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Journalisten in KolumbienDer Spion, der mich schützen sollte

Die Unidad Nacional de Protección soll Journalisten schützen. Doch die Bodyguards im Auftrag des Staates spionieren auch gern.

Schützen Journalisten wie Javier Osuna: Bodyguards der Unidad Nacional de Protección Foto: afp

Der Seminarraum der Universität Minuto de Dios ist gut besucht. Rund vierzig Studenten sind gekommen, um die Vorlesung über Menschenrechte zu hören. Javier Osuna, ein drahtiger junger Mann mit fusseligem Che-Guevara-Bart, Brille und halb-langen schwarzen Haaren, spricht über Landvertreibung und Paramilitärs. Phänomene, die es in Kolumbien, aber auch in anderen Staaten des Subkontinents gibt.

Der Blick über den Tellerrand ist nicht eben typisch für Kolumbien. Doch an der katholischen Universität Minuto de Dios, die nicht zu den Eliteunis gehört, sondern zu den bezahlbaren, wird darauf Wert gelegt: Kritische Analyse ist im Lehrplan verankert. Das gefällt den Studenten – und Osuna.

„Hier wird oft nach Feierabend studiert, die Leute wissen, was sie wollen“, sagt er. Der 29-Jährige ist hauptberuflich investigativer Journalist, seit rund drei Jahren gibt er außerdem Seminare zu Menschenrechten und Medien.

Das motiviert und sorgt für die finanzielle Basis, denn Osuna schreibt nicht für El Tiempo oder El Espectador, die beiden großen Tageszeitungen Kolumbiens, sondern für Verdad Abierta, ein investigatives Nachrichtenportal.

Die „offene Wahrheit“ ist aus einer Kooperation zwischen der Wochenzeitung Semana und der Stiftung „Ideen für den Frieden“ hervorgegangen. Sie berichtet über die Hintergründe von Paramilitarismus, Landvertreibung, Menschenrechtsverletzungen und über große Investitionsprojekte, die oftmals soziale Strukturen infrage stellen.

Riskante Tätigkeit

Exakt die Themen, mit denen sich Javier Osuna beschäftigt – als Journalist, Dozent und Leiter seiner eigenen Stiftung „Fahrenheit 451“. Diese organisiert Literaturworkshops an Schulen und in Gefängnissen und versucht mit Videos von Zeitzeugen, ein Stück kolumbianische Geschichte festzuhalten.

Das ist riskant in Kolumbien. Deshalb steht auf dem Hof vor dem Universitätsgebäude ein geräumiger silberner Geländewagen, in dem ein Mann mit kräftigem Oberkörper auf das Ende der Vorlesung wartet.

Julian ist einer der beiden Personenschützer, die Osuna begleiten, sobald dieser sein Apartment verlässt. Rund um die Uhr, auf Schritt und Tritt. Nur im Innern der Uni haben die beiden nichts zu suchen.

„Eine Vorlesung mit Bodyguards – das geht einfach nicht“, sagt Osuna. Weil er seine Glaubwürdigkeit als Journalist nicht vor den Studenten verlieren will und ohnehin schon genug damit zu kämpfen hat, dass Recherche mit Bodyguards ein Widerspruch ist. „Zeugen bekommen Angst, ziehen sich zurück, fühlen sich bedroht, weil ich nicht allein aufkreuze.“

Es ist Osuna anzusehen, wie sehr ihm der Wandel in seinem Leben gegen den Strich geht. Seit zwei Jahren lebt er nun unter Personenschutz.

Von Paramilitärs bedroht

Alles begann damit, dass sein Apartment im Zentrum Bogotás in Flammen aufging. Das war am 22. August 2014. „Ich konnte anfangs kaum glauben, dass es mir galt“, erzählt Osuna, „doch dann begannen die Drohanrufe.“ Schließlich war klar, dass Paramilitärs etwas gegen seine Recherchen in der Nähe von Cúcuta hatten.

Dort, im Verwaltungsbezirk Norte de Santander, nahe der venezolanischen Grenze, hatte Osuna aufgedeckt, wie Paramilitärs ihre Opfer verschwinden ließen. In einem Krematorium nahe der Stadt Cúcuta wurden mehr als 500 Menschen eingeäschert, die Kleidung einiger Opfer hing noch an den Wänden. Das ist auf den Fotos zu sehen, die in „Me hablarás del fuego“ („Du wirst mit mir über das Feuer sprechen“) abgedruckt sind.

In dem Buch, das im Dezember 2015 in Kolumbien erschien, erinnert Osuna an die Opfer der Paramilitärs, weist nach, wer für ihren Tod verantwortlich ist und wie sich der Staat zum Komplizen des Bloque Catatumbo der Paramilitärs machte.

Das brisante Buch ist der Grund, weshalb sich Osuna innerhalb und außerhalb Bogotás nicht mehr allein bewegen kann. Seinen Volkswagen, Baujahr 1968, hat er eingemottet. Jetzt sind da die Bodyguards mit dem silbernen Geländewagen.

Vorsätzlich ausspioniert

Sie gehören zur Unidad Nacional de Protección (UNP), der nationalen Schutzeinheit, die in Kolumbien mehr als 6.000 Menschen, darunter exakt 142 Journalisten, schützt. Manche wie Osuna rund um die Uhr, andere nur bei Recherchen. Wieder andere werden mit einem Notfalltelefon und einer schusssicheren Weste ausgestattet, je nach Risikoanalyse der UNP-Experten.

„Wir arbeiten effektiv. Bei 62.000 bis 63.000 Risikoanalysen seit der Gründung 2011 haben wir eine Fehlerquote von drei bis vier Fällen“, sagt UNP-Direktor Diego Mora. Seit Anfang 2015 ist er im Amt. Er ist gegen Korruption vorgegangen, hat die Ausgaben reduziert und ist derzeit damit beschäftigt, Außenstellen der UNP in den größeren Städten des Landes aufzubauen.

Der Bedarf ist angesichts der vielen Gewalttaten, die in Kolumbien in den letzten Wochen registriert wurden, gestiegen, doch der Ruf der Unidad ist unter Journalisten und Menschenrechtsaktivisten nicht der beste.

Wir arbeiten derzeit mit 3.200 Personenschützern und können Fehler kaum ausschließen

UNP-Direktor Diego Mora

Handbücher zur Prävention und gegen das Ausspionieren durch staatliche und nichtstaatliche Akteure hat die Stiftung für Pressefreiheit (FLIP) auf ihrer Korrespondententagung Anfang November in Bogotá vorgestellt. Da sind auch die negativen Erfahrungen von Javier Osuna enthalten, der von einem seiner Personenschützer vorsätzlich ausspioniert wurde.

„Wir haben herausbekommen, dass der ehemalige Armeeoffizier einen der Paramilitärs, über den ich in meinem Buch geschrieben habe, ausgebildet hat“, sagt Osuna. „Er hat mich zu Freunden, zu meinen Eltern und zu Recherchetreffen begleitet und so vertrauliche Informationen abgefischt.“

Kein Vetrauen in die Personenschützer

Ausspionieren statt schützen – so lautete die Devise des Exmilitärs. Das hat durchaus Tradition in Kolumbien, denn schließlich ist der Geheimdienst DAS nur deshalb aufgelöst worden, weil er Journalisten wie Hollman Morris, die oppositionelle Abgeordnete Piedad Córdoba oder den Menschenrechtsanwalt Gustavo Gallón auf Weisung von oben ausspioniert hat: Fakten, die in Kolumbien unstrittig sind und Ende 2010 erst zur Gründung der unabhängigen UNP geführt haben.

„Hier entscheidet nicht irgendein Abteilungsleiter, wer Schutz erhält, sondern eine interdisziplinär besetzte Kommission“, erklärt Diego Mora. Wie es zum Ausspionieren Osunas kommen konnte, kann er sich allerdings auch nicht erklären: „Wir arbeiten derzeit mit 3.200 Personenschützern und können bei dieser Anzahl Fehler kaum ausschließen.“

Das Vertrauen in seine Dienststelle ist unter Journalisten nicht sonderlich ausgeprägt. So hat Ana Cristina Restrepo, Radiojournalistin aus Medellín, die 2015 von Paramilitärs stark bedroht wurde, auf UNP-Bodyguards verzichtet, weil sie Angst hatte, dass sich das Anschlagsrisiko dadurch eher erhöhen würde.

Zusammenarbeit wenig fruchtbar

Claudia Duque, Journalistin beim Radiosender des Menschenrechtsnetzwerks Nizkor, lässt sich hingegen von Freiwilligen der Peace Brigades International (PBI) begleiten, weil sie UNP-Personenschützern nicht traut.

Von noch gravierenderer Bedeutung für die Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP) ist die Tatsache, dass fast alle Angriffe gegen Journalisten straffrei ausgehen und die Zusammenarbeit zwischen Personenschützern und Justiz wenig fruchtbar ist.

Von den 338 Anzeigen wegen Bedrohung zwischen Anfang 2000 und August 2014 wurden nur in einem einzigen Fall die Verantwortlichen verhaftet, und kaum einer der 152 Morde an Journalisten, die die FLIP seit 1977 registriert hat, wurde aufgeklärt.

Für Javier Osuna eine bittere Bilanz, die aber kaum überrascht. Er verweist auf das eigene Beispiel: Weder habe er etwas auf seine Anzeige wegen Brandstiftung gehört noch auf jene gegen die UNP wegen Gefährdung eines Schutzbefohlenen. „In Kolumbien regiert die Straflosigkeit“, sagt Osuna und steigt in den Geländewagen, dessen Maschine schon läuft.

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