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Journalist*innen mit BehinderungBürde oder Privileg

Gastkommentar von Judyta Smykowski

Ein Mensch mit Behinderung ist für eine Redaktion mehr als das Gesicht der nächsten Diversity-Kampagne. Denn er oder sie sieht, was ihr nicht seht.

Expertin gibt Rat: bei einem Workshop zu diskriminierungsarmer Bildberichterstattung Foto: Jörg Farys/Gesellschaftsbilder

Warum sollte ich Menschen mit Behinderung anfragen, wenn nicht aufgrund ihrer Behinderung?“ Diese Frage stellte mir einmal eine Journalistin, als es um die Suche nach Protagonist*innen ging. Die Frage offenbart, wie behinderte Menschen gesehen werden: Vor allem als „die Behinderung“ und nicht als Mensch. Das gilt auch für die Medienbranche.

Eine Behinderung wird von der Gesellschaft oft nur als medizinische Diagnose wahrgenommen und nicht als das, was sie vordergründig ist: behindert werden, zum Beispiel durch fehlende Audiosignale, Stufen oder komplizierte Ausdrucksweisen. Dazu kommen diffuse Berührungsängste von nichtbehinderten Menschen, die viele Prozesse und Entscheidungen lähmen. Man wird ausgeschlossen, als sonderbar eingestuft oder als positive Ausnahme.

Vor allem wird man in eine repräsentative Rolle gedrängt und vertritt immer und überall eine ganze Gruppe; in Deutschland macht diese Gruppe 10 Prozent der Bevölkerung aus.

Auch in Medienhäusern stehen die Chance gut, der oder die Einzige zu sein – mit (sichtbarer) Behinderung. Das ist eine verdammt schwere Bürde, denn davon, wie die Zusammenarbeit mit dieser einen Person läuft, hängt ab, ob auch zukünftig Menschen mit Behinderung eine Stelle bekommen. Diesen Druck spüren behinderte Menschen jeden Tag in ihrem Arbeitsleben.

Bild: privat
Judyta Smykowski

Jour­nalistin und Referentin bei Leidmedien.de, einem Projekt des Vereins Sozialhelden. „Leidmedien“ will bei Redaktionen Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen abbauen

Ein Rucksack voll Verantwortung

Die repräsentative Rolle in der Redaktion kostet viel Kraft – „nebenbei“ muss man mit journalistischen Höchstleistungen glänzen, das versteht sich von selbst, sonst hat man den Weg für alle anderen verbaut. Die aufgebürdete Verantwortung und das Kämpfen gegen Bar­rie­ren sind wie ein schwerer Rucksack, den man ständig mit sich herumschleppt. Und obendrein muss man so tun, als wäre er federleicht.

In den Redaktionen müssten deshalb viel mehr Menschen vertreten sein, die einen anderen Blick auf die Dinge haben, etwa bei der Auswahl von Themen und Protagonist*innen. Und die sensibel sind für klischeefreie Sprache und Bildsprache.

Denn leider sind es sind immer noch die gleichen Phrasen, die im Journalismus im Zusammenhang mit Behinderung vorkommen. Sie handeln von Menschen, die an einer Behinderung „leiden“ oder es „trotz der Behinderung“ geschafft haben, dies oder jenes zu tun. Behinderte Menschen werden dargestellt als Inspiration für die Nichtbehinderten – denn schließlich hat „der Behinderte“ es ja auch geschafft. Es ist eine defizit­orientierte Sichtweise, in der ständig „Was kann dieser Mensch (noch)?“ gefragt wird. Anstatt: „Was braucht er oder sie, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen?“

Behinderung auf dem Schirm haben ist gut. Aber selbst damit zu leben, ist besser

Es muss jemanden in der Redaktion geben, der ebendiese Frage stellen kann. Der die Nuancen versteht, der unterscheiden kann zwischen behinderten Menschen und hilflosen Pflegefällen. Es muss jemanden in der Redaktion geben, der behinderte Menschen nicht nur in die Bereiche „Soziales“ und „Medizin“ verortet, der erkennt, dass sie Bürger*innen sind, die man zu jeglichen Themen befragen könnte – weil sie Perspektiven liefern, die anderen fehlt.

Jedes Thema ist ein Thema „mit Behinderung“

Dieser oder diese Jemand müsste im besten Fall eine Behinderung haben. Das Thema „auf dem Schirm haben“ ist gut, selbst damit zu leben, ist besser. Und eine solche Person könnte auch einen frischen Blick auf die Lieblingsthemen der Journalist*innen werfen.

Zum Beispiel auf die Deutsche Bahn, ein Dauerbrenner. Bisher geht es meist um Verspätungen, kaputte Klimaanlagen oder Fahrpreiserhöhungen. Worum es auch mal gehen könnte: dass es die Bahn nach wie vor oft nicht schafft, Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zur gewünschten Reisezeit die Mitfahrt zu ermöglichen. Man muss sich als behinderte*r Reisende*r mindestens 48 Stunden vorab anmelden und hoffen, dass Hilfeleistung gewährt wird.

Die Hilfeleistung kommt in Form eines Mitarbeiters mit einem gigantischen Hublift daher, der ausschließlich von diesem einen Menschen bedient werden darf, nicht von Begleitpersonen oder Schaffner*innen – aus Versicherungsgründen. Zwar gibt es in den neuen ICE-Zügen automatische Rampen direkt am Zug, um die Stufen in den Zug zu überwinden. Diese sind aber häufig defekt – und die 48-Stunden-Frist für die Anmeldung hat auch niemand abgeschafft.

Oder auf die Klima­kri­se – das Vermeiden von Plastikmüll ist in den Ver­brau­che­r*in­nen­sen­dun­gen fast schon zum Wettbewerb geworden. Das ist gut so, nur sollten Menschen mit Muskelerkrankungen nicht dafür verurteilt werden, dass sie Plastikstrohhalme benutzen. Aufgrund ihres geringen Gewichts bedeuten sie Selbstbestimmung beim Trinken. Oder auf das Thema Religion, denn an der Sicht auf Behinderung als Strafe Gottes gibt es einiges zu kritisieren, auch am Konzept der „Heilung“.

„Niemanden gefunden“? Try again!

Sportler*innen mit Behinderung sollten porträtiert werden, weil sie erfolgreiche Wettkämpfer*innen sind. Nicht weil sie ihr „Schicksal“ im Wettkampf „überwinden“. Schau­spie­le­r*innen sollten nicht dazu befragt werden, warum sie „trotz Downsyndrom“ nun in einem Film mitspielen. Vielleicht sind sie einfach fähige Schau­spie­le­r*in­nen, die schlicht das Downsyndrom haben – und trotz fehlender Inklusion in der Ausbildung so weit gekommen sind.

Wenn nichtbehinderte Redak­teu­r*innen sagen, sie hätten niemanden mit Behinderung gefunden, der zum Thema Mobilität, Klima oder Religion etwas sagen kann, dann haben sie schlicht ihren Job nicht gut genug gemacht, weil sie die Zugänge zur Community nicht genutzt haben.

Menschen auf Augenhöhe waren behinderte Menschen im bisherigen Leben der Jour­na­lis­t*in­nen wahrscheinlich nicht, falls überhaupt Begegnungen stattfanden. Behinderte Menschen werden in dieser Gesellschaft nämlich immer noch ziemlich oft aussortiert. Wenn sie überhaupt geboren werden, landen sie auf Förderschulen und in sogenannten Behindertenwerkstätten – Orte fernab des ersten Arbeitsmarkts und anderer Menschen ohne Behinderung.

Menschen auf Augenhöhe waren behinderte Menschen im bisherigen Leben der Jour­na­lis­t*in­nen wahrscheinlich nicht

Die vielfältige Besetzung einer Redaktion ist auch wichtig für die journalistische Nachwuchsförderung. Bisher gibt es in Deutschland vornehmlich Mo­de­ra­to­r*innen mit sichtbarer Behinderung, wenn es auch um Behinderung in der Sendung geht. Man sollte es allerdings auch akzeptieren, wenn behinderte Reporter*innen ebendieses Thema nicht abdecken wollen, nicht das Gesicht der Diversity-Kampagne der Redaktion sein wollen, sondern einfach nur ihrem Job nachgehen.

Redaktionelle Macht

Journalist*innen sollten auch in der Sprache über behinderte Menschen sensibler werden. Sprache schafft Bewusstsein und ist ein Werkzeug. Wir können stets entscheiden, wie wir das Werkzeug einsetzen. Damit sensibel umzugehen und nicht zu diskriminieren, sollte selbstverständlich für alle von uns und insbesondere für Journalist*innen sein. „Das hat man schon früher so gesagt“ oder „Ich bezeichne die Menschen, wie ich es für richtig halte“ ist eine ignorante Haltung, die auch nicht zu einer diversen Besetzung von Redak­tio­nen führt.

Sprache offenbart die Einstellung gegenüber den Mitmenschen, wenn danach gefragt wird, warum behinderte Menschen überhaupt fernab des Themas Behinderung vorkommen sollten. Eine solche redaktionelle Entscheidung treffen zu können bedeutet, eine ungeheure Macht zu haben und das Bild von diesen Menschen in der Gesellschaft prägen zu können. Diese Macht sollte nicht ausschließlich in den Händen nichtbehinderter Re­dak­teur*innen liegen.

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6 Kommentare

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  • Liebe Judyta Smykowski!

    Ich habe Ihren Artikel mit großem Interesse gelesen. Ich bin auch sehr für eine breitere Diversität in den Medien. An einer Stelle Ihres Textes bin ich jedoch hängen geblieben, weil sie mir sprachlich und damit auch inhaltlich leider sauer aufstößt und habe dazu ein paar Anmerkungen.

    „Es muss jemanden in der Redaktion geben, der [...] die Nuancen versteht, der unterscheiden kann zwischen behinderten Menschen und hilflosen Pflegefällen.“

    Hilflose Pflegefälle? Wer soll das sein? Menschen anscheinend nicht… Sie fordern gleiche Behandlung behinderter Menschen und werten gleichzeitig behinderte Menschen mit hohem Assistenzbedarf durch diese Formulierung ab.



    In der Theorie sind Sie sprachlich ja eigentlich schon viel weiter. Auf leidmedien.de, wo sie auch als Autorin verzeichnet sind, steht geschrieben:



    „Behinderte Menschen als „Pflegefall“ zu bezeichnen reduziert sie auf Pflegebedürftigkeit. Wenn Menschen zu „Fällen“ werden, werden sie als Objekte und Last für die Allgemeinheit wahrgenommen. Sogenannte „Pflegefälle“ bekommen vielleicht auch Persönliche Assistenz: Eine Form der alltäglichen Unterstützung, in der behinderte Menschen selbst Entscheidungen treffen können. Die Form der Pflege oder Assistenz, die ein behinderter Mensch bekommt, kann also unterschiedlich sein.“ (leidmedien.de/begriffe/)

    Fehler passieren und diese Formulierung zeigt, wie schwierig es oft sein kann, sich in eine Situation hineinzudenken in der man selbst nicht steckt. Außerdem zeigt es auch, dass wir diskriminierende Sprache gewohnt sind, selbst wenn wir uns eigentlich für sensibel halten. Wenn man sich argumentativ auf die Unterschiedlichkeit von Menschen konzentriert, kann das zudem destruktiv sein. Insofern wäre mein Vorschlag, dass es Redaktionen jemanden geben muss, der die Gemeinsamkeiten erkennt zwischen allen Menschen. Zum Beispiel, dass es Menschen sind.

    Viele Grüße, Carla

  • Wenn ihr weg wollt vom Defizit, vom:von der Nixkönnenden, vom Hilfs- und Mitleidsfall: WARUM bebildert ihr dann wieder 1. Rollstuhl, 2. nicht mal als Person, sondern nur als Unterleib, 3. in einer völlig unmodernen Bekleidung und 4. in einer demütigen Situation, wo nämlich wieder "Hilfe" benötigt wird aufgrund der Umstände?

    Warum konterkariert ihr mit der Bebilderung den inhaltlich fantastischen Artikel?

    • @Chaoskatze:

      Plötzlich behindert

      Wie wahr wie wahr, dieser taz-Beitrag! Ich durfte eigene Erfahrung machen, nach 25 Jahren Beschäftigung (+10 Jahre freier Schreiber) wegen meiner Behinderung von der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ)und dem Konzern Madsack aussortiert worden zu sein. Schwerbehindertenschutz gibt es nur auf dem Papier, es half nicht gegen die Kündigung! Um dem Vorhaben Nachdruck zu verleihen, wurde ich gemobbt und in der Kündigung Lügen bedient. "Geschäftsschädigend" soll ich als Mitarbeiter gewesen sein. Die Angelegenheit, hat einmal mehr die große Lüge von der Integration behinderter Menschen offenbart. Auf Anfrage gern mehr zu dem Thema.



      Mein Eindruck: Behinderte Menschen werden immer mehr aussortiert. Die suggerierte Gleichberechtigung und Integration sind für mich der blanke Hohn!

  • "Eine Behinderung wird von der Gesellschaft oft nur als medizinische Diagnose wahrgenommen und nicht als das, was sie vordergründig ist: das behindert werden, zum Beispiel durch fehlende Audiosignale, Stufen oder komplizierte Ausdrucksweisen."

    Ein Mensch wird nicht durch fehlende Audiosignale behindert, sondern die Gesellschaft unterlässt mögliche Maßnahmen zur Kompensation einer Behinderung, ohne die er die Audiosignale gar nicht nötig hätte. Davon abgesehen, dass auch wenn die Gesellschaft alle Möglichkeiten zur Kompensation seiner Behinderung ausreizen würde, ein Mensch ohne Augenlicht immer noch unzählige Nachteile hätte gegenüber Menschen, die sehen können. Und wie erklärt man diese Nachteile, wenn eine Behinderung nicht mehr ist als ein soziales Konstrukt?

  • "Vor allem als „die Behinderung“ und nicht als Mensch. Das gilt auch für die Medienbranche."

    Der ganze Artikel greift eine Menschengruppe nur aufgrund ihrer Behinderung heraus und stellt dieses Merkmal damit in den Vordergrund. Mehr oder weniger deutlich wird die berufliche Bevorzugung von behinderten Menschen eingefordert. Da ist etwas absurd, wenn gleichzeitig angeprangert wird, dass behinderte Menschen als behindert wahrgenommen werden.

  • "Schau­spie­le­r*innen sollten nicht dazu befragt werden, warum sie „trotz Downsyndrom“ nun in einem Film mitspielen. Vielleicht sind sie einfach fähige Schau­spie­le­r*in­nen, die schlicht das Downsyndrom haben – und trotz fehlender Inklusion in der Ausbildung so weit gekommen sind."

    Sorry, aber wer soll das glauben? Ein Mensch mit Down-Syndrom hat einen IQ um die 50 und ist damit so beeinträchtigt, dass üblicherweise nicht mal eine Arbeit im Niedriglohnsektor möglich ist. Bekommt er eine Rolle als Schauspieler, dann offensichtlich nicht aufgrund herausragender Fähigkeiten, sondern weil sein Auftritt der moralischen Selbstaufwertung von Theater und Publikum dient. Hätte er nicht das Down-Syndrom und wäre sein IQ 30 Punkte höher, sodass er in den Bereich normaler Schwachbegabung fiele, dann würde sich niemand für ihn interessieren und niemand käme auf die Idee, ihm oder ihr eine Rolle als Schauspieler anzubieten.