Journalistische Ethik und Katastrophen: Es ist furchtbar
Der Umgang mit dem Germanwings-Crash ist eine journalistische Herausforderung. An ihr zeigt sich, wie weit der Boulevard zu gehen bereit ist.
Mein Bruder war noch nicht wieder zu Hause, da rief schon RTL bei uns an: „Hallo, wir würden gern Herrn Schmidt sprechen. Er war doch in der Schule eingeschlossen.“ Ich war fassungslos. Ja, mein Bruder war im Gutenberg-Gymnasium in Erfurt eingeschlossen. Ja, er hatte dort Furchtbares erlebt. Aber warum, zur Hölle, wusste RTL das schon? Und wieviel Schamlosigkeit muss dieser Reporter besessen haben, jemanden sprechen zu wollen, der gerade dabei war, als seine Lehrer erschossen wurde, der über Leichen gestiegen ist und Angst um sein Leben hatte. Einen 14-Jährigen.
Eigentlich war es absehbar, in dem Moment, als die Eilmeldung kam: Eine solche Katastrophe, in Frankreich, mit so vielen deutsche Opfern, das ist eine mediale Herausforderung, wie es sie lange nicht mehr gab. Eine, die nicht jeder Journalist, nicht jede Journalistin gleich bewältigt. Eine, bei der die journalistische Ethik von Kollegen manchmal leichtfertig unter Voyeurismus und Sensationsheischerei begraben wird.
Nach nur wenigen Stunden hatten alle großen Nachrichtenseiten einen Live-Blog eingerichtet und fluteten ihn mit jedem Schnipsel, mit jeder Nicht-Nachricht, die man kriegen konnte: Zehn Polizisten bewachen den schwer zugänglichen Unglücksort. Am Flughafen Düsseldorf sind die Fluggäste verunsichert. Das Wetter in den Alpen schlägt schnell um. Joachim Löw ist betroffen. Die Bergungsarbeiten werden schwer. Haltern im Ausnahmezustand. Wir wollen nicht spekulieren, aber …
Ich wollte Journalistin werden, seit ich ein Kind bin. Aber was im April 2002 in den Tagen und Wochen nach dem Erfurter Amoklauf passierte, hat mich an diesem Beruf stark zweifeln lassen. Am Abend, da waren die Leichen noch nicht aus der Schule getragen, hatten sich schon Journalisten, Kameraleute und Ü-Wagen aus der ganzen Welt vor der Schule aufgebaut. Ihre Scheinwerfer tauchten das Schulgebäude in grelles Licht – wie in einer Leichenhalle. Als hätten wir das auch noch gebraucht.
Wenn es keine Nachrichten gibt, müssen welche produziert werden. Für Journalisten ist es in der Tat nicht immer einfach abzuschätzen, wo die Grenze zwischen Berichtenswertem, berechtigtem Interesse und dem „zu viel“ verläuft. Wird so viel berichtet, weil die Zuschauer und Leser so viel wissen wollen? Oder lesen und schauen sie so viel, weil so viel berichtet wird? Für das „wie viel“ gibt es keine klare Antwort. Für das „wie“ hingegen schon.
Und bei dieser Frage zeigt sich in den letzten Tagen einmal mehr, wie weit der Boulevard bereit ist zu gehen. Was die Bild-Zeitung seit Dienstag zeigt, hat mit Journalismus nicht mehr viel zu tun. Das ist auch kein guter Boulevard, das ist einfach ekelhaft. Da wurden schon am Tag nach dem Absturz Fotos der Todesopfer gezeigt – mit vollem Namen und ohne Unkenntlichmachung, Facebook-Einträge der Schüler aus Spanien, „XYs letzte Fotos aus Barcelona“, weinende Schüler und Flugbegleiter.
„Eltern versuchten, ihre toten Kinder auf dem Handy zu erreichen“, schrieb Bild unter ein Klassenfoto. „Angehörige brechen weinend zusammen.“ Ja, was denn sonst? Wer schon einmal einen Menschen plötzlich verloren hat, der kennt den Impuls: Handy raus, anrufen, vielleicht ist das alles nur ein Missverständnis? Wo also ist die Nachricht? Ist der Crash nicht schon schlimm genug? Muss man wirklich so tief graben, spekulieren, Schmerz befeuern?
Um an die große Eingangstreppe des Gutenberg-Gymnasiums zu treten, Blumen niederzulegen, Freunde und Bekannte zu treffen, zu schweigen und zu gedenken, musste man durch die Pressemeute durch. „Entschuldigung, darf ich Sie kurz was fragen?“, „Sind Sie Schülerin?“, „Kannten Sie jemanden?“, „Was haben Sie erlebt?“ Es gibt Interviews mit Schülern von damals, die zum Teil in Tränen aufgelöst, zum Teil ganz ruhig, erzählen, was sie erlebt haben. Ein Schuss, ein Mann in schwarz, Frau X tot, Herr Y tot. Manchen wurde Geld dafür gegeben. Manche konnten sich einige Tage später nicht mehr daran erinnern, das Interview gegeben zu haben. Sie standen unter Schock.
Der Deutsche Presserat appelliert an die Medien, sich an den Pressekodex zu halten. Die Opfer und ihrer Angehörigen hätten einen „Anspruch auf den besonderen Schutz ihrer Identität“. Es ist furchtbar, dass der Presserat Journalisten daran erinnern muss, jetzt und nach jeder großen Katastrophe wieder. Zum journalistischen Handwerk gehört neben Recherche, einem schönen Texteinstieg und einer gewieften Interviewtechnik auch Medienethik. Aber selbst wenn einige Journalisten nicht viel von Handwerk halten, sollten sie wenigstens eine Minuten darüber nachdenken, wie es ihnen gehen würde, wenn ihr Kind, ihre Mutter, ein Freund oder Kollege in diesem Flugzeug gesessen hätte – oder dieses gar gesteuert hätte.
Denn die Art und Weise wie über den Copiloten berichtet wird, ist der bisherige Gipfel der Geschmacklosigkeit in dieser Katastrophe. Sein vollständiger Name war schnell draußen und zirkulierte sogar in den sogenannten seriösen Medien. Sein Wohnhaus und das seiner Eltern wird belagert, Journalisten filmen, wie Ermittler das Haus betreten. Nachbarn werden befragt, Freunde ausfindig gemacht. Die Bild zeigt sein Foto am Freitag vollständig über die ganze erste Seite gezogen. Schlagzeile: „Der Amok-Pilot“.
Der B.Z.-Chefredakteur Peter Huth erklärte dem Branchendienst Meedia, eine solche Katastrophe könne man nur über Emotionalität vermitteln. Aber wessen Emotionalität ist uns Journalisten denn wichtiger: Die der Leser oder die der Hinterbliebenen?
Wenn ich jetzt die Bilder von der Schule in Haltern sehe, denke ich wieder an die Tage nach dem Amoklauf von Erfurt. Auch in Erfurt standen die Kameras dicht an dicht. Gesichter in Großaufnahme. Tränen, Umarmungen, Zusammenbrüche.
Aber ich habe damals auch andere Journalisten erlebt: Welche, die beobachtet haben, und ihr Mikro irgendwann weggepackt haben – weil sie sprachlos waren. Welche, die lange zugehört haben und Aussagen dann doch nicht verwendet haben. Ich wünsche den Schülern in Haltern, den Angehörigen der Opfer und des Copiloten mehr solche Journalisten.
Leser*innenkommentare
M. W. Fiedler
Die Berichterstattung der öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten war weder sachlich noch wie erforderlich distanziert. Da wurde beginnend mit dem Frühstücksfernsehen, den ganzen Tag über wiederholend über Brisant bis hin zu Jauch, jeder bekam seinen Happen, alles durchgekaut. Respekt und Mitgefühl für Opfer und Hinterbliebene war schwer zu erkennen. Das war mediale Blutsaugerei auf Bildzeitungsniveau. Ich weiß bald nicht mehr warum ich ein Anhänger des öffentlich rechtlichen Fernsehens war!!
Picard
Es gibt einen Unterschied zwischen Leuten die etwas können, und Leuten die etwas machen. Leute die etwas können, machen nicht alles. Leute die etwas machen, machen alles.
3784 (Profil gelöscht)
Gast
Unter dem Vorwand einer notwendigen „Berichterstattung“ befriedigen eingebildete Schwätzer die unstillbaren Gelüste der Spanner. Die einen halten ihr Gebaren für Journalismus, die anderen für vorhandene Intelligenz. Und so hoppen beide Seiten zur Befriedigung der Bedürfnisse alltäglich von Sensation zu Sensation, Penetranz der Nichtleidenden als Informationsbedürfnis ausgebend, und Anteilnahme heuchelnd. Zum zusätzlichen Leidwesen der Hinterbliebenen und Leidenden.
Da nachweislich erst darüber Aufmerksamkeit bei Mehrheiten herstellbar, wie Auflagehöhe und Einschaltquoten belegen, das „öffentliche Interesse“ an Sondersendungen wie z. B. „Brennpunkt“ oder an den alltäglichen „Talk-Shows“, in welchen unter Zuhilfenahme von Personen, die sich als Experten wähnen, der lächerliche Versuch unternommen wird, Tratsch als Informationsgewinn auszugeben.
arnsloth
Die Berichterstattung und geheuchelte Anteilnahme war und ist einfach nur widerwärtig. Es ist unglaublich, wie wenig Inhalt notwendig ist, um seitenweise Papier zu beschreiben, wie viele "Experten" sich finden, um hohles Gewäsch in die Luft zu blasen. Schwer vorstellbar, dass die Trauernden das als Anteilnahme empfinden. Allerdings sind es nicht nur Journalisten, sondern auch die Spitzen der Politik. Motto: wo ist die Kamera. Ich will Anteilnahme zeigen.
Albrecht Pohlmann
Es wäre ungeheuer wohltuend, wenn wenigstens mal eine Zeitung besonnen bliebe und die weiteren Ermittlungen - der Behörden, aber auch investigativer Journalisten - abwartete, anstatt vorschnell einen Täter zu bestimmen. Was tatsächlich vor und während jener verhängnisvollen acht Minuten im Cockpit geschah, das wissen wir noch gar nicht. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß seriöse Ursachenforschung nur mithilfe der Daten des Flugschreibers möglich ist - der aber wurde noch nicht gefunden. Und die französischen Ermittler schließen nach wie vor auch technische Ursachen ausdrücklich NICHT aus: http://www.focus.de/panorama/welt/germanwings-tragoedie-chef-ermittler-schliesst-technischen-fehler-doch-nicht-aus_id_4576981.html - Es gehörte für mich zum serösen Journalismus dazu, Fakten zusammen zu tragen, aber ansonsten skeptisch ob aller vorschnell verkündeten Urteile zu bleiben.
Friedrich Zoller
Was im Cockpit geschah, wird man nie erfahren, man wird mit einer rekonstruierten Möglichkeit dessen leben müssen. Der Flugschreiber gibt da auch keinen Aufschluß: Pilotengedanken liest er nämlich - Gott sei Dank - nicht.
Davon abgesehen war das Presseverhalten in diesem Zusammenhang das schäbigste seit dem Gladbecker Geiseldrama. Besonders jene Stimmen, die ein national-kollektives Pathos herbeischreiben wollten, fielen mit unangenehm patriotischem Unterton auf - und sie waren sogar bis in die TAZ vorgedrungen!
Arcy Shtoink
@Albrecht Pohlmann Sie hätten die Erkenntnisse aus dem Flugschreiber lieber von der Presse nicht erwähnt sehen wollen?
Albrecht Pohlmann
@Arcy Shtoink Ihr Einwand erscheint mir ganz unverständlich - die Flugschreiberdaten stehen z.Zt. nicht zur Verfügung. Oder verwechseln Sie Flugschreiber und Voice Recorder? Letzterer wurde gefunden, der französische Staatsanwalt hat ihn allerdings nicht selbst abgehört, sondern seine Mutmaßungen hinsichtlich des Co-Piloten lediglich nach einem Transkript angestellt.
Friedrich Zoller
@Albrecht Pohlmann So genau nimmt das nicht jeder.
n0by
Die Kohle, die der Boulevard aus der emotionalen Erregung über die Schrecken der Zeit, die zunehmender Schrecken zurzeit, macht, dieser erbarmungslose Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit ziehen alle durch, Blogger, Presse, Emma, aber auch alle
Emma darf doch nicht fehlen beim erbarmungslosen Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit
http://n0by.blogspot.it/2015/03/absturz-4u9525-aus-sizilianische-sicht.html
Rainer B.
Den Kommentar von Anne Fromm finde ich sehr richtig und wichtig. Natürlich hat die Presse ein Recht und auch eine Pflicht zur Berichterstattung, aber da, wo die Emotionen anfangen, ist i.d.R. damit ja auch schon Ende im Gelände. Als Leser interessieren mich am Ende des Tages tatsächlich nur die Fakten. Was kann man wissen? Was weiß man konkret? Was kann man in der Zukunft daraus lernen? Was kann man wie besser machen? Bis heute ist die Faktenlage äußerst dünn. Man steht erkennbar am Anfang der Ermittlungen und verkündet vorab ein "aufklärendes" Ermittlungsergebnis. Das muss doch eigentlich die Intelligenz eines jeden Lesers zutiefst beleidigen. Mich interessiert auch nicht, welche Politnase wo und wie die größte Betroffenheit zur Schau stellt. Dieser Betroffenheitswettbewerb widert mich immer nur an. Journalisten, die die Wohnungen, Arbeitsstätten etc. von Angehörigen der Opfer belagern und hinter intimen Details von Betroffenen hinterherjagen, die absolut niemanden in der Öffentlichkeit auch nur das Geringste angehen, gehören aus meiner Sicht weggesperrt und unter psychiatrische Beobachtung. Und dann sollte man endlich auch in der taz damit aufhören, die Bild und ähnlichen Dreck in einem Atemzug mit Journalismus zu nennen. Da gehören die erkennbar nicht rein und da wollen die auch überhaupt nicht hin.
XYZreloaded
Ich denke, dass das eigentlich klar ist: In der Presse darf nix erscheinen, wo den Leuten nicht klar war, dass sie mit Journalisten sprechen oder mit "Informanten" (dass das, was sie sagen, so oder verdreht also in der Zeitung erscheinen könnte). Die meisten Presseleute sind ja nicht auf den Mund gefallen und können klar fragen. Ein "Nein" müssen sie eben respektieren. Anders als viele vielleicht meinen, geht damit keine "gute Story" flöten. Als Leser interessiert mich nicht, was man aus Leuten, die psychisch ohnehin am Ende waren, irgendwie herausgepresst hat. Ich kann mich da schon hineinversetzen, wie schlimm das sein muss, eine Katastrophe miterlebt zu haben. Und ich denke, jeder kompetente Journalist kann sich da auch hineinversetzen und einen Bericht so gestalten, dass seinen Lesern klar wird, dass etwas ganz furchtbares geschehen ist. Man kann ja zB schreiben "Die Leute wirkten stumm vor Schock" oder sowas, ohne jemandem zu nahe zu treten. Ansonsten müsstet Ihr von der Presse Euch fragen lassen: Wäre Euch das Recht, wenn man zB zu Hause bei Euch auf dem Klo eine Kamera installiert, um ein paar geile Filmchen ("Starjournalist beim kacken") zu kriegen (O-Ton!), die garantiert in der Öffentlichkeit Gaudi einbringen? Nö, oder?!
7964 (Profil gelöscht)
Gast
Große Probleme vor denen die Presse heute steht: Über einen Flugzeugabsturz wird seit drei Tagen ununterbrochen und auch in der Tageschschau zur besten Sendezeit weit über 10 Minuten lang berichtet.
Ist sonst nichts mehr passiert?
Erinnert mich an die Zeit vom 11. September 2001. Da gabs wochenlang auch nur eine Nachricht.
produster
Dieser Artikel ist an Naivität nicht zu überbieten. Echt.
6020 (Profil gelöscht)
Gast
Es gibt ja nicht nur den gewissenlosen Journalisten, der ist nur eine Seite der Medaille, ohne Nachfrage kein Zulieferer, wenn ich das mal „marktgerecht“ sagen darf.
Ich lese daher konsequenter weise kein BILD und ähnliche Müllmedien, und in die gleiche Kategorie, und daher bei mir auch völlig ignoriert, sind die privaten TV-Medien.
Dazu kann ich also auch keine Aussagen treffen, außer über Sekundärmedien. Dem entnehme ich, dass es schon auch einer gewissen Abgestumpftheit und moralischen Dissoziiertheit bedarf, sich von diesen „füttern“ zu lassen.
In den ÖR TV(ARD, ZDF, phoenix) fand ich die Berichterstattung größtenteils annehmbar, auch dass sich dort wegen der langen Sendezeiten vieles wiederholte, dass ist mMn auch OK, für die, die gerade erst zuschalten.
Dort habe ich diese Exzesse nicht beobachten können, der Name des Co-Piloten wurde auf phoenix nur 1x von dem Gast wiederholt, nachdem der fr. Staatsanwalt diesen „live“ genannt hatte, danach hatte die Moderatorin darauf hingewiesen, dass dies nicht OK sei, und man sprach dann nur von Andreas L.
Auch habe ich dort nicht einmal Aufnahmen von Angehörigen (höchsten vom Rücken und unkenntlich gemacht), oder gar Opfer gesehen, nirgends!
Das Phänomen über das wir hier sprechen befindet sich also zu ca. 99% beim Boulevard und im Privat-TV, welche sich in unserer enthemmten und sinnentleerten Gesellschaft aber großer Beliebtheit erfreuen, und diese Gaffer haben halt ihre Handlanger im pseudo-journalistischen Lager.
Dies ist ekelhaft! Aber bei einer zunehmend verkommenden Ethik in einer Gesellschaft die dem Ego-Prinzip Götzenhaft folgt ist dies unausweichlich.
Und dann ist es auch noch sehr beliebt, über die GEZ "Zwangsgebühren" zu lästern!
Hat sich da jewals mal Jemand Gedanken gemacht, wie widerwärtig unsere Medienlandschaft OHNE ÖR-Medien wäre??
Wir haben alle die Wahl, dort mit zu machen, oder uns dem zu verweigern.., dies verlangt aber mehr oder weniger Rückgrat!
Albrecht Pohlmann
Anne Fromms Statement zur journalistischen Ethik finde ich begrüßenswert - gerade in einer Zeit, da die Glaubwürdigkeit der Medien angezweifelt wird. - Zu ergänzen wäre, daß Emotionalisierung und Personalisierung nicht nur der Auflagen- oder Quotensteigerung dienen könne, sondern auch dazu, relevante Fragen zu überdecken. Hier also: Wie wahrscheinlich ist es, daß der Co-Pilot tatsächlich so gehandelt haben könnte, wie ihm jetzt zugeschrieben wurde? Er kann sich nicht mehr erklären. Die Speicherkarte des Flugschreibers gilt als verloren. Angaben zu Zeiten und zur Passagierzahl wurden korrigiert - warum? Es geht immerhin auch um die Interessen zweier Konzerne, Lufthansa und Airbus. Warum legt man sich so schnell darauf fest, daß es das Verbrechen eines Einzelnen gewesen sein soll? Welche technischen oder strukturellen Ursachen könnte es für das seltsame Verhalten des Flugzeugs in den letzten acht Minuten geben? Was hat man im Lufthansa Aviation Center in Frankfurt in dieser Zeit registriert? Gibt es nicht längst eine pilotenunabhänggige Überwachung? - Kurzum, die Geschichte vom Selbstmord-Copiloten glaube ich erst, wenn die offenen Fragen rund um diesen Flug beantwortet sind. Eine Aufgabe des guten alten, investigativen Journalismus.
Smaragd
Ich bin mir bewusst, dass der Gedanke, den ich hier niederschreibe, gefährlich ist. Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das notwendig ist, um die Macht der Mächtigen in Frage zu stellen. Dennoch: Ärzten kann man zum Beispiel bei gravierendem Fehlverhalten die Approbation entziehen. Lehrer, die nachweislich aktive Mitglieder der NPD sind, können (hoffentlich) aus dem Schuldienst entfernt werden.
Könnte oder darf es auch eine Grenze geben, ab der ein Journalist formal gezwungen werden kann, sich einen neuen Beruf zu suchen? Und wenn ja, wie kann man dann sicherstellen, dass solche Regeln nicht dahingehend missbraucht werden? Dass Journalisten, die schwerwiegende Korruption aufdecken, aufs Abstellgleis geraten? Denn genau das darf nicht sein. Das ist ihre hauptsächliche Aufgabe in einer Demokratie.
christine rölke-sommer
ich find's ja richti niedlich, sich auf bild+rtl zu stürzen.
der boulevard findet auch+gerade in http://www.sueddeutsche.de/panorama/germanwings-absturz-in-frankreich-copilot-war-wegen-psychischer-probleme-krankgeschrieben-1.2412826
und http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/absturz-in-den-alpen/andreas-lubitz-war-am-flugtag-krankgeschrieben-13509244.html beispielsweise statt. also da, wo kluge köpfe hinter stecken und latrinenparolen in gepflegte nachricht umgewandelt werden, so jedenfalls die behauptung.
die taz ist da auch nicht von frei, auch sie spielt gern mal mit emotionalität.
beispiel? beispiel: http://www.taz.de/!157214/
was ist an dem titel "grüner morast" seriös? ethisch ok?
Christian_72
@christine rölke-sommer Hallo Christine Rölke-Sommer, was der Artikel zu Recht anprangert ist ja nicht, dass in der Presse Emotionen angesprochen werden sondern dass ohne jegliche Rücksicht auf die Gefühle der Angehörigen berichtet wird. Ich muss Ihnen allerdings Recht geben, dass es bei dem aktuellen Flugzeugabsturz nicht nur die üblichen Verdächtigen sind, die sich daneben benehmen. In den Westfälischen Nachrichten war zum Beispiel auch der Copilot mit unverpixeltem Foto, vollem Namen und Wohnort beschrieben.
95820 (Profil gelöscht)
Gast
"Grüner Morast..."
Grün ist eine Farbe und Morast ist hier eine Metapher. JedeR versteht das. Wo ist das Problem?
Georg Schmidt
3Jahre Bild ersetzt das Abitur!
Rainer B.
@Georg Schmidt Ich kenn genügend Leute, bei denen es auch nach 40 Jahren Bild nicht ansatzweise zum Abitur gereicht hat. Obendrein haben die jetzt auch noch dauerhaft schwarze Flecken am Arsch.
372 (Profil gelöscht)
Gast
Ach so. Aber ist es nicht die Aufgabe von Journalisten, zu berichten - und gerade nicht zu erstarren und "sprachlos" zu werden?
mowgli
Es ist, sehr geehrte Julia Seliger, eine Aufgabe jedes einzelnen von uns, Grenzen zu setzten und einzuhalten - und eben nicht darauf zu warten, dass von irgendwo her eine starke externe "Autorität" oder "höhere Macht" oder "Instanz" auftaucht, die die Einhaltung sinnvoller Regeln mit Gewalt erzwingt.
Das Machbare im Zweifel von dem zu unterscheiden, was gemacht werden darf, sollte ein Grundprinzip in jedem Beruf sein, nicht nur im Journalismus. Wer erwachsen genug ist, sein eigenes Geld zu verdienen, der sollte eigentlich auch erwachsen genug sein, sich selber zu überlegen, wann der Sieg über einen Konkurrenten zu teuer erkauft ist.
Dass auch der angeblich freie Westen an Ideologie erkrankt ist, erkennt man unschwer daran, dass erwachsene Entscheidungen fast nie honoriert sondern fast immer bestraft werden. Vor allem finanziell und imagemäßig.
Die privaten (Fehl-)Entscheidungen der Profis und ihrer Kundschaft sind, zumindest wenn sie massenhaft getroffen werden, eben doch überaus politisch.
NurMalSo
Naja, irgendwie bildet die BILD ja tatsächlich nur das ab, was ihre Leserschaft interessiert. Und ich kann mir vorstellen, dass nicht weniger dieser LeserInnen genau das fragen würden, wenn man sie in die Nähe der Hinterbliebenen ließe. So gesehen drucken sie also das, woran ein großer Teil der Gesellschaft ein großes Interesse hat. Eklig, aber so tickt ein Teil der Menschheit halt. Das sind dann die, die mir grade mit ihrer Pseudobetroffenheit auf den Keks gehen: "Oh mein Gott, ich bin auch schon mal mit dem Flugzeit in ein anderes Land geflogen!"
571 (Profil gelöscht)
Gast
Bei BILD verhält es sich genauso wie mit der Scheiße und den Fliegen.
Warum sollte sie was ändern wollen? Der "Erfolg" gibt ihr recht.
6020 (Profil gelöscht)
Gast
@571 (Profil gelöscht) Drastische Worte, dabei aber den Kern getroffen.
jörg krauss
Es werden bewusst Grenzen überschritten, um gesellschaftliche Grenzen zu verwischen. Mir zeigt dieses abgründige Prozedere hauptsächlich, das wir niemals auf dem Weg in eine gesamtgesellschaftliche Wissensgesellschaft sind, solange mit dem Leid von Menschen Geld und Meinung zu verdienen ist. Der Hype in den Blut und Tittenmedien, mit dem ich mich morgens beim Bäcker auf dem Tresen konfrontieren darf, zeigt, das nicht nur die Bäcker in der Republik keinen Hintern mehr in der Hose haben, sich diesem "blöd bleibt blöd, da helfen auch keine Sahnestückchen" zu entziehen. Der Kunde ist König und darf weiter auf "persönlichen Wunsch" degenerieren und in sein reich bebildertes Frühstücksbrötchen beißen.
571 (Profil gelöscht)
Gast
In unserem Dorf (knapp 3000 Einwohner) kann man in drei Läden die BILD kaufen.
Zwei davon sind Bäckereien.
Der Grund?
Frühstücks-Fullservice.
Eilige Intuition
Bundesgrüßonkel Gauck konnte in Haltern vor lauter egomaner, pfäffiger Betroffenheit das Wasser kaum halten, um direkt im Anschluss vor Ort fröhlich grinsend wie der Karnevalsprinz in die Menge zu winken.
Abgesehen davon, dass solche öffentlichen Betroffenheits-Pflicht-Veranstaltungen oftmals mit das Abstoßendste sind, das sich empathische Menschen mit authentischen Gefühlen vorzustellen vermögen, waren dazu im Gegenteil die beiden ZDF-Moderatoren, Anna Planken und Sven Lorig, als dümmliche Vertreter der Spaßgesellschaft im Morgenmagazin nicht einmal ansatzweise in der Lage, halbwegs seriös, der Lage entsprechend, zu moderieren, sondern dämelten ständig lauthals im lustig-schrillen Plauderton herum, als ginge es nicht um ein Flugzeugunglück mit 150 Toten, sondern um die Eröffnung der neuen Achterbahn im Freizeitpark von Disneyland.
Eilige Intuition
Passt aber doch.
Bild-Leser und Mohnbrötchen haben schließlich den gleichen IQ.
774 (Profil gelöscht)
Gast
Deutscher Journalismus hatte schon immer mehr mit Leichenfledderei zu tun, als mit sachlicher Berichterstattung. Wer sich wirklich bilden will, sollte sich ein gutes Buch kaufen. Aber das zu lesen, ist den meisten ja zu anstrengend.
Falmine
Seit über 50 Jahren ist die BILD in meinen Augen ein dreckiges Revolverblatt, für das der Begriff 'Boulevard' noch zu hoch ist. Abwasserkanal oder Gülle trifft es schon eher.
Schrecklich, wenn vermeintlich seriöse Zeitungen meinen, sie müssten mit Schmierblättern konkurrieren. Das Problem tritt derzeit vielleicht gehäuft auf, neu ist es jedoch nicht. Ich erinnere an die Hochzeiten der RAF und die Diskreditierung Unschuldiger durch BLÖDmänner. Siehe auch Böll, Heinrich, Die verlorene Ehre der Katharina Blum.
Anton Pree
Sich über den Boulevard Journalismus zu echauffieren, ist recht einfach. Der Applaus ist einem sicher - gerade in der Taz. Ähnlich der Verschmähung des gegnerischen Fussballteams. Zwar legimtim, inhaltlich jedoch schwach.
Die seriöse Variante wäre Selbstreflexion.
Die Startseiten von ZEIT, FAZ und taz setzten sich alle aus Spekulationen zusammen und das leidige 'was kann man für die Zukunft ändern ' war omnipräsent. Und das, obwohl der Hergang des Geschehens noch völlig offen war.
Hier wurde bereits eine rote Linie überschritten und wie heißt es so schön, wehret den Anfängen. Somit, wer im Glashaus sitzt... sie wissen schon ;)
tazzy
Den aktiven Link auf den Artikel von Meedia hättet ihr nicht setzen sollen! MEEDIA ist kein neutraler Branchendienst, sondern eng mit Springer und der BILD verbandelt und der engste Hofberichterstatter von Kai Diekmann. Nicht umsonst schreiben die dortigen Springer-Höflinge gerne schleimige Kommentare über Diekmann und verteidigen die BILD-Berichterstattung. Man muss das nicht auch noch über Linksetzung mit zusätzlichen Klicks und Werbeeinnahmen belohnen.
onesimus
Man spricht da immer von Boulevard, aber nein es ist unterste Gosse/Rinnstein
und das Probleme auch einst seriöse Medien (ARD/CDF) tun eifrig mit.
Man was gab es noch vor 20 Jahren, selbst in stockkonservativen Anstalten wie SDR und SWF für gute Sendungen. Alles eingedampft zu formatiertem Radio. Scheixx Dudelfunk, schlimmer als die sogn. Privaten!
ach so! nee, nä?!
Vielen Dank für diesen besonnen Bericht und eindringlichen Appell an das Mitfühlend-Menschliche im Menschen - selbst wenn er begeisterter "Bild-Reporter" oder - Konsument sein sollte. Die Würde (auch) des (toten) Menschen (und seiner trauernden Angehörigen und Freunde) ist unantastbar. Diesen Grundsatz der Verfassung wie des ethisch verantwortlichen Journalismus einzufordern - obwohl er eigentlich als selbstverständlich vorausgesetzt sein sollte - bleibt der besondere Verdienst dieses taz-Artikels.
65572 (Profil gelöscht)
Gast
Ohne die photographierten Photographen in Schutz nehmen zu wollen, jeder Fernbus hat diese wichtigen getönten Scheiben, man kann von außen nicht erkennen, daß nur fünf Personen im Doppelstockbus aus Köln sitzen.
snowcrash
Dieses Unglück zeigt nur zu stark wie wenig Massenjournalismus mit Werten wie Ethik und Moral zu tun hat. Es geht einfach nur noch darum als erster seine "Story" draußen zu haben, auch wenn man im Grunde nichts Handfestes hat. Einfach alles wird verwendet, ohne Rücksicht auf die Betroffenen. Das mag vielleicht für den ein oder anderen Journalisten nicht gelten, aber die fallen in der Massen überhaupt nicht mehr auf. In diesem Fall, oder überhaupt bei solchen Tragödien, wird die häßliche Fratze dieser Informationsflut besonders deutlich.
Doch es sind nicht nur die Medien, auch Politiker nehmen solche Ereignisse an und nutzen diese um sich zu profilieren. PR Agenturen springen im Dreieck und versuchen das ganze so gut wie möglich zu vermarkten. Niemand braucht diese Leute da. Im Gegenteil die stören den ganzen Ablauf nur. Presse Events wo irgendwelcher Helfer sich in Reih und Glied aufstellen müssen um Politikern die Hand zu schütteln. Was soll das?!
Bei einem Hausbrand, stellt sich auch nicht der Bürgermeister mit Presse vor das Haus und bekundet sein Mitleid. Man muss das nicht Medial verarbeiten um seine Gefühle dafür zum Ausdruck zu bringen.
Seit es 24/7 Nachrichten Sender gibt geht es mit der Ethik und der Moral nur noch Bergab. Die Gründe dafür sind offensichtlich. Jetzt wo mittlerweile alles vernetzt ist und Story direkt hochgeladen werden, wo man mit ein paar Klicks sofort herausfinden kann mit wem man es zu tun hat, wenn man ein Klarnamen hat, verschwimmen die Grenzen.
Wer diesen Beruf ausführen will sollte sich fragen, ob es nicht neuer Journalistischen Regel bedarf. Ein Regelwerk das die Story, die Betroffenen, den Leser in den Vordergrund stellt und nicht wie es jetzt der Fall ist, das Bedürfnis der erste und zu sein und die meisten Klicks zu kriegen.
Wer so handelt der brauch sich nicht wundern das ihn keiner ernst nimmt wenn er die Moralkeule schwingt.
Kratz@bürste
Schier unglaublich:
gnadenlos wird der Germanwings-Absturz durch alle TV-Programme gejagt – auf der Grundlage eines WARUM? Auf den Grundlagen von Katastrophe, Voyeurismus, Sensationslüsternheit AUSGELÖST durch Medien, die ausbrüten, stundenlang überfüttern und den vermeintlichen 'Heisshunger des Volkes' nähren durch Polarisieren auf eine einzige Person! ––
Ein schrecklicher Tatbestand wird wenig stilvoll hoch'stilisiert' :
vor welchem Hintergrund eigentlich?
DAS ist doch die eigentliche Frage, die sich intelligenter, ethisch-moralisch in Verpflichtung sehender Journalismus
stellen müsste unter Rücksichtnahme auf Hinterbliebene und Angehörige – – fern jeglicher Volksverdummung!
Jakob Bauer
Solange man Trinkwasser an Verdurstende verkauft und Waffen an Bürgerkriegsparteien, solange wird Journalismus auch sogenannte Emotionen den Lesern und Zuschauern zum Frass vorwerfen. Nachrichten sind eine Ware und das ist die Logik des Kapitalismus. Warum dieser Art von Journalismus allerdings demokratietragende Funktion angedichtet wird, während Blogger auf offener Straße ermordet oder öffentlich ausgepeitscht werden, das bleibt eines der großen Mysterien unserer Zeit.
lions
Ja, macht das unter euch aus und lasst mal hören, wenn ihr euch darin einig seit-(:-, dass Auflage und Einschaltquote nicht eure Hauptmotive sind. Vamos !
adagiobarber
Es gibt nunmal Journalisten, die selbst Getriebene sind und gegen jede Zurückhaltung verstoßen.
Erinnert sei an: ACE IN THE HOLE starring Kirk Douglas -1951-
Es hat sich nichts geändert und alles war schon mal da.
QUEERmdb.de
Nicht nur der Journalismus zeigt in diesen Tagen seine ekelhafte Fratze. Auch die Kommunikation der beteiligten Konzerne entlarvt niedere Motive. "100% Flugtauglichkeit" - was für ein dummes und menschenverachtendes Konstrukt, das die Vorstandsvorsitzenden und VIPs nun so oft es geht betroffen aber vehement vor Kameras und Mikros aufsagen.
Friedrich Zoller
Es heißt "mit so vielen deutschen Opfern".