrücke, dem ehemaligen Güterbahnhof in Berlin-Moabit.
Marta Lewin war die jüngste Schwester von Dorothea, Selma und Georg Lewin, die nach dem frühen Tod der Mutter adoptiert worden war. Kretschmer hält Kontakt zu den Nachfahren in den USA. Wie jede kinderreiche Familie sind die Driesens und Lewins weit verzweigt und die Nachfahren leben heute weit verstreut.
„Allein in Zusammenhang mit dieser Familie müsste man noch weitere Stolpersteine setzen“, sagt Gundula Oertel. Bisher habe man überwiegend die mütterliche Seite, die der Lewins, recherchiert, weil es da die persönlichen Kontakte gab. Fast 10.000 Stolpersteine gibt es in Berlin, aber etwa 60.000 Berliner Juden und Jüdinnen wurden ermordet. Doris Kretschmer möchte ausfindig machen, wo Marta Lewin gelebt hat und dort für einen Stolperstein sorgen.
Die ehemalige Kunst- und Ethiklehrerin hat zu Hause im brandenburgischen Wittstock/Dosse, eine halbe Stunde Fahrt von Putlitz entfernt, in ihrem Atelier ein Bild gemalt: eine schmale, mehrere Meter lange Leinwand, die den Deportationszug Richtung Auschwitz zeigt und die drei Frauen, die, bewacht von SS-Leuten, in den Zug steigen müssen – auch wenn sie damals nicht alle am selben Tag deportiert worden sind. Der Bruder – Kretschmers Großvater, mit Judenstern – steht auf dem Gemälde abseits, er bleibt zurück. „Das Bild verdichtet die Realität“, erklärt Kretschmer. Die Leinwand rollt sie bei der Gedenkstunde neben dem Hauseingang der Hackerstraße 22 aus und hält eine kleine Ansprache, in der sie von ihrem Großvater berichtet.
„Er war der einzige Jude in Putlitz“, sagt sie. Einen Tag nach dem 9. November 1938 hatten Nazi-Schläger die Schaufenster und Einrichtung seines Geschäfts zertrümmert, ihn blutig geprügelt und Richtung Fluss geschleppt, um ihn zu ertränken. Die Aktion misslang, er wurde durch beherzte Mitbürger gerettet. Georg Lewin ging nach Berlin, lebte zeitweise bei den Schwestern und tauchte ab 1942 unter, wo und wie, ist Doris Kretschmer nicht bekannt. „Meine Großmutter wollte nicht darüber sprechen“, sagt sie.
Georg Lewin starb 1953, da war seine Enkelin erst zwei Jahre alt. Alles, was Kretschmer weiß, hat sie von ihrer Mutter, die sich immer geärgert hat, wenn am 9. November in der DDR die Opfer des Faschismus geehrt wurden. „Mein Opa galt als Verfolgter des NS-Regimes. Dafür bekam er neben zwei anderen jährlich einen Kranz. Aber dass die Familie gelitten hat, dass sie entrechtet und gedemütigt wurde, darüber hat niemand gesprochen“, sagt Kretschmer.
Entschädigungszahlungen gab es in der DDR nicht, Widerstandskämpfer oder ehemalige Lagerinsassen bekamen Ehrenpensionen – im antifaschistischen Selbstverständnis der DDR stand die moralische Anerkennung vor allem den politisch Verfolgten zu. „Meine Mutter nahm nicht an der Kranzlegung teil“, sagt Kretschmer. „Sobald die SED-Funktionäre weg waren, ging sie hin, nahm den Kranz und warf ihn in hohem Bogen auf den Abfallhaufen. Das war ihre Form des heimlichen Protests.“
Über ihre jüdischen Wurzeln wurde in Kretschmers Familie nicht gesprochen. Als Schülerin besuchte sie KZ-Gedenkstätten, das war Pflichtprogramm. „Da war auch immer von einem Anteil jüdischer Gefangener die Rede. Aber das traf ja alles auf meinen Opa gar nicht zu. Er war weder inhaftiert noch umgebracht worden.“ Sein Uhrmachergeschäft konnte Georg Lewin nach dem Krieg nicht wieder aufnehmen. „Er war fügsam,“ sagt seine Enkelin, „er blieb mit seiner Geschichte allein. Man hätte ihm den Rücken stärken müssen.“
Doris Kretschmer hat nach der Wende Kontakt zu ihren Verwandten in Israel aufgenommen und seit 2005 weiß sie, dass ihre Großtanten in Auschwitz ums Leben gekommen sind. „Dass sie tot waren, wussten wir. Aber wo und wann sie gestorben sind, wussten wir nicht.“ Das hat sie erst durch eine Online-Anfrage an das Archiv von Yad Vashem, der großen Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, herausgefunden.
Der Verein Tracing the Past, zu Deutsch etwa: der Vergangenheit nachspüren, ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Erinnerung an die Verfolgten des Nazi-Regimes widmet. Ziel ist, interaktive Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die Privatpersonen für eigene Recherchen nutzen können. Die Mittel werden über Spenden generiert. Sie fließen laut Verein in Forschungs- und IT-Arbeit.
Das Projekt Mapping the Lives, zu Deutsch etwa: Lebensgeschichten kartieren, will interaktive Stadtpläne entstehen lassen, die wie ein virtuelles Fenster in die Vergangenheit wirken. Verzeichnet werden sollen dort Adressen und biografische Daten von Opfern des Nazi-Regimes. Ziel sei es, „jede beliebige Straße in Europa entlanglaufen zu können und dabei ein Wissen über die Holocaust-spezifische Geschichte dieses Ortes zu erwerben“, heißt es auf der Webseite. (akl)
Haben also die Öffnung der Archive nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und die zunehmende Digitalisierung die Möglichkeiten der historischen und persönlichen Spurensuche vergrößert? Jein. „Ohne Tracing the Past wäre ich keinen Schritt weitergekommen“, sagt Oertel. Die Datenbank zeigte bei der ersten Suche für die Adresse Hackerstraße vier Namen der Familie Driesen-Lewin an – ohne Paul. „Aber mehr als das reine Faktum, die Namen der Familie, stand nicht drin. Kein Verweis auf Quellen – gar nichts.“ Die wesentlichen Bausteine habe ihre Schwägerin geliefert, sagt Oertel, die den Hinweisen gefolgt ist. Doris Kretschmer sagt, die wesentlichen Details habe Oertel gefunden. Die Suche in der Vergangenheit, es war und ist Teamarbeit.
Oertels Schwägerin Caroline Flick ist Historikerin und von Anfang an Mitglied bei Tracing the Past. Der Verein arbeitet ehrenamtlich. Um die Datenbank zu erweitern und vor allem zu pflegen, um interaktive Karten und Apps zu entwickeln, braucht es eine entsprechende Software und „viel Geld“, sagt Flick, die inzwischen am Kaffeetisch von Gundula Oertel Platz genommen hat. „Mindestens 300.000 Euro“, schätzt sie, um alles aufzubauen.
Bis heute hat der Verein keine öffentlichen Gelder erhalten, zwei Projektanträge wurden abschlägig beschieden. Gründer Roderick Miller setzt auf die EU, Caroline Flick ist da skeptisch. Es brauche allein eine Person, um die Bürokratie zu bewältigen. Sie hoffen, dass ihre Initiative bekannter wird. Die Zusammenarbeit mit dem personell unterbesetzten Bundesarchiv wie auch mit den Arolsen Archives, einst das Archiv der Alliierten, läuft gut.
Etwa 80 Stolpersteine an drei Tagen
Doch in kommunalen oder Landesarchiven ist es mit dem Wissen und den Mitteln für die Digitalisierung oft nicht weit her. Laut Presseberichten hat das brandenburgische Landeshauptarchiv gerade 42.000 Naziakten veröffentlicht. „Das stimmt so nicht“, erklärt Flick. „Sie haben 42.000 Datensätze eingestellt, also nur ihr Findbuch veröffentlicht.“ Die Akten müssen erst digitalisiert und aufgearbeitet werden, um sie dann digital zu veröffentlichen, „hoffentlich vollständig“.
„Unser Plus, welches wir auch nicht aufgeben wollen: dass Mapping the Lives Archivalien und geprüfte Quellen an die Stammdaten anlagert“, sagt Flick. In Zukunft ließen sich so Links setzen, Fotos, Biografien und interaktive Karten würden sich öffnen, man könnte sich mit Gedenkstätten und Stadtarchiven vernetzen. Mit der Stadt München ist eine Zusammenarbeit geplant. „Es gibt so viele gute Arbeiten von Schülern und regionalen Initiativen“, sagt Flick. „Die könnten wir alle integrieren und so das Interesse auch der jungen Leute an der Geschichte am Leben halten.“
Etwa 80 Stolpersteine hat Gunter Demnig an drei Tagen an einem Wochenende in Berlin verlegt, fünf davon in der Hackerstraße. Das Interesse wächst, es gibt lokale Initiativen und in einigen Bezirken lange Wartelisten. Dreimal im Jahr kommt der Künstler nach Berlin und arbeitet die Aufträge ab, die von Angehörigen, Kirchengemeinden, Kommunen, Privatleuten, manchmal auch Schulen oder Parteien kommen, wie ein Mitarbeiter der Berliner Koordinierungsstelle erzählt.
Auch in der Hackerstraße waren Kirchenkreis und Kirchengemeinde engagiert. 120 Euro kostet ein Stein, zehn mal zehn Zentimeter groß, von Demnig aus Zement gegossen und mit einer Messingplatte versehen, die die Lebensdaten der Ermordeten oder Vertriebenen trägt. Die Stadt Berlin hat für ihre Verlegung grundsätzlich die Genehmigung erteilt. In der Hackerstraße ist es ein Mosaikpflaster, das sich mit der mitgebrachten Spitzhacke einfach lockern lässt.
Gundula Oertel ist erleichtert. „Der angekündigte Regen ist für die entscheidenden zwei Stunden ausgeblieben. Und Gunter Demnig hat die Steine bei uns sehr geschickt verlegt. Man kann vorbeigehen, ohne drauftreten. Aber fast alle stoppen und lesen die Inschriften.“ Ori Avigdorov findet: „An einer Hauswand würden die Inschriften nicht bemerkt.“
Drei Tage nach der Stolpersteinverlegung stößt Oertel im Internet auf vier bereits existente Stolpersteine für die Familie Driesen: der väterliche Zweig. Niemand wusste etwas davon. Es hört nicht auf mit dem Suchen.
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