Joe Bidens Versöhnungsrhetorik: Es liegt nicht in Bidens Hand
Für das Trump-Lager bedeutet Bidens Programm nicht Heilung, sondern Angriff. Das Land wird er nicht heilen können, wenn die Spalter es nicht wollen.
D onald Trump ist weg, Joe Biden ist neuer US-Präsident, und seine Amtseinführung hatte vor allem die Botschaft, die er auch im Wahlkampf verkündet hatte: Das gespaltene Land heilen, versöhnen, vereinen. Das ist eine schöne Botschaft, aber sie trägt nicht wirklich.
Denn während er in seiner Rede vor allem auf den Umgang miteinander einging und – unter dem Eindruck der Ereignisse des 6. Januar – betonte, politische Differenzen dürften doch in einer Demokratie nicht dazu führen, dass aus Gegnern Feinde würden, begreifen die Demokrat*innen und ihre Wähler*innen unter „Heilung“ denn doch viel mehr, und das wurde noch am selben Tag deutlich.
Heilung heißt auch, Klimawandel ernst nehmen. Heilung heißt auch, den Rassismus endlich wirklich anzugehen, die multiethnische und multikulturelle Gesellschaft nicht zu bekämpfen, sondern zu feiern und zu gestalten. Für diejenigen, die per Wählerstimme 2016 und 2020 Trumps Plan zustimmten, die Privilegien der weißen US-Amerikaner*innen wiederherzustellen und zu verteidigen, bedeutet Bidens Programm nicht Heilung, sondern Angriff.
Es ist in Ordnung, wenn sich Biden ein paar Tage lang als Pastor hinstellt und Nächstenliebe predigt. Aber es liegt nicht in seiner Hand, wie die Gegenseite darauf reagiert, und er darf daran auch nicht seine Politik ausrichten. Ob aber der republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell, tatsächlich, wie er jetzt sagt, offen für Zusammenarbeit ist oder versucht, wie unter Barack Obama alles zu sabotieren, was in seiner Macht steht, kann nicht Biden entscheiden, sondern das können eben nur Mitch McConnell und die Republikaner, die sich vier Jahre lang Trumps nationalrevolutionären Diskurs zunutze und zu eigen gemacht hatten.
Verlaufen alle Abstimmungen in beiden Kongresskammern strikt nach Parteilinie, kann Biden vielleicht einiges umsetzen, sofern er die Demokrat*innen geschlossen hält. Aber an der Spaltung des Landes wird er nichts ändern, wenn die Spalter das nicht wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten