Johnny Depp vs. Amber Heard: Am Rande des Nervenzusammenbruchs
Der Fall Heard vs. Depp sprengt gängige Schablonen, die für Betroffene vorgesehen sind. Dabei sind Menschen immer mehr als bloß Opfer oder bloß Täter.
I ch liebe die Filme von Pedro Almodóvar. Seit Ende der 1970er Jahre hat der spanische Filmemacher in seinen Werken so vielseitige Frauenfiguren erschaffen wie kaum ein anderer. Almodóvars Frauen sind mal verletzlich und zart, mal aufbrausend und unzuverlässig, sie sind liebevoll und loyal, sie sind gemein und manipulativ. Was diese erfundenen Charaktere jedoch alle miteinander vereint, ist, dass sie allesamt in einer ständigen Krise stecken.
Wie sollte es auch anders sein in einer patriarchalen Gesellschaft, deren Gewalt gleichermaßen von Kirche und Staat ausgeht wie von Vätern, Liebhabern, Vorgesetzten und leider eben auch anderen Frauen. Wichtig ist jedoch, dass die Frauen in seinen Filmen alle sehr unterschiedlich mit ihren Krisen und der Gewalt umgehen, die sie erfahren. Sie wehren sich oder sie unterwerfen sich, manche verbünden sich, manche werden selbst zu Täterinnen. Sie sind eben widersprüchlich und inkonsequent. Und damit glaubwürdiger als das Frauenbild, welches heute noch die gesellschaftlichen Diskurse im Mainstream prägt.
Zuletzt zeigte sich das im Fall von US-Schauspielerin Amber Heard. Sie wurde von ihrem Ex-Mann, dem US-Schauspieler Johnny Depp, wegen Verleumdung verklagt, weil sie in einem Meinungsbeitrag in der Washington Post 2018 berichtete, häusliche Gewalt erfahren zu haben. Depps Namen nannte Heard nicht. Dennoch soll Depp daraufhin millionenschwere Aufträge verloren haben. Eine ähnliche Klage gegen die britische Sun hatte Johnny Depp im Jahr 2020 verloren. Die Zeitung durfte ihn weiter „wifebeater“ nennen. Damals urteilte ein Richter. Beim Prozess diese Woche in Virginia eine Jury, und die gab ihm diesmal recht.
Seit Wochen wird Heard in einer großangelegten Kampagne zu einem skrupellosen Monster stilisiert. Nicht nur Depp-Fans auf Titok machten mit, indem sie in Videos Amber Heard demütigten und als eigentliche Täterin diffamierten, weil ihre Aussagen und Handlungen Unstimmigkeiten aufwiesen. Auch Feministinnen, denen man eigentlich zutrauen würde, Nuancen anzuerkennen, betrachten Gewaltspiralen in toxischen Beziehungen nun wie einen allzu schlecht geschriebenen Psychothriller, wo es nur einen bösen Täter und ein tadelloses Opfer geben kann.
Nicht jeder Missbrauchsfall gleicht dem anderen
So schrieb Linke-Politikerin Julia Schramm einen ganzen Blogartikel darüber, wie Gesten, Mimik und Rhetorik von Amber Heard ganz klar für sich sprächen: „Insbesondere Opfer von häuslicher Gewalt sind auf Social Media laut und entschieden. Denn sie erkennen ihre Täter oder Täterinnen in Amber Heard wieder, sie erkennen sich selbst in Johnny Depp wieder.“ Es scheint ganz so, als würden hier schauspielerische Qualitäten aneinander gemessen anstatt Beweise, die zumindest belegen, dass Amber Heard ebenfalls physische und psychische Gewalt erfuhr. Doch dass auch sie gewalttätig gegenüber ihrem Partner war, sprengt die gängigen Schablonen, die für Betroffene vorgesehen sind. Dieser Logik zufolge kann Heard nur Täterin sein. Und Johnny Depp, der sympathische Filmpirat und Multimillionär, der in SMS an einen Freund davon fantasierte, Heard zu verbrennen und ihre Überreste zu vergewaltigen, das eigentliche Opfer.
Die Textnachrichten seien bloß Boomer-Humor, so Schramm. Wer dies nicht anerkenne, den zählt Schramm zum „liberalen Feminismus“, der nicht in der Lage sei, auch in Männern Missbrauchsopfer zu erkennen. Dabei ist das Problem doch ein anderes: Nicht jeder Missbrauchsfall gleicht dem anderen. Und wir können Frauen wie Männern wie allen anderen Personen Millionen andere Handlungen und Positionen zugestehen, als bloß Opfer oder bloß Täter zu sein – und zwar ohne dabei die strukturelle Gewalt im Patriarchat zu untermauern. Aber vielleicht ist das zu kompliziert. Das Leben ist schließlich kein Almodóvar-Film.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern