piwik no script img

Journalist angeklagtWegen Zitaten vor Gericht

Ein Hamburger Journalist steht vor Gericht, weil er aus Akten eines laufenden Verfahrens zitiert hat. Er hält das Verfahren für Einschüchterung.

Zitierfähig – aber nur indirekt: noch ist zum Ärger einiger Jour­na­lis­t:in­nen das direkte Zitieren aus Gerichtsakten verboten Foto: Friso Gentsch/dpa

Hamburg taz | Anfang September beginnt vor dem Hamburger Amtsgericht ein Verfahren gegen Carsten Janz: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Journalisten vor, aus den Akten eines unabgeschlossenen Verfahrens zitiert zu haben. Damit hätte J. gegen den wohl nur Fachkreisen bekannten Paragrafen 353d des Strafgesetzbuchs zu verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverfahren verstoßen. Das wäre erst einmal von geringem Interesse. Aber Janz sieht einerseits ein privates Interesse der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren und will andererseits den Prozess nutzen, um den Paragrafen, den er für „pressefeindlich“ hält, grundsätzlich prüfen zu lassen.

Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Artikel von Janz über Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft nach einem Amoklauf gegen die Zeugen Jehovas mit sieben Toten. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen Mitglieder des Waffenausschusses, der dem Täter die waffenrechtliche Erlaubnis ausgestellt hatte, ermittelt. Doch eine Hausdurchsuchung bei einem der Ausschussmitglieder wurde von einem Hamburger Gericht wegen mangelnden Tatverdachts als rechtswidrig erklärt.

Aus eben diesem 13-seitigen Beschluss des Landgerichts in Hamburg zitierte Janz in seinem Text für t-online – und zwar noch vor Abschluss des Verfahrens. Dort heiße es wörtlich, schreibt Janz, dass die Durchsuchung bei Murat B. rechtswidrig sei, weil „zum Zeitpunkt ihres Erlasses der erforderliche Anfangsverdacht einer Straftat nicht vorlag“. Weiter zitiert er das Gericht, dass sich der vorgeworfene Sachverhalt „jedoch unter keinem Gesichtspunkt unter einen Straftatbestand“ zusammenfassen“ lasse. Die Passagen finden sich rot angestrichen in der Akte zu seinem Verfahren, das mit einem Strafbefehl über 3.200 Euro endete.

Gegen den will sich Janz am 3. September vor Gericht wehren, prominent vertreten vom Hamburger Anwalt Gerhard Strate. Für den Investigativ-Journalisten Janz, der zunächst als freier Mitarbeiter beim NDR arbeitete und derzeit Redakteur bei t-online ist, lässt sich das Verfahren als „klarer Versuch von Einschüchterung“ deuten. Das hängt für ihn mit vergangenen Recherchen zusammen: Er hat über die sogenannte Ticket-Affäre berichtet, bei der es um teure St.-Pauli-Freikarten für den heutigen Hamburger Innensenator Andy Grote, den Hamburger Polizeichef Ralf Meyer sowie den ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) ging.

Kritische Berichte über den Generalstaatsanwalt

Der Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich habe von Ermittlungen abgeraten, heißt es in einem Beitrag von Janz für den NDR, in dem er die Frage stellt: „Hat er das möglicherweise getan, um eine öffentliche Diskussion im Vorfeld der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2020 zu vermeiden?“ Damit stand im Raum, dass der Generalstaatsanwalt den SPD-Politiker Grote hatte schonen wollen. Im Anschluss bat Fröhlich um ein Disziplinarverfahren gegen sich, um die Vorwürfe auszuräumen; die Justizbehörde fand dann keine Belege für ein Fehlverhalten Fröhlichs.

Es hätte inhaltlich nichts verändert, wenn ich nicht wörtlich zitiert hätte

Carsten Janz über den „missbräuchlichen Charakter“ von Strafrechts-Paragraf 353d

Carsten Janz erscheint es bemerkenswert, dass die Generalstaatsanwaltschaft in seinem Fall tätig geworden ist: „Der Fall ist zu hoch aufgehängt“, sagt er. Auf Anfrage der taz schreibt die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Liddy Oechtering: „Das Verfahren wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft (Zentralstelle Staatsschutz) von Amts wegen eingeleitet, da sich während der Ermittlungen gegen Mitglieder eines waffenrechtlichen Prüfungsausschusses strafrelevante Anhaltspunkte in der Presseberichterstattung des Beschuldigten ergaben.“ Wie häufig solche Verfahren sind? Die Zahl wird nicht erhoben.

Für Janz ist sein Fall ideal geeignet, um den „missbräuchlichen Charakter“ des Paragrafen 353d zu zeigen: „Es hätte inhaltlich nichts verändert, wenn ich nicht wörtlich zitiert hätte“, sagt er. Grundsätzlich sei es im investigativen Journalismus wichtig, wörtlich zitieren zu können, um komplizierte Sachverhalte präzise darstellen zu können.

Er sieht seinen Fall verwandt mit dem des Journalisten und Leiter der Rechercheplattform „Frag den Staat“, Arne Semsrott. Der hat Gerichtsbeschlüsse aus einem laufenden Strafverfahren gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ veröffentlicht und damit bewusst eine Anzeige in Kauf genommen, um prüfen zu lassen, ob der Paragraf verfassungsrechtlich Bestand hat. Das Verfahren gegen ihn soll im Herbst in Berlin beginnen.

Journalistenverband für Reform des Paragraphen

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat nach Semsrotts Veröffentlichung den Bundestag dazu aufgefordert, den Paragrafen 353 zu reformieren. „Es muss Journalistinnen und Journalisten erlaubt sein“, so der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster, „in ihrer Berichterstattung über wichtige Verfahren Gerichtsdokumente zu veröffentlichen, solange sie die Privatsphäre Betroffener respektieren.“

Auf der anderen Seite gibt es Juristen wie den Münchner Rechtswissenschaftler Thomas Fischer, der in einem Beitrag für Legal Tribune online den Schutzcharakter des Paragraphen für Prozessbeteiligte betont: Die Beschränkung auf indirekte Zitate ziehe eine Grenze zwischen „staatlichem und Medien-Verfahren“ – und genau das trage „dem Grundrecht der Pressefreiheit Rechnung und vermeidet zugleich eine willkürliche formale Vermischung von staatlicher und privater Sphäre“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Für die Öffentlichkeit besteht kein Mehrwert darin, einen möglichen Beschluss vorab zu erfahren oder gar dass unfertige Entwürfe zirkulieren.



    Im Gegenteil, das entwertet Gerichtsakten als bloße Diskussionsbeiträge, die sich morgen wieder ändern könnten.

    Eine Gerichtsentscheidung schafft Fakten. Dazu ist sie da.



    Das tut sie jedoch erst mit Verkündigung, nicht vorher, während der Verhandlung oder während der Abfassung der Entwürfe.

    Es wäre ein Fehler, diese Trennung aufzugeben.

  • Sehr gut und richtig ist, im letzten Absatz den Hinweis auf Th. Fischers Artikel in LTO hinzuweisen.



    So sehr ich A. Semsrott verstehe, so sehr liefert Fischers Analyse "Totschlagargumente" gegen das Ansinnen. Ich denke, diese Aktion(en) sind daher zum Scheitern verurteilt - zum Glück möchte man fast sagen.

    Denn die, die sich auf solche amtlichen Dokumente wie die Aasgeier stürzen werden, sind nicht Semsrott, RoG, oder DJV, sondern es werden BILD, BamS, Bunte sein, die sie für schmutzige Tendenz-Berichterstattung, Click-Baiting und Hintergrundstorys ("Die dunklen Geheimnisse des Axtmörders" und dergleichen) nutzen werden.



    Sollen wirklich intime Details von Verdächtigen, Opfern und Zeugen öffentlich gemacht werden?

    Das ist sicher nicht Semsrotts Anliegen - aber so würde ein Sieg in seiner Sache vom Boulevard (und Schlimmeren) genutzt werden.

    Lest Fischer!

  • Er hat, wie Semsroth auch, ein 353d Verfahren provoziert, um dessen Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen. Schon alleine das spricht wohl gegen die Aussage "nur in Fachkreisen bekannt".