Journalistenmord in Griechenland: 13 Kugeln gegen die Presse
Bespitzelungen, ein Toter: Journalisten in Griechenland leben gefährlich. In Athen beginnt der Prozess wegen des Mords an Reporter Giorgos Karaivaz.
Der brutale Mord am helllichten Tag auf offener Straße glich einer Hinrichtung und sorgt für einen großen Aufschrei auch fernab von Hellas. Drei Jahre nach der Ermordung fordern internationale Organisationen für Pressefreiheit, darunter das in Leipzig ansässige European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF), in einer gemeinsamen Erklärung die griechischen Behörden dazu auf, den Fall endlich aufzuklären. „Trotz der Verhaftung von zwei Verdächtigen im April 2023 gab es bisher keine wesentlichen Fortschritte. Angesichts der Tatsache, dass Karaivaz über Verbindungen der griechischen Polizei mit dem organisierten Verbrechen berichtete, besteht die reale Gefahr, dass Teile der Polizei nicht wollen, dass die Ermittlungen vorankommen“, heißt es darin.
Die Pressefreiheit in Griechenland ist in Gefahr. Bespitzelungen, Verleumdungsklagen, Morde: Erstmals seit dem Ende der Obristendiktatur im Sommer 1974 verurteilte das Europaparlament in einer Entschließung vom 7. Februar Griechenland. Den Finger in die Wunde legte in der Causa Hellas ferner der Europarat. Ein am 5. März veröffentlichter Bericht über die Pressefreiheit in Europa widmet sich ausführlich dem Problemkind Griechenland. In der aktuellen Weltrangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Hellas nur noch den 88. Platz und ist damit abgeschlagenes EU-Schlusslicht – hinter der Zentralafrikanischen Republik, Katar sowie Burkina Faso.
Abhängig von Staatsgeldern
Von den Gründen dafür kann Eurydice Bersi von der Athener Investigativplattform Reporters United (RU) ein Lied singen. In der griechischen Presse gebe es eine Reihe von Methoden, damit Sachverhalte, die die Regierung in Athen, Botschaften anderer Länder oder Großunternehmer stören könnten, nicht veröffentlicht werden, sagt Bersi gegenüber der taz. „Journalisten schlagen sie, wohlwissend, dass diese nicht abgenommen werden, erst gar nicht ihren Ressortleitern vor“, sagt er. Ferner wüssten die Ressortleiter, welchen Auftrag sie welchem Redakteur erteilen. Das reiche meistens schon. „Falls nicht, gibt es einen dritten, selteneren Mechanismus: störende Textstellen erscheinen einfach nicht“, sagt Bersi und fügt hinzu: „Zum Glück gibt es journalistische Widerstandsnester wie RU.“
Die vierte Gewalt habe sich der Exekutive unterworfen, stellt auch der Wirtschaftsjournalist Thanassis Koukakis fest. Das habe vor allem ökonomische Gründe.„Die meisten Medien sind chronisch defizitär und somit auf mit Staatsgeldern finanzierte Werbung dringend angewiesen.“ Würden die Staatsgelder als Finanzquelle ausfallen, müssten drei Fünftel der Medien sofort schließen, so Koukakis.
Koukakis ist sauer. Der griechische Geheimdienst EYP hat ihn nachweislich abgehört. Pikanterweise ordnete Premier Mitsotakis unmittelbar nach der Machtübernahme an, dass die EYP ihm persönlich direkt unterstellt wird. Dennoch wäscht ausgerechnet Mitsotakis seine Hände in Unschuld. Die Athener Strafjustiz, deren Spitze Mitsotakis ernennt, lässt ihn in Ruhe. Stattdessen sieht sich Koukakis, ein Opfer im gigantischen Athener Abhörskandal, gleich drei Zivilklagen mit horrenden Geldforderungen ausgesetzt. Die ehemalige rechte Hand und der Neffe von Premier Mitsotakis, Grigoris Dimitriadis, der im August 2022 im Zuge des Abhörskandals zurücktrat, fordert von ihm in Summe 550.000 Euro. Dem Premier-Neffen stieß es übel auf, dass Koukakis auf der Plattform X fremde Artikel über den Abhörskandal retweetete.
Klagen und Strafanzeigen als Einschüchterung
Koukakis erinnert sich: „Als die damals zuständige EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, Věra Jourová, in Athen war, um sich vor Ort über die Lage der Pressefreiheit zu informieren, wollte mich plötzlich nur ein Mitarbeiter von ihr sehen, nicht Jourová selbst, obwohl vorab ein Treffen mit Jourová vereinbart war.“ Kurz nach dem Treffen mit ihrem Mitarbeiter im Athener EU-Gebäude habe er Jourová auf der Treppe gesehen. Er habe sich vorgestellt. Mit entwaffnender Ehrlichkeit habe ihm Jourová vor weiteren Anwesenden erklärt: „Ah, Sie sind Herr Koukakis! Sie sollte ich hier in Athen auf keinen Fall treffen!“ Koukakis voller Frust: „Ich bin seit 27 Jahren Journalist. Noch nie stand es um den Journalismus in Griechenland so schlecht wie heute.“
Griechenlands wohl bekanntester Investigativjournalist, Kostas Vaxevanis, Herausgeber der Athener Wochenzeitung Documento, nennt nur einen Namen, um die hiesige Lage der Pressefreiheit zu beschreiben: „Viktor Orbán“. An der Regierung Mitsotakis lässt der 58-Jährige kein gutes Haar. Vaxevanis offenbart, dass gegen ihn in den letzten Jahren rund 120 Klagen und Strafanzeigen erhoben worden sind. Man wolle ihn einschüchtern, mundtot machen, ökonomisch vernichten. Er werde aber sich nicht beugen, sagt er. Und dies, obgleich die gegen ihn gerichteten Klagen viel Zeit und Geld kosteten. „Bisher musste ich dafür eine Viertelmillion Euro für Gerichtskosten und Rechtsanwälte aufbringen.“ Obendrein sei seine körperliche Unversehrtheit „wiederholt bedroht“ gewesen, auch einen versuchten Auftragsmord an ihm habe es gegeben, so Vaxevanis.
Zurück zum Mord an Reporter Karaivaz: Der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Killer beginnt am Mittwoch an einem Athener Gericht, mehr als drei Jahre nach der Tat. Die Athener Rechtsanwältin Roi Pavlea, die Mutter und Schwester des ermordeten Giorgos Karaivaz vertritt, sagt im Vorfeld des Prozesses: „Wir erwarten, dass die Auftraggeber, egal wie weit oben sie sich befinden, gefunden und bestraft werden“. Sie geht davon aus, dass es sich bei den Angeklagten um Auftragsmörder handelt.
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