Journalist über Migration nach Schweden: „Keine Lösungen für junge Menschen“
Der schwedische Journalist Diamant Salihu floh 1991 aus dem Kosovo. Er beschäftigt sich mit Problemen in Schwedens migrantisch geprägten Wohnvierteln.
taz: Herr Salihu, Sie sind als Siebenjähriger 1991 mit Ihrer Familie aus dem Kosovo geflohen. Wie haben Sie das Ankommen in Schweden erlebt?
Diamant Salihu: Mein Vorteil war, dass ich in einer damals noch gemischten Gegend zur Schule gegangen bin. Da waren viele schwedische Kinder und einige, die ausländischen Hintergrund hatten. Meine Schwester und ich haben schnell Schwedisch gelernt, so konnten wir uns leicht etablieren. Für Eltern kann das schwer sein, aber meine hatten Glück: Sie hatten eine Art Lotsen, einen schwedischen Bekannten. Nils lud uns zu sich nach Hause ein, und wir luden ihn zu uns ein. Das schaffte eine Verbindung, die für meine Eltern entscheidend war.
39, ist ein schwedischer Journalist, geboren im heutigen Kosovo. 2021 erschien sein Buch „Bis alle sterben“ über einen Bandenkrieg bei Stockholm.
Heute diskutiert Schweden über „exponierte Viertel“, in denen viele Menschen in relativer Armut und Perspektivlosigkeit leben, die meisten mit Einwanderungsgeschichte. Was ist seit Ihrer Ankunftszeit passiert?
Wo ich aufgewachsen bin, sind die Familien, die konnten, nach und nach weggezogen. Neue Einwanderer zogen dann häufig zu Verwandten oder Bekannten. So sind Gegenden entstanden, in denen sie nicht mehr mit ethnisch schwedischen Eltern interagieren können, weil es dort keine mehr gibt.
Was sind die Folgen?
Wenn Menschen in eine solche Wohngegend ziehen und nicht einmal Schwedisch sprechen, werden sie noch isolierter. Sie verstehen zum Beispiel nicht, wie die Behörden funktionieren. Das hat viele Folgen. Kinder können ihren Eltern Angst einjagen, indem sie sagen: „Hier in Schweden können Kinder machen, was sie wollen. Wenn ihr mich bestraft, können die Behörden mich dir wegnehmen.“ Davor haben tatsächlich viele Eltern Angst.
Was bedeutet das für die Kinder?
Sie wachsen in einer Gesellschaft auf, in der sich viele ihrer Eltern nicht etablieren konnten. Gleichzeitig begegnet den Kindern in der schwedischen Mehrheitsgesellschaft großes Misstrauen, bezogen etwa auf ihre Religion oder Aussehen. Sie landen in einem Zwischenzustand. In den Gesprächen, die ich geführt habe, berichteten viele, dass sie nirgendwo wirklich dazugehören.
Trifft das auch auf Mitglieder verfeindeter Banden zu, die sich seit 2015 tödliche Auseinandersetzungen liefern? Ein Riesenthema in Schweden.
Ja. Auch junge Männer, die sich einem destruktiven Milieu anschließen, sind auf der Suche nach einer Identität. Diese „Gangsteridentität“ wird ein Teil ihrer Zugehörigkeit, nach dem Motto: „Meine Kumpels und ich, wir sind in derselben Gegend aufgewachsen, wir wissen, was wir durchgemacht haben, lasst uns das Beste daraus machen und Geld verdienen.“ Eine Chance sehen sie im Drogenhandel, aus dem viele der Konflikte entstehen.
Welche Maßnahmen muss die Regierung ergreifen?
Viele gleichzeitig. Man muss den Wohnungsmarkt verändern – für eine Wohnung in den Innenstädten steht man gefühlt jahrzehntelang an. Man muss es dem Sozialdienst leichter machen, mit anderen Behörden zu kommunizieren. Man muss alleinerziehende Mütter in diesen Gegenden besser unterstützen. Bei dieser komplexen Problematik muss man mit individuellen Lösungen arbeiten.
Warum gibt es bisher keine erfolgreiche Strategie?
Alle sind sich einig, dass etwas getan werden muss. Aber es fehlt eine Einigkeit darüber, wie man die Probleme konkret und gemeinsam löst. Die Debatte darum wird zu einem politischen Kampf, dabei sprechen eigentlich viele über dieselbe Sache.
Vor den Wahlen sprachen sich die regierenden Sozialdemokraten für eine Regelung aus, wonach in einer Wohngegend mindestens 50 Prozent Menschen mit „nordischem Hintergrund“ leben sollen – eine als rassistisch kritisierte Idee.
Genau das meine ich: Man kritisiert – aber niemand präsentiert eine Lösung, die für diese Generation junger Menschen in den Vierteln etwas verbessert.
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