Jeden Morgen eine Runde durch den Park: Ab wann sagst du Hallo zu Fremden?
Wer joggen geht, sieht immer gleiche morgendliche Parkgruppen. Irgendwann grüßt man sich. Oder lieber nicht? Unsere Kolumnistin sucht eine Antwort.
E s ist wie jedes Jahr im Sommer – plötzlich sind alle weg, außer mir. Die Stadt ist wie ausgeleert, keine Familien, kaum Teenager, außer den Tourist*innen am Hafen natürlich. Und zurück bleiben ich und die Rentner*innen, die vielleicht im Herbst verreisen oder nirgendwo mehr hin. Aus dem Drang heraus, etwas in dieser entvölkerten Stadt anzufangen, habe ich wieder mit dem Laufen begonnen. Es kam daher, dass ich im Fernsehen eine Sendung über den Nutzen von Sport sah. Nicht dass ich von dem Nutzen von Sport noch nichts gehört hätte, aber nun weiß ich: Kranke Mäuse, die in einem Laufrad rumrennen, kommen besser damit zurecht als die, die kein Laufrad benutzen.
Mein Gott, auch ich möchte zu der Gruppe der weniger kranken Mäuse gehören und drehe nun früh im Park meine Runden. Jeden Morgen, bevor ich das Tor passiere, treffe ich auf dieselben Menschen. Ich komme auf sie zu, da krächzt einer, „Moin, Rosi, kannste wieder laufen, oder was!“, Räuspern, Husten, Spucken, sie sind alle noch ganz schrecklich müde, man sieht es ihnen an, aber: „Nützt ja nix. Muss ja.“ Natürlich begrüßen sie nicht mich, sondern eine, die gerade hinter mir mit ihrem Gehwagen angeschlurft kommt.
Just kommt mir der Gedanke, ob auch ich irgendwann anfangen werde, diese Menschen zu grüßen, wie man das eben macht mit Leuten, denen man regelmäßig begegnet, durch die man täglich hindurchjoggt. Natürlich tue ich das nicht, weil ich finde, dass sie zu einer anderen Gruppe gehören als ich. Ich gehöre zu der Gruppe derer, die im Park morgens ihre Runden drehen. Es gibt noch die Gruppe, die ein Baby vor sich geschnallt herumträgt. Es gibt die, die bei der Stadt angestellt ist und die Mülleimer leert. Und es gibt die ganz frühe Tai-Chi-Gruppe.
Das sind im Großen und Ganzen die frühmorgendlichen Parkgruppen, eine Stunde später kommen dann schon die Rentner*innen, die nichts tun, als in der Sonne sitzen; die Erzieher*innen mit ihren Krippenwagen; bald dann schon die Ersten, die eine Decke ausbreiten, und außerhalb gibt es natürlich noch unendlich viele mehr, Millionen, würde ich meinen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Menschen, die sich täglich begegnen
Die Gruppe, die sich morgens vor dem Park trifft, ist eine Gruppe von Süchtigen. Natürlich sind sie mehr als das, es ist nur eine Facette ihrer Persönlichkeit, die, die mir an ihnen sichtbar wird. Sie beachten mich gar nicht, sie sind ganz aufeinander fokussiert, während ich zwischen ihnen hindurchjogge, so als wären nur sie selbst füreinander wichtig, und auch ich versuche ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken, sondern ihren Pulk unsichtbar zu passieren.
Und dennoch denke ich täglich darüber nach, sie eines Tages zu grüßen, als wären wir Menschen, die sich täglich begegnen, die sich auf diese Weise ja auch irgendwie kennen, denn schließlich zeigen wir uns, in diesem kleinen Ausschnitt, auch jeden Tag ein bisschen ein anderes Bild von uns, ein anderes Äußeres, eine andere Stimmung.
Und ich mache mir Gedanken über sie: Warum stehen sie immer hier, vor dem Park, warum treffen sie sich nicht drinnen? Mögen sie sich, sind sie befreundet oder verbindet sie nur ein Interesse? Wie würden sie reagieren, wenn ich plötzlich damit anfinge, sie zu grüßen? Was ist das überhaupt für eine merkwürdige gesellschaftliche Vereinbarung, die uns einander grüßen lässt oder eben nicht?
Ich bin verunsichert und frage mich, woher dieser plötzliche Grüßdrang kommt. Liegt es daran, dass sie auch noch hier sind, mit mir, und nicht auf den Kanaren oder am Comer See?
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