Über Brandenburg in diesem Herbst: Schon wieder die alte Scham

Die deutsche Einheit ist für unsere Autorin – sie stammt aus Brandenburg – ein Geschenk gewesen. Aber jetzt hat sie einen üblen Geschmack bekommen.

Ein Beamter der Bundespolizei steht am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke bei einer Kontrolle gegen die Schleuserkriminalität.

Momentaufnahme in Brandenburg: Frankfurt (Oder), an der Grenze zu Polen Foto: dpa/Patrick Pleul

Die Stadt versinkt im Herbst in sich selbst. Die Leute sind alle zurückgekehrt, aus ihren Urlauben und ihren Gärten, weil die Gärten verrotten und braun werden und weil sie sich langsam wieder nach etwas sehnen, was sich wie Geselligkeit anfühlt. In meinem Umfeld sind Leute plötzlich gestorben und andere schwer krank geworden und das ist nicht einfach auszuhalten. Jeden Morgen sehe ich mir die Instagram-Beiträge der Letzten Generation an und werde rasend.

Aber das nützt niemandem, das bringt uns nicht weiter. Mich bringt es nicht weiter, meinen Roman, die Welt, die Letzte Generation. Die können von meinem Rasen nicht profitieren. Ich spende ihnen also und fühle mich deshalb nicht einen Deut besser. Selbstmitleid ist keine Lösung. Weinerlichkeit und Sentimentalität ist nicht ein bisschen konstruktiv. Ich schenke den Dingen meine Aufmerksamkeit, aber die Dinge können damit nichts anfangen.

Dienstag war der Tag der Deutschen Einheit und das betrifft mich sehr. Ohne die deutsche Einheit wäre ich nicht hier, in diesem Teil des Landes, hätte ich meine Freun­d*in­nen nicht, würde ich diese Kolumne nicht schreiben. Die deutsche Einheit ist für mich ein Geschenk gewesen, aber jetzt hat sie einen üblen Geschmack bekommen, jetzt habe ich schon wieder die alte Scham, wenn ich sage: „Ich komme aus dem Osten.“

Ich wohne nun schon länger im sogenannten Westen als im sogenannten Osten, aber dennoch komme ich für immer da her, aus dem „Osten“, aus Brandenburg, das damals gar nicht Brandenburg hieß, sondern „Bezirk Frankfurt Oder“, und auch ganz andere Grenzen hatte.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Freun­d*in­nen schämen sich

Damals war das auch egal, aber heute heißt das, ich komme aus einem Land, in dem die AfD viele Anhänger hat, und dafür schäme ich mich. Meine brandenburgischen Freun­d*in­nen schämen sich, obwohl sie für die Haltung ihrer Mitmenschen gar nichts können und sehr darunter leiden. Obwohl sich eine große Bitterkeit in ihnen breitmacht, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Heimat noch ihre Heimat nennen können. Und dann kommen wir, die wir im sogenannten Westen wohnen und sagen, „ihr da, in Brandenburg!“

Ich war gerade in Brandenburg, auch dort war sehr es schön und herbstlich, und ich schätze immer noch die Menschen im sogenannten Osten, weil sie ein bisschen mehr so sind wie ich als die Menschen im sogenannten Westen. Das hat was mit einem ähnlichen Aufwachsen zu tun. Es hat anscheinend dieses Aufwachsen bei einigen zu einer rechtsradikalen Einstellung geführt, bei anderen aber nicht.

All diese Dinge, die Toten, die Kranken, die Bitterkeit der Brandenburger*innen, die nicht die AfD wählen, mein morgendliches, nutzloses Rasen ist für mich Teil dieses Herbstes, der dennoch und immer wieder schön ist. Wenn in der Nacht die Eicheln auf die Autodächer knallen, wenn ich am Nachmittag durch die Große Bergstraße laufe, wo vor dem Denns die Leute ganz vertraut mit der Frau schwatzen, die um Spenden für sich selbst bittet, weil sie immer da steht, weil sie zu uns gehört.

Wenn die Kassiererin im Edeka zur anderen Kassiererin sagt, „Gib mir mal zweihundert!“, und die andere Kassiererin reicht ihr einen Packen Geld rüber, und ich sage, „Ich würd auch was nehmen“, und die Kassiererin strahlt mich an, als würde sie mich lieben, und die alte, muslimische Frau hinter mir strahlt mich auf die gleiche Weise an und wir alle strahlen uns an, das ist meine Stadt, das ist mein Herbst, trotz alledem, und ich möchte, in diesem Moment, sie alle beschützen.

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