Jordan Henderson spielt in Saudi-Arabien: Doch nur ein Fußballprofi
Englands Nationalspieler Jordan Henderson setzte sich einst öffentlich für Minderheitenrechte ein. Nun spielt er in Saudi-Arabien.
J ordan Henderson ist wahrhaftig ein Vorzeigeprofi. Nicht nur war er bei Liverpool jahrelang Jürgen Klopps Kapitän auf dem Feld und prägte eine der erfolgreichsten Ären des Clubs, wie das im Fußballdeutsch so schön heißt. Jordan Henderson war auch ein engagierter Profi, der sich öffentlich für Minderheitenrechte einsetzte, insbesondere für LGBTQI+.
Er war es, der ein langes Statement pro Regenbogenbinde veröffentlicht hat und der mit einer angemessenen Menge Pathos erklärte: „Ich glaube daran, dass wenn man etwas sieht, das offensichtlich falsch ist und ein anderes menschliches Wesen das Gefühl gibt, ausgeschlossen zu werden; dann sollte man sich Schulter an Schulter neben sie stellen. Außerdem hat man die Verantwortung, sich selbst besser über die Herausforderungen, denen sie sich gegenübersehen, zu informieren.“
Diesen Sommer wechselte Jordan Henderson nach Saudi-Arabien, zu Al-Ettifaq. Er verdient dort, so wird kolportiert, mindestens 400.000 Euro die Woche, steuerfrei. Außerdem setzt er sich öffentlich dafür ein, dass Saudi-Arabien den Zuschlag für die WM 2034 bekommt. In Saudi-Arabien ist queer sein verboten.
Jordan Henderson ist nicht der einzige Profi, der diesen Sommer nach Saudi-Arabien ging; unter anderem wechselten Karim Benzema, N’Golo Kanté, Edouard Mendy, Roberto Firmino und Cristiano Ronaldo. Sie alle wurden aber nach ihren Transfers nicht ausgebuht wie Jordan Henderson zuletzt beim Heimspiel der englischen Nationalmannschaft.
Enttäuschung der Fans
Hinterher wurde er zu den Buhrufen befragt, und er versuchte zu erklären, warum sein Wechsel trotzdem richtig war. Zuerst verneinte er, Buhrufe vernommen zu haben, später sagte er, er verstehe die Enttäuschung der Fans, aber im Endeffekt sei er nur ein Profi, der jetzt im Ausland arbeite. Zu guter Letzt war sein Punkt eine tonlos gesprochene Nummer von Gloria Gaynors „I am what I am“. Er sagte: „Ich bin kein Politiker. Alles, was ich je getan habe, war: mich auf den Fußball zu konzentrieren und versuchen, Leuten zu helfen, die mich baten, ihnen zu helfen. Sobald ich nach da draußen gehe, spiele ich einfach nur Fußball, ich versuche das Niveau der Liga zu steigern, das Niveau meines Teams, und ich versuche, Spiele zu gewinnen.“
Interessant, in dem Statement pro LGBTQI spricht er von sich als Mensch, der anderen Menschen Stütze ist; in dem relativierenden Interview aber nur von seiner Funktion. Offenbar kann queer sein auch vor der Selbstverknechtung in die selbst auferlegte Funktionalität retten: vielleicht darf sie genau deswegen nicht allzu sehr sein.
Zweitens war interessant, wer auf den Wechsel reagierte (oder nach einer Reaktion gefragt wurde): Das waren ausschließlich LGBTQI+-Gruppen. Die drückten verständlicherweise ihre Enttäuschung aus.
Keine Reaktion kam aus der Gruppe, der Jordan Henderson zugerechnet wurde: der sogenannten Allys. Als Ally bezeichnet man Menschen, die sich der Sache verbunden fühlen, ohne als Individuum betroffen zu sein. Das sind Menschen, die nicht aus persönlicher Not handeln, sondern einem Ideal der Menschlichkeit folgen. Allys stehen immer im Verdacht, die Seiten zu wechseln, sobald es ihnen passt, eben weil die nicht ihre Haut zu Markte tragen (oder aber, wenn sie es tun, weit höhere Preise verlangen können); und diesen Eindruck, der mehr ist als ein Vorurteil, hat Henderson zementiert.
Von im Verdacht stehenden oder überführten Sexualstraftätern wie Cristiano Ronaldo und Karim Benzema erwartet man einen solchen Verrat ohnehin nicht; aber vielleicht muss man sich an den Gedanken gewöhnen, dass Profifußballer nur Funktionen in einem Game sind; Bots, die Statements rausjagen, die aber nichts mehr bedeuten. Jordan Henderson ist nicht schuld an jener Leere, die diese Erkenntnis hinterlässt, aber er hat dazu beigetragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“