Jüdisches Krankenhaus Berlin: Nach über 260 Jahren insolvent
Deutschlands einziger jüdischer Klinik droht das Aus, sollte sich nicht ein neuer Partner finden. Verdi fordert, dass das Land Berlin einspringt.
Das Ringen um die Zukunft des Jüdischen Krankenhauses (JKB) in Berlin-Gesundbrunnen geht weiter. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Pflege teilte am Dienstag mit, man stehe in „intensivem Austausch“ und unterstütze das JKB, „auch in Zukunft für die medizinische Versorgung seiner Patientinnen und Patienten da zu sein“. Während das JKB weiterhin nach einem Träger sucht, der das Haus übernimmt, fordern Linke und Gewerkschaften, der Senat solle das JKB in die Charité eingliedern.
Nach Monaten finanzieller Schieflage stellte die Geschäftsführung am vergangenen Donnerstag einen Insolvenzantrag. „Die strukturellen Veränderungen im Zuge der Krankenhausreform treffen auf eine insgesamt angespannte wirtschaftliche Lage, aus der wir uns nur mit rechtlichen Werkzeugen und Unterstützung von außen lösen können“, teilte Brit Ismer, Vorstandsvorsitzende des JKB, in einer Pressemitteilung am Freitag mit. Weder die Patientenversorgung noch die Lohnzahlungen würden durch das Verfahren beeinträchtigt.
Die Ursachen für die wirtschaftlichen Probleme sind vielfältig. Ein Hauptgrund ist allerdings die ständige Unterfinanzierung der Krankenhäuser durch das Land. Besonders bei den Investitionsmitteln, für die laut Krankenhausfinanzierungsgesetz die Länder verantwortlich sind, knausert Berlin seit Jahren.
Laut Berechnungen der Berliner Krankenhausgesellschaft liegt der Investitionsbedarf aller Krankenhäuser bei jährlich 500 Millionen Euro, im aktuellen Haushalt sind allerdings nur 160 Millionen eingeplant. Die Lücke schließen die Kliniken selbst. „Geld wird aus dem Betrieb abgezweigt und für Investitionen genutzt“, sagt Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken.
So auch beim JKB. Die Kosten für den 60 Millionen teuren Neubau des Bettenhauses musste die Klinik über ein eigenes Darlehen finanzieren, dessen Raten aus den Einnahmen des laufenden Betriebs finanziert werden sollten. Die Eröffnung des Neubaus war eigentlich für September geplant, doch ein Wasserschaden verzögert die Eröffnung auf unbestimmte Zeit. Die Einnahmeausfälle trugen dazu bei, dass das JKB seine Zahlungsverpflichtungen nicht mehr bedienen konnte.
Denn auch die Einnahmen aus dem laufenden Krankenhausbetrieb sind gesunken. Inflation und Tarifsteigerungen seien in den Fallpauschalen, nach denen Behandlungsleistungen der Krankenhäuser vergütet werden, nur mit Verzögerung berücksichtigt, kritisiert Verdi-Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer. Gerade kleinere und mittelgroße Häuser wie das JKB seien nicht mehr in der Lage, die Unterfinanzierung auszugleichen.
„Es ist eine politisch erzeugte Krise“, kritisiert Neunhöffer. Im Zuge der Krankenhausreform, die 2027 in Kraft tritt, sei es gewollt, dass kleinere Häuser schließen oder sich zu größeren Verbünden zusammenschließen. Mit der Reform soll die Zahl der Standorte reduziert, aber die Qualität der Versorgung durch Spezialisierung gesteigert werden. Mit der Unterfinanzierung forcierten Länder und Bund schon die Umstrukturierung, ohne dass die Reform überhaupt in Kraft getreten ist und ohne dass eine bedarfsgerechte Planung überhaupt vorliege, kritisiert Neunhöffer.
Auch das JKB würde als kleines Kiezkrankenhaus mit breit gefächertem Angebot eher zu den Verlierer:innen der Reform gehören. Deshalb schaut sich das Management schon seit vergangenen Monat nach einem Partner um, der beim JKB einsteigt.
Infrage kämen neben privaten Klinikkonzernen auch kirchliche Träger. Derzeit wird das JKB von einer Stiftung betrieben, in deren Satzung die Gemeinnützigkeit vorgesehen ist. Eine Übernahme durch einen kirchlichen Träger würde auch eine Einschränkung des Streikrechts bedeuten. „Ein Verkauf an einen privaten Träger wäre vermutlich mit einer teilweisen oder vollständigen Abwicklung verbunden“, fürchtet Schulze von der Linkspartei.
Eine dritte Variante, für die sich sowohl die Linke als auch Verdi einsetzen, ist die Fusion mit der landeseigenen Universitätsklinik Charité. „Es muss ein Partner gefunden werden, der dem Haus den Rücken stärkt“, so Schulze. Unter kommunaler Trägerschaft hätte das JKB wieder Vertrauen bei den Banken und ließe sich nicht durch unvorhergesehene Ereignisse wie den Wasserschaden aus der Bahn bringen. Auch könnten in einem Verbund mit der Charité die nötigen Weichen für die anstehende Krankenhausreform gestellt werden.
Egal welche Lösung gefunden wird, die jüdische Identität der über 260 Jahre alten Institution müsse erhalten bleiben, fordert Silke Gebel, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen. Darüber hinaus müsse „die Senatsverwaltung die Versorgungsseite im Blick behalten“. Erst Anfang des Jahres kündigte das Deutsche Rote Kreuz das Ende seines Standortes in Mitte an, mit dem Wegfall des JKB als Krankenhausstandortes bliebe in der Nähe nur die Charité.
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