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Jonas Wahmkow schlendert vor dem Erdoğan-Besuch Unter den Linden entlangDas bisschen Ausnahmezustand …

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war in letzter Zeit schwer damit beschäftigt, sein Land in eine Diktatur zu verwandeln. Gut, das er ein bisschen Pause macht, um ein paar Tage für einen Staatsbesuch nach Deutschland zu kommen. Immerhin sind hier ja Grundrechte, Demokratie und Zivilgesellschaft noch hochgehaltene Werte.

Früher Vormittag, die Sonne scheint, es ist friedlich. Erdoğan ist noch gar nicht gelandet, da ist das sonst eher museal anmutende Stadtzentrum schon in Aufruhr. Kolonnen von Polizeiwannen fahren aufgeregt hin und her. Überall stehen Polizist*innen herum. Die Anzeigetafel einer Bushaltestelle gibt Aufschluss: aufgrund eines Staatsbesuch derzeit kein Busverkehr.

An der Neuen Wache, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, findet eine erste Protestaktion statt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) legt einen Kranz nieder, um auf die von Erdoğan unterdrückten Minderheiten aufmerksam zu machen. Eine Kurdin aus Afrin spricht über die Gräueltaten der türkischen Armee, die bei dem Angriff auf die Stadt in Nordsyrien stattgefunden haben. Kurz darauf eine kleine Diskussion zwischen den Veranstaltern. Man möchte den Kranz gerne dalassen, aber leider untersagt das die Polizei. Morgen wird auch Erdoğan hier einen Kranz niederlegen. Der türkische Präsident soll wohl auf keinen Fall gestört werden, vermutet Kamal Sido von der GfbV.

Ein paar hundert Meter weiter auf der Prachtstraße Unter den Linden, vorbei an zugeschweißten Gullydeckeln, Richtung Brandenburger Tor: Der Pariser Platz ist vollständig abgesperrt durch ein Großaufgebot an Polizei, inklusive Hamburger Gitter und Räumpanzer. Erdoğan wird hier im Hotel Adlon nächtigen, lästige Demonstrant*innen vor der Haustür sind da unerwünscht. Es herrscht Sicherheitsstufe 1, während des Besuchs werden auf den Dächern rund um das Areal Scharfschützen postiert sein. Anwohner*innen sollten deshalb in den kommenden Tagen auf Raucherpausen auf dem Balkon verzichten.

An der Absperrung steht eine ältere Klassenlehrerin, sie möchte mit ihren Schüler*innen zu „Madame Tussauds“. „Das hätten Sie vorher absprechen sollen“, erklärt eine Beamtin geduldig, „hier kommt niemand mehr durch.“ Auf der anderen Straßenseite steht, in rote Türkei-Fahnen gehüllt, eine Gruppe von Erdoğan-Anhängern. „Er ist halt unser Präsident“, erklärt ein junger Mann, „manche mögen ihn, manche hassen ihn, da kann man nix machen.“

Tolle Sache, das mit den Grundrechten: Alle können frei ihre Meinung kundtun. Leider nur nicht, wo sie wollen. Und schon gar nicht, wenn es Autokraten auf Staatsbesuch stören könnte. Denn da müssen schon mal ein paar Grundrechte hinter dem Super-Grundrecht auf störungsfreie Politikrituale zurücktreten.

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