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Journalistische Arbeit in Thüringen„Die AfD war quasi mein Türöffner“

In Paska haben bei der Kommunalwahl mehr als 60 Prozent die AfD gewählt – schon wieder. MDR-Reporter Andreas Kehrer erzählt von Recherchen im Dorf.

Hängt fast jährlich in Paska rum: Michael Kaufmann (AfD), hier auf einem Plakat in Saalfeld-Rudolstadt Foto: Sascha Fromm/imago
David Muschenich
Interview von David Muschenich

wochentaz: Herr Kehrer, bei der Kommunalwahl haben in Paska im thüringischen Saale-Orla-Kreis rund 60 Prozent AfD gewählt. Auch bei früheren Wahlen waren es mehr als irgendwo sonst in Deutschland. Sie waren schon oft dort. Wie hat es Ihnen in Paska gefallen?

Im Interview: Andreas Kehrer

ist 38 Jahre und kommt aus Cottbus. Er lebt seit 2006 in Thüringen. Seit 2019 berichtet er als Freier Mitarbeiter für den MDR über Politik und Gesellschaft.

Andreas Kehrer: Paska ist ein schönes Dorf. Die meisten Häuser sind in gutem Zustand, auf dem Anger in der Dorfmitte liegt ein großer Kinderspielplatz. Hier spielen kleine Kinder ohne Aufsicht ihrer Eltern. Ein Bewohner erzählte mir, dass er nie seine Haustür abschließe, weil im Dorf alle auf­einander aufpassen würden und es eine lebendige Gemeinschaft gebe. Der Feuerwehrverein veranstaltet jährlich einen Weihnachtsmarkt und das Maifeuer, der Fleischer kommt einmal die Woche. Insgesamt geht es Paska gut. Das haben mir die Menschen auch sehr häufig gesagt.

Die „Ostthüringer Zeitung“, die „Zeit“, die „FAZ“: Viele Medien haben wegen der AfD-Ergebnisse über Paska berichtet. Wie kam das vor Ort an?

Überhaupt nicht gut. Nach der Landtagswahl 2019 sind viele Medien nach Paska gekommen, um über die „AfD-Hochburg“ zu schreiben. Auch MDR-Kollegen fuhren nach Paska. Ihnen wurde vorgeworfen, dass wir uns nur fürs Dorf interessieren würden, weil die AfD gewählt wurde. Das wollten wir so nicht stehen lassen. Das war der Grund, warum ich 2020 und 2023 zwei Reportagen über Paska geschrieben habe. Ich wollte über die Stimmung, die Nöte und Sorgen berichten und habe mir mehrere Wochen für die Recherche genommen. Das war notwendig, weil die Dorfgemeinschaft verschlossen war. Ich denke, der Mediensturm, der 2019 über das Dorf hereinbrach, hat das Medienvertrauen im Dorf erschüttert.

Können Sie das nachvollziehen?

Ja, zu großen Teilen. Viele Medien titelten: „AfD-Hochburg Paska“. Aber diese Einschätzung halte ich für nicht gerechtfertigt. Zwar wählen die Paskaer seit 2019 zuverlässig zu einem sehr hohen Anteil AfD. Doch „Hochburg“, das klingt nach festen AfD-Strukturen. Die gibt es nicht. Paska ist viel zu klein, um für irgendwas eine Hochburg zu sein. 2020 gab es etwa 100 Einwohner, 2023 waren es noch 90.

Seit Jahren gibt es deutschlandweit immer wieder Übergriffe auf Journalist:innen. Wurden Sie in Paska angegangen?

Nein, gar nicht. Ich wurde nicht bepöbelt oder dergleichen.

Ostwahlen 2024

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Gar nicht?

In Thüringen kann dir das als Journalist zwar passieren, aber so war es nicht in Paska. Die Leute haben hier zwar kritisch über den MDR gesprochen. Aber ich habe mich immer sicher gefühlt.

Sie haben gesagt, die Dorfgemeinschaft war verschlossen. Konnten Sie trotzdem mit ihr reden?

Das hat geklappt, war aber nicht einfach. Ich habe bestimmt mit 30 bis 40 Menschen während meiner beiden Recherchen über Paska geredet. Vorgespräche waren kein Problem. Wenn’s ums Zitieren ging, machten sie die Schotten dicht. Am Ende sind nur drei wirklich handfeste Interviews rausgekommen. Eine so schlechte Quote habe ich bei anderen Recherchen nicht. Normalerweise ist etwa jeder Zweite zu einem Interview bereit. Insgesamt genießt der MDR in Thüringen nämlich ein recht großes Vertrauen.

Woran hat es gelegen?

Manche Gesprächspartner haben erst zu- und dann abgesagt. Meiner Meinung nach hatten sie Angst vor Konsequenzen. Ich habe schon einen Spalt in der Dorfgemeinschaft wahrgenommen, zwischen denen, die der AfD zugeneigt sind, und denen, die andere politische Ansichten habe. Die würden im Dorf teilweise ausgeschlossen und hätten mit Repressalien zu kämpfen – das wurde mir mehrfach bestätigt. Die Pfarrerin Ute Thalmann sagte, dass die Leute verschlossen seien, weil sie ihr ganzes Leben im Dorf verbracht haben. Die haben hier Haus und Hof und können oder wollen nicht weg. Also spricht man nicht schlecht übers Dorf, selbst wenn man dazu Grund hätte.

Konnten Sie trotzdem herausfinden, weshalb die AfD-Ergebnisse in Paska vergleichsweise so hoch sind?

Ich will mir nicht anmaßen, für das Dorf zu sprechen. Aus meinen Recherchen kann ich Vermutungen ableiten: Es scheint eine rechtskonservative Tradition im Dorf zu ­geben: Seit 1990 waren hier konservative, rechte und auch rechtsextreme Parteien bei Landtagswahlen immer erfolgreich. Die CDU bekam regelmäßig einen Großteil der Stimmen. Unter Merkel scheint das Vertrauen in die CDU im Dorf gelitten zu haben, worin man einen Grund für den Stimmenzuwachs der AfD sehen könnte. Ein weiterer Grund ist, dass sich die anderen Parteien mit Versprechungen rund um die Linkenmühlenbrücke (Anm. d. Red: ein Neubau über einen Stausee) unglaubwürdig gemacht haben. Eine dritte Vermutung: Im Saale-Orla-Kreis sind die Löhne vergleichsweise niedrig. Das führt zu Frustration. Es scheint sich hier das Narrativ festgesetzt zu haben, dass alle andern profitieren würden: Seien es Politiker, die Leute in der Stadt oder die Geflüchteten im Asylheim – nur nicht die Leute auf dem Land.

Und was macht die AfD da anders?

Nach dem Wahlergebnis und der Berichterstattung im Dorf hat der Landesvorstand der AfD in Paska zum großen Kloß-Essen eingeladen – also Thüringer Klöße. Da war auch Björn Höcke. Eingeladen waren aber nur ausgewählte Einwohner. Leute, die politisch andere Meinungen vertraten, wurden nicht eingeladen. Laut AfD war das als kleiner Dank für die Unterstützung gedacht. Aber dadurch, dass sie nicht alle eingeladen hat, hat sie die Dorfgemeinschaft gespalten. Seither ist die AfD immer wieder ins Dorf gefahren. Während der Pandemie gab es einen Auftritt von Höcke. Der AfD-Direktkandidat des Wahlkreises für den Bundestag, Michael Kaufmann, ist so einmal im Jahr da. Das reicht offenbar, um den Eindruck zu hinterlassen, man kümmere sich. Ich habe auch andere Parteien zu Paska befragt: Sie kommen höchstens im Wahlkampf her, um Plakate aufzuhängen.

In den Reportagen haben Sie auch AfD-Politiker, etwa Michael Kaufmann oder den damaligen Landratskandidaten Uwe Thrum­, zitiert. Haben Sie denen damit eine Plattform für Falschaussagen gegeben?

Im August 2023 habe ich Michael Kaufmann angeschrieben, um mit ihm über Paska zu reden. Ein paar Tage später lud er mich direkt nach Paska ein, er wäre mit seiner Sommertour da. Später sagte er mir, dass Paska für die Tour gar nicht vorgesehen war und er den Wahlkampfstand dahin verlegt habe, weil ich mich für den Ort interessierte. Über meine Erlebnisse am Wahlkampfstand der AfD habe ich dann in meiner Reportage geschrieben. Die AfD war quasi mein Türöffner, um überhaupt mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich habe in der Reportage auch ein Gespräch zwischen einem Herrn aus Paska und Uwe Thrum wiedergegeben. Thrum hat dabei mehrfach falsche Zahlen genannt, mit denen er Probleme im Landkreis beschreiben wollte. Im Artikel habe ich seine Falschaussagen kenntlich gemacht und richtiggestellt.

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3 Kommentare

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  • Thüringen war ein Mustergau der Nationalsozialisten, die in einem Erdrutschsieg mit 42,5 Prozent in den Landtag gewählt wurden. Ähnlich wie heute gab es Angst vor dem sozialen Abstieg. Der zweite Parteitag der NSDAP fand im Weimarer Nationaltheater statt.



    Harry Graf Kessler schrieb in dem Zusammenhang: "Die Straßen wimmeln heute Nachmittag von Hakenkreuzlern in grauen Joppen und grauen Stürmern mit Hakenkreuz und Stahlhelm-Abzeichen. Je mehr man von ihnen sieht, umso mehr verstärkt sich der Eindruck, dass die meisten heruntergekommener Mittelstand sind. Die Hakenkreuztruppen, etwa 3.000 Mann, bilden ein Carre; die Mitte des Platzes bleibt leer. Nach beendetem Aufmarsch verschwinden die Fahnen und erscheinen nach einigen Minuten wieder auf dem Balkon des Nationaltheaters, wo jetzt zwei Dutzend blutrote Hakenkreuzfahnen den Hintergrund zu Ludendorff im schwarzen Gehrock bilden. Das ist das Wesentliche, der ernste Sinn dieser theatralischen Schaustellung: eine öffentliche Verschwörung zum Zwecke eines Staatsstreichs."

    www.mdr.de/geschic...schaltung-100.html

    • @Lindenberg:

      Wir sind der Vergangenheit endlich eieder ein großes Stück näher gekommen... Die Koffer sind gepackt.

    • @Lindenberg:

      Danke für den interessanten historischen Bericht.