Jesuit über Uli Hoeneß: „Die dunkle Seite des Saubermanns“
Wer Uli Hoeneß als Steuersünder bezeichnet, der nun gebeichtet habe, verharmlose den Betrug, meint der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach.
sonntaz: Herr Hengsbach, Sie sind Jesuit. Wird jetzt, wo Uli Hoeneß seine Steuerhinterziehung gebeichtet hat, alles gut?
Friedhelm Hengsbach: Er hat nicht gebeichtet, er hat sich angezeigt. Diese religiösen Termini nerven mich - er sei Steuersünder, er habe gebeichtet. Diese Wortwahl verharmlost. Sie macht Steuerbetrug zu einem persönlichen Fehler.
Ist es das nicht?
Wer es so benennt, verkennt, dass der Staat das Recht hat, Steuern einzuziehen und umzuverteilen. Damit wird deutlich, dass individuelles Einkommen nie nur durch eigene Leistung zustande kommt, sondern durch viele Vorleistungen von anderen.
Hoeneß ist gerne als Wohltäter, als Saubermann aufgetreten. Kommt zur Steuerhinterziehung noch die Lüge?
Ich würde es eher einen Widerspruch nennen, eine dunkle Seite seines Lebens, die sich nun zeigt. Hoeneß, ein reicher Unternehmer, der einen Teil des Gewinns aus seiner Wurstfabrik an soziale Einrichtungen spendet - das ist ja hoch anzuerkennen. Gleichzeitig hat er den Staat beschimpft, dass er die Vermögenden zu sehr besteuere und sie ins Ausland vertreibe.
wurde 1937 geboren und ist seit 1957 Jesuit. Lehrte Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen. Im Fokus seiner Arbeit stehen Fragen der sozialen Gerechtigkeit.
Der Mann hat also Steuern hinterzogen. Kann er das, weil das Delikt - wieder religiöser Duktus - eine lässliche Sünde ist?
Dass man zur Steuerzahlung herangezogen wird, wurde lange als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wahrgenommen. Der Versuch, die Finanzbehörden und den Staat auszutricksen, galt als Kavaliersdelikt. Aber seit der Finanzkrise hat sich das verändert. Es wird nicht mehr als Spielchen betrachtet, sondern als Betrug. Das ist in dieser Schärfe neu.
Trotzdem ist Hoeneß kein Einzelfall.
Weil sich die große Legende lange halten konnte, dass der Markt sich selbst regelt, dass Eingriffe des Staates immer schädlich seien. Sie schadeten Menschen in ihrer Eigeninitiative, Einkommen zu erzielen und Vermögen anzuhäufen. Das ist die große Erzählung marktradikaler, wirtschaftsliberaler Eliten. Ich dagegen sage, dass das Zustandekommen hoher Einkommen und Vermögen durch wirtschaftliche Macht und politische Schwäche verursacht ist.
Wie?
Das Interview über Uli Hoeneß mit dem Sozialethiker und Jesuit Friedhelm Hengsbach, die Titelgeschichte "Die Ampel ist rot. Ich trete!", ein Gespräch über Leben auf fernen Planeten mit einer Sternenforscherin und ein Interview über Uli Hoeneß mit dem Sozialethiker und Jesuit Friedhelm Hengsbach lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. April 2013. Außerdem: Hausbesuch - Die taz klingelt mal in Obersdorf. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.
Die Kapitaleigner und Manager bestimmen, wie viel Geld sie aus dem gemeinsam Erarbeiteten für sich herausholen und was sie den Lohnabhängigen, der Umwelt und dem Staat zur Verfügung stellen wollen. Nicht der Markt regelt das, sondern die Eliten, weil sie die Macht dazu haben. Aber Umwelt, Entlohnung der abhängig Beschäftigen, gesellschaftliche Infrastruktur, das Bildungs- und Gesundheitswesens sind Teile der Wertschöpfung, die nicht allein den Kapitaleignern gehört.
Wohlhabende werden argumentieren, dass sie - wie Hoeneß - große Summen spenden.
Das wird auch im kürzlich veröffentlichten Armuts- und Reichtumsbericht naiv beschönigend hervorgehoben. Es ließ sich nicht verheimlichen, dass die Schere zwischen Arm und Reich seit Anfang des Jahrhundert extrem auseinanderklafft. Die oberen 10 Prozent besitzen über 50 Prozent des Vermögens, die untere Hälfte 1 Prozent. Dann wird gesagt: Die Vermögenden spenden. Spenden sind steuerlich begünstigt - Wohltäter profitieren also davon. Hinzu kommt, dass sie ihre Spenden nach eigenen Vorstellungen verteilen, dem Staat aber Einnahmen entgehen, die nun nicht entsprechend den sozialstaatlichen Kriterien verteilt werden können.
Ist die Regierung der Steigbügelhalter dieser Entwicklung?
In der Entwicklung, die zur Finanzkrise geführt hat, war das offensichtlich. Damals hat der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Rolf-E. Breuer, gesagt, die Finanzmärkte seien die fünfte Gewalt der Demokratie. Und zwar deshalb, weil die Kapitaleigner bessere Signale für vernünftige Politik an die Regierung geben als das Volk durch die Parlamentswahlen. Die Signale: Finanzsektor deregulieren, Lohnentwicklung drosseln, möglichst wenig umverteilen, Steuern senken, Abgaben senken, Gewerkschaften in Schach halten.
Geiz ist geil für die Armen, Gier ist geil für die Reichen …
Wenn der Staat die Anhäufung von Einkommen und Vermögen im oberen Bereich und die Kürzungen der Sozialleistungen und die Verringerung der Löhne durch Gesetze begünstigt, dann folgt daraus bei den betroffenen Personen ein solches Verhalten - geizig, gierig. Mit dieser Wahrnehmung individualisiert man aber wieder strukturelle Defizite.
Gibt es keinen Aufschrei gegen solches Verhalten, wie es sich an Hoeneß zeigt, weil fast jeder schon mal in der Versuchung war, sich einen Vorteil auf Kosten anderer zu sichern?
Aber es gibt doch jetzt heftige Empörung. Wahrscheinlich wegen der riesigen Enttäuschung über die dunkle Seite eines Saubermanns. Die kann ich jedoch nicht mit Schwarzfahren in der Straßenbahn vergleichen. Es passierte mir auch schon, dass ich am Bahnhof schnell eine Straßenbahn erwischen wollte und keinen Fahrschein hatte.
Wofür steht die Causa Hoeneß dann?
Positiv ist, dass der bayerische Staat das jetzt nicht unter den Tisch kehrt. Was unter Strauß, unter Stoiber möglich gewesen sein mag, ist wohl vorbei. Es gibt keine Sonderrechte für die Reichen und Mächtigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“