Journalist klagt Polizei an: Schläge ins Gesicht, Knie im Rücken
Bei der Besetzung der Humboldt-Uni in Berlin im Mai wurde ein Journalist mutmaßlich von einem Polizisten verletzt – jetzt äußert sich das Opfer dazu.
Am Dienstag gab die Berliner Senatsverwaltung für Inneres neue Zahlen zur Besetzung an der Humboldt-Universität (HU) durch propalästinensische Aktivist:innen bekannt. Ende Mai hatten rund 150 Personen ein Institutsgebäude der Universität besetzt, um gegen die Positionierung der Universität zum Israel-Palästina-Krieg zu protestieren.
Auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Niklas Schrader und Tobias Schulze vermeldete die Senatsverwaltung für Inneres: Insgesamt 236 Identitätsfeststellungen habe die Polizei im Rahmen der Besetzung vorgenommen.
Ob davon auch vermittelnde Personen wie Anwält:innen und Journalist:innen betroffen waren, könne nicht eindeutig beantwortet werden. Zudem werde gegen einen Polizeibeamten wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Dienst ermittelt. Nach Ende der Besetzung waren einige Fälle bekannt geworden, bei denen die Polizei mutmaßlich Personen unrechtmäßig ihrer Freiheit beraubt hatte.
Einer dieser Fälle betrifft Ignacio Rosaslanda, einen Videoreporter der Berliner Zeitung. Der junge Mann, der in Mexiko-Stadt aufwuchs und studierte, lebt seit Herbst 2023 in Deutschland. Er ist schmächtig, spricht leise und denkt über jeden Satz, den er sagt, kurz nach. Er erhebt schwere Vorwürfe.
Ein Polizeibeamter soll ihn angegriffen haben, während er über die Besetzung berichtete, und ihn anschließend fast eine Stunde auf dem Boden fixiert haben. Nach dem Vorfall wurden im Krankenhaus Charité laut Berichten der Berliner Zeitung mehrere Schürfwunden und Hämatome über dem linken Ohr, im Gesicht, auf dem Brustkorb und am linken Arm festgestellt. „Auch jetzt, Wochen nach dem Vorfall, habe ich noch Schmerzen“, sagt Rosaslanda.
Begonnen hatte die Besetzung am Mittwoch, 22. Mai. Zunächst hatte die Universitätsleitung sie geduldet und den Besetzer:innen eine Frist gesetzt, um das Gebäude zu verlassen. Am Donnerstagabend begann die Polizei nach Ablauf der Frist mit der Räumung. Rosaslanda berichtet der taz, dass er am Donnerstagnachmittag auf das Universitätsgelände kam, um für die Berliner Zeitung zu berichten. Zunächst habe er sich vor dem Gelände bei der Polizei mit seinem Presseausweis angemeldet.
Angriff erfolgte von hinten
„Als ich gemerkt habe, dass viele der Aktivist:innen in den vierten Stock gegangen sind, bin ich ihnen gefolgt, um zu dokumentieren, was passiert.“ Dort hatten sich, wie Rosaslanda schätzt, rund 30 Aktivist:innen mit Stühlen und Tischen verbarrikadiert.
In der linken Hand habe er sein Handy gehabt, in der rechten eine Kamera mit Stativ. Seinen Presseausweis habe er während der gesamten Zeit gut sichtbar um den Hals getragen, sagt er. Er sei, anders als die Aktivist:innen, nahe der verbarrikadierten Tür geblieben.
Nachdem die Polizist:innen zur Öffnung der Tür eine Ramme eingesetzt hatten, wie aus einer Pressemeldung hervorgeht, begannen sie mit der Räumung. „Ich bin der ersten Welle von Polizist:innen mit etwas Abstand gefolgt, um zu dokumentieren, wie die Räumung abläuft“, sagt Rosaslanda.
Der Angriff des Polizisten erfolgte laut Rosaslanda von hinten. „Er griff meinen Rucksack, drehte mich zu sich und schlug mir dann zweimal schnell hintereinander mit der Faust ins Gesicht.“ Ein Schlag habe ihn an der Schläfe getroffen, der zweite am Kiefer. Sein Handy, seine Brille und seine Kamera seien dabei auf den Boden gefallen.
Durch den zweiten Schlag sei er selbst zu Boden gegangen. Rosaslandas Stimme wird brüchig, als er von der Szene erzählt. „Ich werde mich jetzt erst mal von Demonstrationen fernhalten“, sagt er. Zu groß sei sein Unbehagen nach diesem Vorfall.
In einem Video, das die Berliner Zeitung später veröffentlichte, ist die Szene nachzuvollziehen. Nachdem einige Polizist:innen den Korridor betreten, den Reporter sehen und weiterziehen, hört man eine laute Stimme, die keiner Person im Video zuzuordnen ist. Sie ruft: „Auf den Boden runter, auf den Boden!“ Die Kamera fällt, Rosaslanda wiederholt mehrmals den Satz „Ich bin Presse“. Dann bricht das Video ab.
Eine Sanitäterin, die als Teil einer Gruppe von Freiwilligen während der Besetzung vor Ort war, berichtet der taz von dem Vorfall. „Als wir in den 4.Stock gekommen sind, lag der Journalist auf dem Boden. Ihm waren Handschellen angelegt und ein Polizist kniete auf seinem Rücken.“ Als die freiwilligen Sanitäter:innen dem Polizisten gesagt hätten, er solle den Druck auf Rosaslandas Rücken verringern, habe der Polizist geantwortet, man solle ihm nicht sagen, wie er seine Arbeit zu machen habe.
Nach etwa 50 Minuten sei Rosaslanda aus der Position entlassen worden, sagt die Sanitäterin. Am nächsten Tag stellte Rosaslanda, wie er sagt, Anzeige wegen Körperverletzung bei der Polizei. Aber auch gegen ihn sei Strafanzeige gestellt worden. „Der Polizist behauptet, ich habe ihn mit der Teleskopstange meines Stativs angegriffen und ihm auf den Kopf geschlagen“, so Rosaslanda. Wegen der Anschuldigungen mache er sich nun Sorgen um seinen Aufenthaltsstatus. „Ich habe nur ein Arbeitsvisum“, sagt er.
Dass Demonstrationen für Journalist:innen ein gefährlicher Arbeitsort sind, ist nicht neu. Laut einer Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit haben sich 2023 rund 77 Prozent aller Fälle von Gewalt gegen Journalist:innen auf Demonstrationen zugetragen.
Sie gehen laut Studienergebnissen häufig von Demonstrierenden aus. Der Schutz von Journalist:innen durch Strafverfolgungsbehörden sei aber „erheblich verbesserungsbedürftig“. Zudem komme es immer wieder zu Fällen, in denen die Strafverfolgungsbehörden selbst übergriffig gegen Journalist:innen würden und die Pressefreiheit einschränkten.
Renate Gensch, Landesvorsitzende der Fachgruppe Medien Journalismus und Film der Deutschen Journalisten Union Berlin-Brandenburg, verurteilte den Vorfall und fordert mehr politische Schutzmaßnahmen für Journalist:innen. Die Ausbildung von Polizist:innen in Presse- und Versammlungsrecht müsse der Realität angepasst werden, so Gensch.
Die Berliner Polizei äußerte sich auf Anfrage der taz nicht zu dem Vorfall. Der erhöhte Arbeitsaufwand durch die diesjährige Fußball-Europameisterschaft ließe eine rechtzeitige Beantwortung der Nachfragen nicht zu, so eine Sprecherin. Rosaslanda bereitet sich auf ein langes, finanziell belastendes Gerichtsverfahren vor und hofft auf weitere Unterstützung durch die Berliner Zeitung.
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