Jubiläumsmarathon zur Völkerschlacht: Leipziger Schlachtfestspiele
Vor 200 Jahren wurde die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Die Stadt gedenkt pompös – mit der Beliebigkeit bekannter Massenevents.
LEIPZIG taz | Dumpf und düster beherrscht das 91 Meter hohe Völkerschlachtdenkmal den Leipziger Südosten. Ein Monument der Nekrophilie und des Verfolgungswahns der Deutschen, die „stets zu Schutz und Trutze“ gegen irgendeinen Feind brüderlich zusammenhalten müssen, wie es im Lied der Deutschen heißt.
Eisenstarrend erschlägt einen optisch schon am Sockel Soldatenpatron St. Michael. Der Tod in heldischer Verklärung, jüngst für 30 Millionen Euro saniert und optisch aufgehellt. „Man sollte es mit Blut besudeln, das Denkmal, denn nur so würde deutlich, was sie wirklich war, diese Völkerschlacht“, schreibt das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer und spricht nur vom „Schmerzkoloss“.
Schmerzlos aber werden für den Jubiläumsmarathon am Denkmal gerade Barrieren und Buden aufgebaut. Die immer gleichen Events und ihre Vorbereitung sind mit jedem beliebigen Anlass kompatibel. Das Schlachtfestprogramm, entworfen von einer Steuerungsgruppe gemeinsam mit der Leipziger Tourismus und Marketing GmbH, spiegelt den postheroischen Zeitgeist wider.
Ein Leipziger Allerlei aus historischer Peepshow, Kriegsspiel, Heimatpflege, Sachsentümelei, Personenkult, Nostalgie-Nippes, Abenteuerwanderungen, echten Informationsangeboten, Ausstellungen, künstlerisch-kritischen Adaptionen und einigen wenigen pazifistischen Nachdenklichkeiten. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Vergangenheitskult will ebenso befriedigt werden wie das kommerzielle Interesse an touristischen Ködern. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) äußerte allerdings, es gebe nichts zu feiern. „Wir sprechen bewusst vom Gedenken und nicht vom Jubiläum“, wendet auch Stadtsprecher Matthias Hasberg ein.
Die Völkerschlacht als Volksfest
Anlass Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober. 1813 war die Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege. Die Truppen der Verbündeten Russland, Preußen, Österreich und Schweden kämpften gegen die Truppen von Napoleon Bonaparte. Bis zum 20. Jahrhundert war diese Schlacht wahrscheinlich die größte der Weltgeschichte.
Feier Seit dem 16. Oktober gedenken Leipzig und die Region eine Woche lang der Völkerschlacht vor 200 Jahren und der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals 100 Jahre später gleich mit.
Sogar der Mitteldeutsche Rundfunk, der mit tausend Sendeschlachtfernsehminuten selber maximales Kapital aus dem Datum schlägt, diskutierte die Frage „Die Völkerschlacht als Volksfest?“. Doch das Leipziger Veranstaltungsprogramm folgt offenbar dem Satz von Altmeister Goethe, „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Die Wortwahl von Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums und Leiter der Steuerungsgruppe, sagt eigentlich alles. Gegenüber Leipzig Fernsehen schilderte er die „Highlights“ der seit dem 16. Oktober laufenden Gedenkwoche.
Ob der „wunderbaren Veranstaltungsdetails“ geriet er ins Schwärmen und kündigte „begeisternde Atmosphäre, großartige Bilder, spannende Persönlichkeiten und tolle Reden“ an. Marketingformeln, die ebenso gut zum Bachfest, zum Weihnachtsmarkt oder einem Fußballspiel von RB Leipzig passen. Immerhin will Rodekamp auch „nach Botschaften dieses furchtbaren Ereignisses Ausschau halten“.
Mit dem „furchtbaren Ereignis“ sind nicht die Schlachtfestspiele 2013 gemeint, sondern das viertägige Gemetzel von 16. bis 19. Oktober 1813. Nach „Highlights“ wird den 30.000 Leipziger Einwohnern damals gewiss nicht der Sinn gestanden haben, als sich um die Stadt mehr als eine halbe Million Soldaten sammelten. Napoleon hatte fast die gesamte Grande Armée in Russland verloren. Bei Rückzugsgefechten in Sachsen siegte er noch, vermeintlich sogar bei Leipzig, als er am 17. Oktober die Siegesglocken läuten ließ.
Doch die Verbündeten waren in der Übermacht, kesselten seine Truppen ein und zwangen den Empereur zur Flucht Richtung Westen. Die Sachsen, die wieder einmal nicht wussten, wo sie hingehörten, liefen in letzter Minute zu den Alliierten über. Auf beiden Seiten kämpfte ein verwirrendes Gemisch von Söldnern und Völkerschaften, ungefähr so wie heute im Weltfußball. Die später so genannte Völkerschlacht forderte mindestens 92.000 Tote, hinterließ 40.000 Verwundete und in der Umgebung 63 zerstörte Dörfer.
30.000 wollen das Gemetzel sehen
Am kommenden Sonntag werden 6.000 Hobbyschlächter aus mehreren Ländern das Gemetzel zwischen Markkleeberg und Wachau nachstellen. Detailgetreu und militärhistorisch geprüft. Krieg spielen heißt im nettisierten Neusprech jetzt „Reenactment“ und ist bei Weitem nicht nur eine deutsche Tugend.
Michél Kothe, Schlachtenlenker vom Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 e. V., verteidigt diese besonders für junge Leute attraktive Form der Geschichtsvermittlung: „Im Nacherleben erfährt man, was die Soldaten damals durchgemacht haben.“ Wer zahlt, muss sich als Voyeur solchen Strapazen gar nicht unterziehen. Sämtliche 30.000 Plätze des Spektakels sind ausverkauft.
Zur Generalprobe kam schon mal ein Trupp des „Grenadierbataillons von Spiegel e. V.“ aus dem erzgebirgischen Wolkenstein 100 Kilometer im Gleichschritt anmarschiert. Begleitet von einem Kamerateam des MDR, der gleich vier Sendefolgen daraus machte.
Selbst geschneiderte Uniformen, selbst gedrehte Patronen, echtes Schwarzpulver, aufgepflanzte Bajonette. Der MDR bedient den archaischen Drang zum Kräftemessen, handwerklich geschickt, wenn er vier Tage lang im „Brennpunkt“-Stil Kriegsberichterstattung simuliert. Ingo Zamperoni im Studio, Reporter am Schlachtfeld, Korrespondenten, Experten und ein Liveticker sorgen für perfektes Infotainment. Nur: Auf solche Bilder reagieren wir so abgestumpft, als kämen sie aus Syrien oder Afghanistan. Ist eben nur Fernsehen.
„Und das alles wegen ein paar Verrückter“
Gleichwohl ist nicht alles schlecht, was zum Gedenken geschieht. Anerkennung verdienen ästhetisierte Auseinandersetzungen mit den Kriegsgräueln durch verschiedene Künstler. Sehr viel unmittelbarer als die ganze Schlachtfeierei wirkt das Leipzig jener Tage etwa im Panometer des Künstlers Yadegar Asisi in seiner Installation in unmittelbarer Denkmal-Sichtweite. Der Spezialist, der in mehreren alten Gasometern bereits riesige Panoramadarstellungen entworfen hat, demonstriert bewusst das Leid des Krieges.
„Und das alles wegen ein paar Verrückter“, kommentiert ein älterer Besucher spontan und erschüttert. Freilich, Asisi ist nicht Otto Dix, und an die weitaus drastischer klingenden Augenzeugenberichte über offene Feldschlachten ohne Deckung, das Grauen in den Feldlazaretten oder den Kannibalismus unter den Soldaten kommt sein Werk nicht heran.
Mit gleicher empathischer Intention, aber mit dem sicheren Instinkt für den Publikumsgeschmack wiederum hat Histörchenschreiberin Sabine Ebert mit „1813“ einen neuen Bestseller verfasst. Andere Künstler wie Elia van Scirouvsky und Freunde wollten sich mit der Theaterperformance „Nahe der Schlacht“ bewusst „vom Kriegs(nach)spielen abgrenzen“. Auch „Traumwelten“ des Theaters Titanick an diesem Sonnabend erhebt sich über triviale Landserromantik.
Und das Völkerschlachtdenkmal, das nach der Renovierung nun mit viel Promi-Getöse praktisch ein zweites Mal „eingeweiht“ werden soll? Die Schlachtenepigonen von heute kamen auf die krause Idee, es als Europäisches Friedensdenkmal mit einem lächelnden Etikett zu versehen. Da lohnt es, an jene Gegenveranstaltung zur Weihe vor 100 Jahren zu erinnern, die am hessischen Hohen Meißner stattfand.
Das erste „Freideutsche Jugendtreffen“ vereinigte Wandervögel, die akademischen Abstinenzler und andere Exoten, aber es setzte bewusst ein Zeichen gegen Militarismus. Das tut seit Jahren auch das Leipziger soziokulturelle Zentrum naTo mit seinen sommerlichen Badewannenrennen im großen Becken vor dem Denkmal. Sprengmeister Alfred Linden indes wollte den Koloss im Roman „Völkerschlachtdenkmal“ von Erich Loest einfach in die Luft jagen. Warum nicht!
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