Journalistin zu Repression in Nicaragua: „Physische und psychische Folter“
Seit Juni 2021 ist Félix Maradiaga in Nicaragua in Haft – als politischer Gefangener. Journalistin Berta Valle Otero über ihren Mann und das Ortega-Regime.
taz: Frau Valle Otero, Ihr Mann Félix Maradiaga ist Professor für Politologie und wollte für die Präsidentschaftswahlen im vergangenen November kandidieren. Warum sitzt er im Gefängnis?
Berta Valle Otero: Er gehörte immer schon zu den Akademikern, die international darauf aufmerksam machten, was in Nicaragua passierte. Er warb schon 2016 um internationale Solidarität, als das Regime von Daniel Ortega in eine Diktatur abzugleiten drohte. Dann kam das Jahr 2018 und das, was wir „zivile Revolution“ nennen. Sie wurde ausgelöst durch eine Reform des Sozialversicherungswesens, die die Pensionen kürzte. Da gingen Junge und Familien auf die Straße. Wir betrachten den 18. April 2018 als Wendepunkt in unserer Geschichte, an dem erstmals ein gewaltfreier massiver Kampf um demokratische Veränderungen auftrat.
Da wurde viel Blut vergossen.
Leider reagierte das Regime mit großer Gewalt. Zuerst mit Schlägertrupps, die Demonstranten auseinandertreiben wollten. Das führte zur Ausweitung der Proteste: Universitäten und Straßenkreuzungen wurden besetzt und nach wenigen Wochen zählten wir 355 Tote – ermordet durch den Staat. Mehr als 1.500 Personen wurden verletzt. In diesem Jahr sind bereits mehr als 1.700 Nichtregierungsorganisationen, die sich nach einem neuen Gesetz als „ausländische Agenten“ deklarieren mussten, aufgelöst worden.
38, ist Journalistin, Demokratie-Aktivistin und Mitgründerin von TrollBusters, einem Tool gegen Hass im Netz.
Ihr Mann wollte im November 2021 für die konservative Nationale Blau-Weiße Einheit, eine Oppositionsallianz, antreten. In einer Vorwahl sollte ein gemeinsamer Kandidat der Opposition ermittelt werden. Dazu ist es aber nie gekommen.
Félix wurde am 8. Juni 2021 festgenommen. Zuerst lud ihn die Staatsanwaltschaft zu einer Befragung vor. Die hat rund vier Stunden gedauert. Danach stieg er in sein Auto und wollte nach Hause fahren. Die Medien haben das live übertragen. Ich war mit unserer Tochter Alexandra bereits in den USA und wir konnten vom Exil aus zusehen, wie sein Auto nach wenigen Metern von der Polizei gestoppt wurde. Sie haben ihn mit Gewalt herausgeholt, geschlagen und an einen unbekannten Ort verschleppt. 84 Tage blieb er verschwunden. So lange wussten wir absolut nichts über seinen Aufenthaltsort. Gemeinsam mit anderen Angehörigen, die in der gleichen Situation waren, haben wir ein Lebenszeichen gefordert. Erst als sich Amnesty International einschaltete und eine Kampagne gegen gewaltsames Verschwindenlassen durchführte, reagierte das Regime. Eine Schwester durfte ihn schließlich besuchen. Über sie wissen wir, dass Félix in Einzelhaft sitzt und in den 84 Tagen ohne jeden Kontakt zur Außenwelt zwölf Kilo abgenommen hat.
Soviel man weiß, befindet er sich im Chipote, dem berüchtigten Polizeigefängnis, das man aus der Zeit der Somoza-Diktatur kennt.
Ja, wir haben uns daran gewöhnt, dass die Gefangenen dort hingebracht werden. In den 465 Tagen seiner Gefangenschaft hat Félix nicht einen Anruf von uns aus dem Exil entgegennehmen dürfen, er bekommt keine Briefe zugestellt, nicht einmal eine Zeichnung unserer Tochter. Das steht im Widerspruch zum nicaraguanischen Strafvollzugsgesetz.
Hat Félix Maradiaga schon seinen Prozess gehabt?
Ja, einen von völliger Willkür geprägten Prozess im März. Vom Gesetz her sollte der öffentlich sein, wurde aber geheim geführt. Ein einziger Familienangehöriger durfte dabei sein. Die Verteidiger hatten keinen Zugang zu den Akten. Félix hatte vier Anwälte. Der erste musste ins Exil flüchten, der zweite sitzt selbst im Chipote als Gefangener. Der dritte floh auch ins Exil und der vierte wagt es nicht, vor Gericht aufzutreten, weil er auch seine Festnahme befürchten muss. Es gibt also keinen Zugang zur Verteidigung. Es gibt keinen Rechtsstaat, weil die Justiz völlig von der Exekutive kontrolliert wird.
Was genau wirft man ihm denn vor?
Schädigung der nationalen Integrität. Er wurde zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.
Also nach dem berühmten Gesetz 1055, das aus einem einzigen Paragrafen besteht?
Richtig. Dieses und einige andere Gesetze, die eigens zur Verfolgung der Opposition geschaffen wurden, sind illegal, weil sie von der Nationalversammlung auf Zuruf des Präsidentenpaares abgesegnet wurden. Wir haben alle Rechtsmittel ergriffen. Kürzlich wurden einige Gefangene dem Richter vorgeführt. Im Rahmen einer „informativen Anhörung“, für die es keine gesetzliche Grundlage gibt. Da wurde ihnen mitgeteilt, dass ein Kassationsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof läuft. Wir hoffen natürlich, dass da die Unschuld unserer Angehörigen festgestellt wird. Aber so wie das Regime bisher agiert hat, ist die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt.
Die Zeugen, die vor Gericht auftraten, sind allesamt Polizisten, etwa 24 an der Zahl. Die Verteidigung durfte keine eigenen Zeugen berufen. Alle Gewissensgefangenen haben nichts anderes verbrochen, als von ihren verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch zu machen. Wir haben das Recht, uns zu versammeln und unsere Meinung auszudrücken. Bei den Demonstrationen wurden öffentliche Räume besetzt, was völlig legal ist.
Welche Beweise wurden da aufgeführt?
Im Fall von Juan Sebastián Chamorro behaupteten sie, sie hätten Kriegswaffen gefunden. In Wahrheit hat er zu Hause ein zerschnittenes Sturmgewehr, das an die Demobilisierung am Ende des bewaffneten Konflikts erinnern soll. Bei Félix haben sie sich auf Postings auf Facebook berufen, in denen er zur Teilnahme an einer friedlichen Demonstration aufgerufen hat.
Was weiß man über die Haftbedingungen?
Unter den über 200 politischen Gefangenen gibt es drei Gruppen. Die erste ist schon vor 2018 eingesperrt worden, die zweite im Zuge der Proteste gegen die Regierung im Jahr 2018 und die dritte im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom November 2021. Letztere befinden sich nicht in ordentlichen Justizvollzugsanstalten, sondern im Polizeigefängnis El Chipote. Wie es Félix geht, wissen wir nicht mit Sicherheit. Er sitzt in seiner Zelle in völliger Dunkelheit. Alle zehn Tage dürfen die Häftlinge eine Viertelstunde ans Sonnenlicht. Sie schlafen auf einer dünnen Matratze auf dem Betonboden. Diejenigen, die ihre Zelle mit einem anderen teilen, dürfen nicht miteinander reden. Die Nahrung ist extrem spartanisch. Wir sprechen von physischer Folter. Félix hat inzwischen 30 Kilo verloren, andere Gefangene bis zu 35 Kilo. Sie haben keinen Zugang zu Lektüre, nicht einmal die Bibel wird ihnen erlaubt. Sie bekommen keine Post, keine Anrufe, sie dürfen ihre Kinder nicht sehen, auch die nicht, die noch im Lande sind. Das ist psychische Folter. Die Gefangenen tragen bleibende Schäden davon. Felix sagt: „Ich fühle, wie sie uns langsam auslöschen.“ Er hat angekündigt, in Hungerstreik zu treten. Als er erstmals nach mehr als einem Jahr der Presse vorgeführt wurde, hat ihn ein Regierungsjournalist beschimpft: „Was jammerst du uns etwas vor? Du bist ja bei bester Gesundheit und kannst noch auf eigenen Beinen gehen.“
Was unternehmen die Angehörigen der politischen Gefangenen?
Wir setzen unsere Kampagne fort und informieren die internationale Öffentlichkeit. Wir wollen verhindern, dass sich der Fall von Hugo Torres wiederholt, der im Februar nach acht Monaten an den verheerenden Haftbedingungen gestorben ist. Die Ärzte sagen uns, wenn die Haftbedingungen nicht verbessert werden, tragen die Gefangenen bleibende Schäden davon. Die fähigsten Leute unserer Gesellschaft sitzen ein: Präsidentschaftskandidaten, die Spitze der feministischen Bewegung, Bauernführer, Studentenführer, Journalisten.
Es gibt Berichte über Fälle von Sippenhaft.
Da gibt es zum Beispiel den Fall von Javier Álvarez, der im Vorstand der Partei Unamos war. Er konnte ins Ausland flüchten. Deswegen haben sie seine Frau und seine Tochter festgenommen. Sie ließen ihm ausrichten, wenn er sich nicht stellt, würden seine Angehörigen im Chipote bleiben. Das ist Terrorismus.
Es gibt eine internationale Kampagne zur Freilassung der politischen Gefangenen, allen voran von Dora María Téllez, die im Ausland wohl die bekannteste ist. Sie war führend am Kommando beteiligt, das im August 1978 den Nationalpalast einnahm. Die erfolgreiche Geiselnahme im Parlament der Diktatur wird ja als Anfang vom Ende des Somoza-Regimes betrachtet.
Dora María Téllez ist besonders wichtig, weil man meinen sollte, ihr Schicksal läge auch Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo am Herzen. Aber ihr Name wurde aus der Geschichte getilgt, als hätte es sie nie gegeben.
Félix Maradiaga wird ja vorgeworfen, er hätte Geld von reaktionären republikanischen Stiftungen in den USA genommen.
Alle Nichtregierungsorganisationen waren auf internationale Kooperation angewiesen. Vor zehn Jahren hat das niemanden aufgeregt. Jetzt erhebt das Innenministerium plötzlich den Vorwurf der Geldwäsche. Das ist so im Fall von Cristiana Chamorro und der Stiftung Violeta Barrios de Chamorro, die sie lange geleitet hat, und das war auch bei Félix so. Jetzt wurden diese Gesetze geschaffen, die alle, die Geld aus dem Ausland nehmen, zu ausländischen Agenten erklären.
Apropos ausländische Agenten. Wie macht sich der zunehmende russische Einfluss in Nicaragua bemerkbar?
Ich bin seit vier Jahren nicht mehr im Land, kann also nicht aus eigener Anschauung berichten. Aber vor Kurzem wurde mit Pauken und Trompeten ein Kontingent russischer Soldaten begrüßt, das angeblich an Militärmanövern teilnehmen soll. Letztes Jahr wurde eine Studie veröffentlicht, wonach Nicaragua in der Region das Land ist, das im Verhältnis am meisten in Rüstung investiert hat, mehr als alle anderen in Zentralamerika zusammen. Wo werden diese Waffen und Panzer gekauft? In Russland und Iran. Nicaragua hat als eines der wenigen Länder Russlands Invasion in der Ukraine begrüßt. In Nicaragua wollen wir keinen neuen Krieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden