Jeder Quadratmeter Düngung zählt: Wenn der Bauernchef reingrätscht
Der Osnabrücker Kreistag bremst seine eigene Naturschutzbehörde aus – und knickt beim Gewässerschutz vor den Bäuer*innen ein.
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OSNABRÜCK taz | Wie breit ist der Sicherheitsabstand, die Landwirte zu geschützten Gewässern einhalten müssen? Um diese Frage ist im Kreis Osnabrück ein Streit entbrannt. Während im Entwurf der kreiseigenen Naturschutzbehörde für das Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH) Else und Obere Hase noch von fünf Metern die Rede war, beschloss der Kreistag vor gut einer Woche, ein Meter sei genug.
„Bei der modernen Technik, die unsere Landwirte einsetzen, reicht das völlig aus“, sagt Johannes Eichholz, der umweltpolitische Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion, die die ursprünglichen Pläne zusammen mit der Kreistagsfraktion der SPD gekippt hatte.
Die Entscheidung hat Auswirkung auf den gesamten Landkreis. „Auch in den Schutzgebietsverordnungen, die in den kommenden Monaten noch erlassen werden, wird es diesen Ein-Meter-Streifen geben“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Martin Bäumer. Wie die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete, hatte Landrat Michael Lübbersmann (CDU) die Änderung vorgeschlagen, nachdem der Chef des niedersächsischen Landvolks, Albert Schulte to Brinke, bei ihm vorstellig geworden war.
To Brinke hatte bei einer früheren Gelegenheit die geplante Ausweitung des Schutzstreifens auf fünf Meter als „Enteignung“ bezeichnet. Der Schutzstreifen ist die Zone, innerhalb derer Landwirte keine Pesitzide und keine Gülle ausbringen dürfen.
„Fachlich unhaltbar“
Andreas Peters, 1. Vorsitzender des Naturschutzbunds Osnabrück (Nabu) und des Umweltforums Osnabrücker Land, macht diese „Ignoranz der Politik“ zornig. Der Ein-Meter-Vorschlag sei „fachlich unhaltbar“, hatte das Forum in einem offenen Brief an alle Kreistagsmitglieder appelliert. Er werde „einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten“.
Spätestens hier hätte Landrat Lübbersmann aufhorchen müssen: Das Umweltforum hat bisher kein einziges seiner über 20 juristischen Gefechte gegen den Landkreis verloren.
„Wer meint, den Naturschutz auf ein schmales Streifchen reduzieren zu können, muss sich über das Bienen- und Insektensterben nicht wundern“, sagt Matthias Schreiber, 2. Vorsitzender des Umweltforums und FFH-Experte.
Landkreissprecher Burkhard Riepenhoff weist die Kritik zurück: Eine Breitenfestlegung sei „eine ebenso pauschale wie statische Maßnahme“. Der Landkreis habe „einen Wechsel der Methode“ vorgenommen: Man werde Proben nehmen, um die Bodenbelastung an den geschützten Gewässern zu überprüfen. So könne man gegebenenfalls „schnell reagieren“.
Präzedenzfall im Naturschutzgebiet
Das Umweltforum ist davon nicht überzeugt. Am 15. März hat es einen zweiten offenen Brief geschrieben, diesmal an die Landtags-, Bundestags- und EU-Abgeordneten aus dem Landkreis Osnabrück: Der Kreistag setze sich „in Gutsherrenmanier über europäisches Recht hinweg“.
Der Brief ging auch an Filiz Polat, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Bramsche bei Osnabrück. „Der vermeintliche ‚Methodenwechsel‘ des Landkreises ist ein trügerisches Wahlgeschenk des amtierenden Landrates“, sagt sie. Der Naturschutz bleibe dabei „leider wie üblich auf der Strecke“: „Wenn wir nicht mal in unseren Schutzgebieten bereit sind, vorsorglich etwas für den Naturschutz zu tun, wo denn dann?“
Auch anderswo steht der Naturschutz im Landkreis Osnabrück unter Druck. So wollte die Naturschutzbehörde im FFH-Gebiet Darnsee in Bramsche das Westufer von Angelsport freihalten, doch der Kreistag hat den Naturschutz dort für verzichtbar erklärt. Die Angler haben Schwimmstege angelegt und Verbindungsbrücken. „Die zu schützenden Vogelarten werden diese Bereiche künftig als Brutplatz meiden,“ sagt Nabu-Vorsitzender Peters.
Seit 2015 hat Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission am Hals, weil viele FFH-Gebiete des Natura-2000-Netzes noch immer nicht ausreichend gesichert sind. Letzte Frist war Ende 2018. Peters: „Der Landkreis Osnabrück reißt auch diese Frist bei Weitem und liefert dann auch noch Murks ab, weil es die Kreisspitze zulässt, dass Interessengruppen der Fachverwaltung ins Handwerk pfuschen!“
Schutz weit unterm Durchschnitt
Hinzu kommt: FFH-Gebiete machen nur knapp 4 Prozent der Landkreisfläche aus – lächerlich wenig, verglichen mit dem Bundesdurchschnitt von 9,3 Prozent.
Dass der Kreistag der Wirtschaftsförderung Vorrang vor dem Umweltschutz einräume, lasse sich „in keiner Weise belegen“, verteidigt sich Landkreissprecher Riepenhoff. Der Umwelt- und Naturschutz liege Politik und Verwaltung „besonders am Herzen“.
Riepenhoff spricht von „reizvollen Landschaften“, von Heil- und Kurorten. Und von Touristen, die wegen der Natur kommen. Wirtschaft und Umweltschutz seien im Landkreis Osnabrück „zwei Seiten einer Medaille“.
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