John-Peel-Sessions von To Rococo Rot: In den Ätherwellen treffen
Dreimal war die deutsche Band To Rococo Rot bei den legendären John-Peel-Sessions der BBC zu Gast. Nun sind die Aufnahmen als Album erschienen.
John Peel hat es als britischer BBC-Radiomoderator und DJ zu großer Berühmtheit gebracht. Weniger bekannt geworden ist sein unbestreitbares Talent zur Lautpoesie, doch dürfte ein unlängst gehobener Archivfund diese Seite des Förderers progressiver Musik und treuen Anhängers des Liverpool FC erneut in den Fokus rücken.
Hören wir ihm einmal zu: „Trr Rkko Rott“, sagt er in ein Radiomikrofon, nachdem ihm seine deutschen Gäste Robert Lippok, Ronald Lippok und Stefan Schneider, die Musiker des Trios To Rococo Rot, versichert haben, es gebe leider keine offizielle Aussprache des Bandnamens. „Anyway“, meint Peel darauf und wiederholt noch einmal: „Trr Rkko Rott.“
Die Aufnahme bildet das Intro des aktuell erschienenen Albums „John Peel BBC Sessions 97–99“, auf der die drei englischen Radiosessions der Berlin-Düsseldorfer Band To Rococo Rot kompiliert versammelt sind und dabei, das stellt die ungemeine Schönheit dieser Musik unter Beweis, wie ein aus einem Guss legiertes Album wirken. Es bündelt, was das Klangbild der 1995 gegründeten Band ausmachte: Atmosphäre, Detail- und Experimentierfreude, Rhythmik und Eingängigkeit, und das alles so gut wie ohne Gesang.
Der kam bei To Rococo Rot erst spät im Jahr 2014 mit dem Gastsänger Arto Lindsay auf dem Album „Instrument“ zum Tragen. Im selben Jahr spielten To Rococo Rot ihr letztes Berliner Konzert im Hebbel-Theater.
Das Album: To Rococo Rot: „The John Peel BBC Sessions 97–99“ (Bureau B/Indigo)
Live: 12. Dezember, Düsseldorf, Zaak bei dem Festival „Lieblingsplatte“, die Band spielt ihr Album „The Amateur View“ zur Gänze
Elektronischer Forscherdrang
Als Support hatten sie sich The Pastels aus Glasgow eingeladen. Sie waren bereits in den Achtzigern bei John Peel zu Gast gewesen. Das Zusammentreffen vom Indiepop der Pastels mit dem elektronischen Forscherdrang von To Rococo Rot ist durchaus charakteristisch für die Offenheit, um die es in dieser Musik geht und die Ronald Lippok genauso seit den späten Siebzigern in den Radiosendungen John Peels kennen und lieben gelernt hat.
Im Gespräch mit der taz schwärmt Lippok von dem unbedingten Eklektizismus John Peels. Lippok zitiert und intoniert „(I Saw) Batman (In The Launderette)“ von The Shapes, einer Punkrock-Band, die sich dem Absurden verschrieben hatte und bei Peel nicht fehlen durfte: „Und danach hat er afrikanische Musik gespielt. Das hatte ich so nicht erwartet, und das war der Clou an seinen Sendungen.“
Die „BBC Sessions“ von To Rococo Rot lassen sich auch als Hommage an die Magie des Radioshörens verstehen. John Peel hat im Grunde das Kunststück fertiggebracht, dass sich Ostberliner Jugendliche wie Robert Lippok und Ronald Lippok und westdeutsche Jugendliche wie Stefan Schneider bereits in den Achtzigern unter einer gemeinsamen Kuppel zusammenfinden konnten.
Bekanntes und Entdeckungen
Ihr Kultus war ein unorthodoxer, transportiert wurde er über die Ätherwellen. To Rococo Rot lassen sich auch als Verschränkung der noch analogen Ästhetik der Achtziger und der sich verstärkt entwickelnden digitalen der Neunziger hören. Auffällig ist, dass diese Musik unweigerlich Visuelles anstößt. Robert Lippok und Ronald Lippok arbeiten beide auch als bildende Künstler, Stefan Schneider als Fotograf. Arbeiten der drei Musiker waren in den Zehnerjahren in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg zu sehen.
Die Musik von To Rococo Rot hat etwas von einem Ausstellungsrundgang durch mehrere Räume. Manchmal, das sind dann schon regelrecht privilegierte Momente, schaut man von einem Raum in den nächsten und erhascht bereits ein Motiv, das sich in der Annäherung ausformuliert.
Man stößt auf Bekanntes und macht Entdeckungen: Die „BBC Sessions“ umfassen Tracks bis zum dritten Album „The Amateur View“ von 1999. Danach bietet sich von dem Album zum Beispiel „Glas“ an, einer von drei unveröffentlichten Tracks, dessen Stimmsamples mit dem Intro eine Klammer bilden. To Rococo Rot ist ein Palindrom, geht also vorwärts wie rückwärts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften