Jazz-Euphorie in Berlin: Mit Ecken und Kannen
Wie beliebt Jazz ist, kann man in der meist proppenvollen Donau115 erleben. Nun denkt man in dem Neuköllner Jazzclub über einen Ausbau nach.
Bei Tageslicht sieht die angesagteste Jazzkneipe Berlins aus wie ein heruntergekommenes Wohnzimmer. Unverputzte Wände, ein stummes Klavier, als Bühne dient ein alter Teppich. Ein Raum wie Neukölln – und doch Jazzhafen für Musiker aus aller Welt. Später werden hier ein dänischer Kontrabassist und ein österreichischer Gitarrist improvisieren. Nicht alle Gäste werden einen Sitzplatz bekommen im Club Donau115 – an einem Mittwoch nach 21 Uhr.
„Das häuft sich in der letzten Zeit“, sagt Lisa Andersohn. Die 29-Jährige hat soeben die beiden Musiker zum Soundcheck hereingelassen. Nun versinkt sie in einer Couch im Nebenraum und erzählt, wie ambivalent sie den eigenen Erfolg sieht: „Als die Donau anfing, kamen manchmal nur sechs, sieben Gäste zu einem Konzert. Dann konnten wir den Musikern so gut wie nichts zahlen. Jetzt ist die Gage meistens okay, dafür müssen wir oft Leute nach Hause schicken.“
Die Donau115 in der Donaustraße hat sich einen Namen gemacht in der Berliner Jazzszene. Authentisch, offen, junges Publikum, viel „good vibes“. So beschreiben es Musiker aus der Szene. Nicht so viele Touristen wie im b-flat. Nicht so etabliert wie das A-Trane. Ein Jazzraum, der auch eine Bar ist – und nicht umgekehrt.
Gut rumgesprochen
In der „Donau“ kostet die Moscow Mule 6,50 Euro, statt festem Eintritt wird eine Kanne herumgereicht, während des Gigs wird nicht gequatscht. Das hat sich auch im Ausland rumgesprochen. Vor gut einem Jahr zählte der Guardian die kleine Donau zu den besten zehn Jazzclubs Europas.
Jetzt steht schon mal ein Tourist am Tresen, dem Google die Donau115 als obersten Treffer für „Jazz“ und „Neukölln“ liefert. Aber auch ohne Touristen sind die 30 Quadratmeter des „Konzertraums“ längst zu eng geworden für das wachsende Stammpublikum, gibt Lisa Andersohn zu. „Wir überlegen, die Wand zum Co-Workingspace rauszunehmen“, sagt sie.
Seitdem die gelernte Sozialwissenschaftlerin die Geschäfte leitet, vermietet die Donau den Raum an Selbstständige unter. So kommt Geld für Andersohns Stelle und die der fünf Barleute rein. Das Kannengeld geht komplett an die Musiker. „Wenn hier mehr reinpassen, kriegen auch die Musiker mehr“, wägt Andersohn ab. Aber mehr Leute hieße möglicherweise auch: andere Stimmung. „Ich habe ein bisschen Angst, dass dann die Donau irgendwann nicht mehr das ist, was sie mal war.“
Andersohn erinnert sich noch gut an die Zeit, in der sie nicht als Geschäftsführerin, sondern als Studentin in die Donau115 ging. „Man konnte einfach zu Konzertbeginn reinschlappen und hat auch als Gruppe immer Platz gehabt. Ich hab hier viele tolle Konzerte gehört.“ Jazz mit orientalischem oder Pop-Einfluss, Freejazz, Akustikjazz, experimenteller Jazz.
Wenn ein Nebenjob in der Gastro, dachte Andersohn, dann hier. Sie hatte Glück und rutschte über den Tresenjob bis ins Management. Heute macht sie Buchhaltung, Bestellungen für die Bar – und sucht die Bands aus. Die drei Gesellschafter, die die Donau115 vor fünf Jahren gründeten, haben für so was keine Zeit mehr. „Einer ist auf Tournee, der andere im Urlaub, der dritte frisch Vater“, lacht Andersohn und streicht durch die kurzen Haare. „Dann kümmere ich mich halt alleine um die Bandanfragen.“ Es sind so viele, dass manchmal Wochen verstreichen, bis Musiker eine Antwort erhalten. „Please be patient“, warnt eine automatisierte E-Mail-Antwort.
Aus dem Konzertwohnzimmer schnurren erste Warmup-Bassläufe. Wann das Duo seine Konzertanfrage gestellt hat? Andersohn muss raten: „So vor drei Monaten …?“
Mathias Ruppnig
Ein Musiker, der das noch anders erlebt hat, ist Mathias Ruppnig. „Früher war es definitiv leichter, einen Gig zu kriegen“, sagt der Schlagzeuger, der vor vier Jahren zum ersten Mal in der Donau gespielt hat, als er frisch aus Graz nach Berlin gezogen war. „Damals wollten alle Berliner Bands hier spielen, heute kommen Anfragen aus aller Welt.“ Wer da keinen Anknüpfungspunkt hat, hat eher geringe Chancen.
Wie ein Wohnzimmer
Heute gehört Ruppnig zum festen Kreis von 20 bis 30 Musikern, die regelmäßig in der Donau auftreten. „Mindestens einmal im Monat“, sagt Ruppnig am Telefon. Und schiebt hinterher: „Aber immer in neuer Besetzung.“ Heute am Samstag ist es wieder so weit. Dann spielt der Österreicher in einem Trio mit Piano und Kontrabass. „Donau Conversations“ heißt die Reihe, in der Ruppnig Monat für Monat neue Musiker vorstellt.
Donau115, Donaustr. 115. Nächstes Konzert „Donau Conversations“ mit Ludwig Hornung, Tom Berkmann und Mathias Ruppnig am 6. Mai, 20.30 Uhr. Info: donau115.de
„Für mich ist die Donau ein Wohnzimmer, da kann ich mich ausprobieren.“ Was der 30-Jährige neben der Stimmung am meisten schätzt: „Der Respekt gegenüber den Musikern. Vonseiten der Betreiber und vom Publikum. Das ist wirklich einmalig.“ Dass sich die Stimmung mit dem Umbau ändern würde, glaubt er nicht: „So viel größer wird es ja nicht.“ Wichtig sei, dass sich die Donau endlich bei den Betreibern mal finanziell auszahle. „Es kann nur besser werden.“
So ähnlich formuliert es auch Lisa Andersohn. „Der Getränkeverkauf an der Bar ist ein Minusgeschäft. Da sind die staatlichen Fördergelder schon eine riesige Beruhigung.“ Zwei Mal ist die Donau115 bereits mit dem Spielstättenprogrammpreis der Initiative Musik der Bundesregierung ausgezeichnet worden. Von den ersten 15.000 Euro hat der Club Stühle gekauft, die alte Fensterfront gegen eine neue schalldämmende austauschen lassen, außerdem erstmals ein Schild mit dem Clubnamen über dem Eingang angebracht. Und das Klavier stimmen lassen. Die 25.000 Euro der zweiten Auszeichnung sollen in die Umbaumaßnahmen fließen.
Dabei geht es auch um die Nachbarn. „Vier mal die Woche Livemusik ist schon ganz schön hart für die Nachbarn, deswegen wollen wir die Donau115 besser schallisolieren“, sagt Andersohn. Bis Ende des Jahres soll es damit losgehen.
Die Stammmusiker wie Ruppnig unterstützen sie dabei. Im Februar haben sie sich alle, die konnten, im Club getroffen, um über die Umbaupläne zu sprechen. „Es gab auch Bedenken wegen der Stimmung“, erinnert sich Andersohn, „aber gleichzeitig haben wir vollen Rückhalt gespürt: Egal was ihr macht, wir halten zu euch.“
Und das, obwohl die Donau115 sich für Musiker umgekehrt auch nicht unbedingt lohnt. „500 Euro war mit Abstand Rekord in der Kanne“, sagt Andersohn. Über die Konzertabende führt sie Liste: Wie die Musiker zur Donau passen, wie viele Leute gekommen sind, wie gut die Einnahmen waren. „Wenn alles passt, vermerke ich hinter dem Musiker ’ne Eins“, sagt Andersohn. Damit hat man bei einer neuen Konzertanfrage ziemlich gute Chancen.
Das kennt Lisa Andersohn auch aus der Künstlerperspektive. Bevor sie Geschäftsführerin wurde, sang sie in der Donau einmal Brechtlieder, ein Pianist begleitete sie. Sie erhielt eine „Eins“. Im Mai gibt sie ihr zweites Konzert. Einer der Betreiber hat sie darum gebeten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr