Japanischer Schüler in China angegriffen: Chinas nationalistische Geister
Der Messerangriff auf einen japanischen Schüler in China zeigt tragisch, wie das dortige nationalistische Klima zunehmend zu Gewalt führt.
„Ich habe die chinesische Seite erneut aufgefordert, um für die Sicherheit der japanischen Staatsangehörigen zu sorgen“, sagte Japans Botschafter Kenji Kanasugi vor der Presse in Peking. Schon zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Im Juni griff ein Mann im ostchinesischen Suzhou einen japanischen Schüler und seine Mutter an einer Bushaltestelle an. Dass der Junge überlebte, war nur dem Eingreifen einer chinesischen Busfahrerin zu verdanken, die dabei aber selbst ums Leben kam.
Historisch ist die Beziehung zwischen Japan und China extrem vorbelastet. In den 1930ern nahmen Japans Truppen Teile des chinesischen Festlands ein, installierten in der nordöstlichen Mandschurei einen Marionettenstaat und verübten fürchterliche Kriegsverbrechen.
Bis heute werden die Traumata jener Zeit in China öffentlich wachgehalten: Täglich zeigt das Staatsfernsehen historische Seifenopern, in denen die Bösewichter stets Japaner sind. Antijapanische Hassreden sind in den sozialen Medien wie bei Gesprächen in Restaurants üblich.
Gewalt führt zur Verunsicherung
Dass die historischen Animositäten aber in rohe Gewalt umschlagen, hat in den letzten Monaten zu tiefer Verunsicherung unter Japanern in China geführt. „Spätabends lüge ich im Taxi meist, wenn mich der Fahrer nach meiner Herkunft fragt – einfach, um unangenehme Situationen zu vermeiden“, sagt etwa ein japanischer Journalist in Peking.
Insbesondere japanische Schulen im Reich der Mitte ergreifen nun rigide Vorsichtsmaßnahmen: In Peking hat eine Schule allen Eltern geraten, in der Öffentlichkeit nicht mehr laut Japanisch zu sprechen. In Guangzhou ruft die Schule sogar dazu auf, nur noch das Haus zu verlassen, wenn es wirklich notwendig ist.
„Tatsächlich gibt es einen Weg, wie Chinas Regierung die antijapanische Stimmung beenden könnte“, meint der Journalist Wang Zhian, der nach Jahrzehnten bei Chinas Staatsfernsehen mittlerweile im Exil in Japan lebt. „Zuerst müsste der Premier Japan besuchen, gefolgt von Xi Jinping. Dann wird die antijapanische Stimmung in der Bevölkerung sicherlich verschwinden“, schreibt Wang auf X. Die Bevölkerung wisse, dass die Regierung Japan hasst, also hassten sie es auch.
Unter der Führrung von Xi Jinping wurde ein gesellschaftliches Klima kreiert, in dem der Nationalismus effektiv gedeihen konnte. Ausländer werden in Medien oft als potenzielle Spione charakterisiert und westlichen Regierungen wird unterstellt, dass sie vor allem Chinas Aufstieg unterbinden wollten.
Das Ausland ist der Südenbock
Größte Feindbilder sind stets Japan und die USA. Bürger beider Länder wurden in den letzten Monaten Opfer von Hassangriffen.
Chinas Regierung nutzt das Ausland als Sündenbock, um von eigenen wirtschaftlichen Problemen abzulenken und um die eigene Macht zu legitimieren. Dabei weiß Peking, dass die nationalistischen Geister, die man rief, den nationalen Interessen schaden können.
Denn sollten sich Ausländer nicht mehr sicher in China fühlen, stünde das nicht nur Pekings globaler Charmeoffensive im Weg, sondern verschlechtert auch weiter das angeschlagene Investitionsklima.
So versucht die Regierung, das Thema kleinzuhalten. „Es handelt sich um einen Einzelfall“, sagte Außenamtssprecher Lin Jian am Donnerstag zu dem Messerangriff in Shenzhen.
Auch Stunden nach der Meldung über den Tod des japanischen Schülers haben die Medien über den Tod nicht berichtet – und wohl nicht berichten dürfen. Womöglich fürchtet die Regierung Nachahmer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen