Jean-Luc Mélenchon in Frankreich: Der Vorteil eines Bulldozers
LFI-Parteichef Mélenchon war nötig, um die französische Linke wiederzubeleben. Nur ein Bulldozer konnte den Rechtspopulisten etwas entgegensetzen.
J ean-Luc Mélenchon ist der Bulldozer, den die französische Linke gebraucht hat, um wieder in die Nähe einer Regierungsmehrheit zu kommen. Nun scheint er sich vorerst zurückgezogen zu haben. Der Vorschlag, Lucie Castets zur Premierministerin zu machen, wirft ein neues Licht auf die Populismusdebatte.
Bei den einen wird über Lerneffekte aus dem sensationellen Erfolg des Nouveau Front Populaire (NFP) in der Stichwahl zum französischen Parlament diskutiert. Dabei wird in links orientierten Kreisen eine Übertragung der Volksfront nach Deutschland gewünscht.
Das ist aber politischer Humbug. Eine irgendwie geartete Kooperation von SPD, Grünen und der Linken käme nicht mal in die Nähe einer stabilen Mehrheit – und zeugt von historischer Unwissenheit. Der Volksfront-Begriff entstammt dem französischen Kampf gegen den Faschismus.
Andere wiederum stoßen sich vor allem an der Person von Jean-Luc Mélenchon. Er wird dabei häufig als (linker) Populist bezeichnet, mit allen pejorativen Untertönen. Ich halte dies für eine unglückliche Beschreibung, ein Blick auf die Positionen des NFP zeigen im Kern eine klassische sozialdemokratische Konzeption. In den Programmen wird ein angemessener Mindestlohn sowie eine Preisdeckelung für Bedarfe des täglichen Lebens gefordert.
Die Rechten in Schach halten
Mélenchons „Ausflüge“ in den Populismus hatten im Sinne der Massenorganisation auch einen wichtigen Effekt. Hinter ihm konnten sich Arbeiter*innen, Arbeitslose und Prekarisierte versammeln, die nicht das reaktionäre Volksideal des Rassemblement National (RN) verfolgen wollten.
Gegen den diskurshegemonialen Populismus brauchte die französische Linke Mélenchon als Bulldozer, um die Rechten in Schach zu halten. Die Linken erkannten: Sie können die Bevölkerung mit ihren Forderungen durchaus erreichen.
Die Ernennung von Lucie Castets als Kandidatin des NFP für den Posten der Premierministerin hat neue Bewegung in die Debatte gebracht. Die parteilose 37-Jährige verfügt über einen beruflichen Hintergrund in der öffentlichen Verwaltung und hat sich vor allem für eine Absenkung des Renteneintrittsalters ausgesprochen.
La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), die Partei Mélenchons, kritisiert sie deshalb für ihre (vermeintliche) Nähe zu Präsident Macron. Die Volksfront dürfte sich also diese Entscheidung mühsam abgerungen haben.
Jedoch könnte Castets trotz ihrer Karriere im Verwaltungswesen (mitunter gedeutet als Nähe zur Pariser Elite) als eine unverbrauchte Kandidatin wahrgenommen werden. Der Erfolg der Rechten kann auch lehren, dass politische Unerfahrenheit sogar ein förderlicher Faktor für die Reputation einer Politikerin darstellen kann.
Paradoxerweise hat Marine Le Pen mitunter eine hohe Popularität in der fünften Republik, weil sie den Élysée-Palast nicht kennt. Castets kann dies ausgleichen und glaubhaft für die Interessen der Arbeiter- und Mittelklasse Frankreichs einstehen.
Weshalb ist es so wichtig, dass Lucie Castets eine „unverbrauchte“ Kandidatin bleibt? Die politische Konzeption einer Großen Koalition, etwa indem man Grüne und Sozialdemokratie (PS) aus dem neu gegründeten Bündnis herauskomplimentiert und mit den Macronist*innen zusammenführt, wäre fatal.
Eine noch so große republikanische Koalition unter Einbeziehung des Macron-Lagers mit ihrer extrem elitären Konzeption des Liberalismus genügt nicht, um dem RN entgegenzutreten. Eine zahnlose Linke unter der Fuchtel Macrons wäre nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulist*innen.
Gegenpopulismus als Erfolgsrezept
Die globalen Krisen, etwa die extrem ungleiche Vermögensverteilung, haben sich unter dem französischen Präsidenten noch verschärft. Sollten die wichtigen Proteste der Sozial-, der Klima- und der Emanzipationsbewegungen keine parlamentarisch unterstützte Selbstwirksamkeit erfahren, dürften harte Jahre auf die Republik zukommen. Eine neue Antwort in Form des Nouveau Front Populaire ist bitter nötig.
Im Nouveau Front Populaire wird, wie der französische Philosoph Étienne Balibar sagt, ein populäres Politikverständnis deutlich. Dieses Politikverständnis zeichne sich „durch die Fähigkeit aus, die Defensive in eine Offensive, die ‚Ablehnung‘ (Wut oder Verzweiflung) in die Affirmation eines Rechts, einer Solidarität und eines Willens zur Veränderung der ‚Welt‘ zu verwandeln“.
Warum kann die Populäre Volksfront als Einzige den RN aufhalten? Sie ist die konsequente Antwort auf den grassierenden (rechten) Populismus. Dieser konstruiert aus Frustration und Ohnmacht eine „gute“ Volksgemeinschaft gegen alle Außenseiter*innen.
Die Populäre Bewegung dagegen ist universell. In ihr gilt es, sich vom Kapital und von Ausbeutungsverhältnissen, von der Enteignung natürlicher Ressourcen und vom fossilen Wirtschaften, von Rassismus und Antisemitismus zu befreien. Sie bildet, so Balibar, einen Gegenpopulismus, indem die Bürger*innen nicht, wie bei den rechten Parteien, an ihren Führern hängen, sondern selbstwirksam, aktiv und kooperativ im Gemeinwesen arbeiten.
Den Rechten die Diskurshoheit entreißen
Die Populäre Bewegung muss noch beweisen, dass unter ihrer Verantwortung sozialistische Praxis als Lebens- und Alltagserfahrung Wirklichkeit werden kann und dass sie kein „Kartell der Linken“ ist. Sollte dies gelingen, wäre die Republik einer besseren und gerechteren Gesellschaft ein entscheidendes Stück näher gekommen. Zu guter Letzt wäre dem Rechtspopulismus die Diskurshoheit entrissen.
Auch in Italien formiert sich der Mitte-links-Block, um gemeinsam gegen das sozialdarwinistische Programm Giorgia Melonis vorzugehen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Akteure in Italien bereits vom Erfolg des NFP in Frankreich gelernt haben. Aus ihrer Ablehnung gegenüber der Regierung Meloni sollten sie eine fortschrittliche Vision entwickeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe