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Jakobsweg und das CoronavirusPilgersaison ohne Pilger

2019 liefen 350.000 Menschen den Jakobsweg, nun ist er wie ausgestorben. Bis sich die Grenzen wieder öffnen lohnt es sich, in Deutschland zu pilgern.

Still und wie ausgestorben – der spanische Jakobsweg Foto: Andreas Drouve

Die Zeit ist erstarrt, wie eingefroren. Noch immer steht der Stempel, den sich Jakobspilger an der Kathedrale von Pamplona in ihr Ausweisheft drücken können, auf dem 14. März. Seither ist kein Wanderer, kein Radler mehr eingetroffen. Schwarzmaler hatten geätzt, der Jakobsweg werde durch den Dauerboom irgendwann an seinem eigenen Erfolg zerbrechen.

Doch die berühmteste Pilgerstrecke der Welt blieb ein Selbstläufer, den nichts aufhalten konnte. Das hat die Coronapandemie geschafft. Derzeit herrscht Geisterstimmung. In den Herbergen sind seit zwei Monaten die Fensterläden dicht, die Türgitter zu, die Gardinen vorgezogen. Zumindest bis auf Weiteres. Was die Frage aufwirft: Wann feiert der Jakobsweg Wiederauferstehung – und wie?

Eigentlich markiert der Frühling den Auftakt zur großen Pilgersaison nach Santiago de Compostela, wo – so die Legende – die Reste des Apostels Jakobus begraben liegen. Eigentlich fluten dann gewaltige Besucherströme in den Nordwestwinkel Spaniens, aus Glaubens-, Sport- oder Selbstfindungsgründen.

So wie im Vorjahr, als das Wallfahrtsbüro von Santiago im Mai 46.673 und im Juni 49.058 Urkunden an jene ausgab, die per Stempelfolgen im Ausweisheft nachweisen konnten, mindestens die letzten 100 Kilometer bis zur Apostelstadt marschiert oder die letzten 200 Kilometer geradelt zu sein. Letztlich nahmen im Jahr 2019 insgesamt 347.578 Ankömmlinge ihr Diplom in Empfang. Das waren so viele wie niemals zuvor.

Totaleinbruch für Herbergen

Dass der Höhen- zum Sturzflug in den Totaleinbruch geriet, hat die Betreiber privater Pilgerherbergen ins Mark getroffen. Nachdem Spaniens Regierung einen Stufenplan der Lockerungsmaßnahmen hin zu „einer neuen Normalität“ vorgelegt hat, sehen die Wirte jedoch einen Lichtstreif in der Finsternis. Nach dem 22. Juni fallen die Schranken für den Binnenverkehr über die Provinzgrenzen hinweg. Das macht Enrique Valentín Mut.

Er betreibt am Routenklassiker von den Pyrenäen nach Santiago in der Rioja im Dorf Ventosa die Herberge San Saturnino und ist gleichzeitig Vorsitzender des Herbergsnetzwerks am Jakobsweg. Wie viele seiner Kollegen will auch Valentín „bis Ende Juni“ wieder öffnen, wohl wissend, dass dann „erst einmal nur Pilger aus Barcelona, Madrid oder Valencia“ kommen.

Wann sich die Schleusen für internationale Pilgerströme öffnen, hängt von den Grenzregelungen und der Wiederaufnahme von Flugverbindungen ab. Valentín hofft „auf den Sommer.“ Bislang sieht es auf den Flughäfen so gespenstisch aus wie auf dem Jakobsweg. Zwischen Deutschland und Spanien gibt es momentan nur Notverbindungen.

Augusto Castiñeira Paredes, der mit seiner Partnerin Aranzazu Imaz in Santiago de Compostela die Albergue Acuario führt, eine von knapp zwei Dutzend Herbergen in der Stadt, rechnet mit Pilgerankünften „in der zweiten Augusthälfte, September, Oktober“. Danach sei die Hauptsaison ohnehin vorbei. Diese zweieinhalb Monate im Spätsommer und Herbst könnten zumindest helfen, „ein paar Löcher zu stopfen“.

Im Freien sind dem Pilgern keine Grenzen esetzt

Hildegard Becker-Janson, Jakobusgesellschaft

Deutsche Jakobspilger dürften in naher Zukunft zunächst die Wege in der Heimat angehen. Die Jakobusvereinigungen stellen seit Kurzem „wieder Pilgerpässe aus“, wie Norbert Wallrath von den Santiago-Freunden Köln berichtet. Die Deutsche Jakobusgesellschaft mit Sitz in Aachen registriert minimale Bewegungen bei den Nachfragen nach Pilgerausweisen. In normalen Zeiten gehen „manchmal 100 Anträge pro Tag“ ein, momentan seien es „etwa zehn pro Woche“, hört man aus dem Sekretariat.

Hildegard Becker-Janson vom Vorstand der St. Jakobusgesellschaft Rheinland-Pfalz/Saarland bekräftigt, welch „tolle Wege“ es in Deutschland gibt. Halte man Hygiene- und Abstandsregeln ein, sieht sie „kein Problem“, mit dem Partner „oder auch in kleinen Gruppen“ loszuziehen. Im Freien sei dem Pilgern „keine Grenzen gesetzt, das tut der Schönheit, den Erlebnissen keinen Abbruch“. Richtung Spanien könne es „vielleicht im Sommer“ wieder losgehen, wobei sie damit rechnet, dass Herbergen dann „wohl nur mit Voranmeldung“ operieren.

Die Wiedereröffnung der Herbergen nach altem Muster sieht Wirt Castiñeira Paredes „mit Skepsis“. Alles spielt sich auf engem Raum ab: in Schlafsälen, Gemeinschaftszimmern, geteilten Sanitäranlagen, Aufenthaltsbereichen, Küchen. Das Miteinander macht den Geist der Pilgerbewegung aus, und gerade das ist nun problematisch. „Wie soll man den einen vom andern isolieren, überall die Abstände wahren?“, fragt Castiñeira Paredes. Abgesehen davon sei mit „erheblichen Zusatzkosten für die tägliche Desinfektion“ zu rechnen. Das auf die Gäste umzulegen und in den Privatherbergen die moderaten Übernachtungspreise anzuheben, sei „das falsche Signal in solch schwierigen Zeiten“, betont der Herbergswirt.

Pilgern gegen das Elend

Enrique Valentín will seinen Preis von 11 Euro „auf jeden Fall“ halten, obgleich er die 40 Plätze in seiner Herberge zunächst um ein Drittel reduziert. Über ein neues Regelwerk stehe das Herbergsnetzwerk „derzeit in Verhandlungen“ mit Verantwortlichen der Regierung. Es zeichne sich ab, dass man künftig in den Gemeinschaftszonen „Schutzhandschuhe und Masken tragen“ müsse.

taz am wochenende

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Werden die Pilger der Zukunft andere sein? Castiñeira Paredes ist sich sicher, dass die Intensität der Gefühle steigt: „Es wird Zustrom geben von Menschen, die so lange gelitten haben. Katastrophen aller Art haben irgendetwas, das dich stärker, mutiger macht. Aber auch demütiger. Mehr Pilger kommen sicher mit einem Gelübde.“ Und er bekräftigt: „Nach all diesem Leiden gibt es nichts Besseres, als den Jakobsweg zu gehen.“

„Wir von den Santiago-Freunden Köln sagen immer: Der Tourist verlangt, der Pilger nimmt hin“, so Norbert Wallrath aus dem Leitungsteam. Insofern müssen Pilger diese „Durststrecke“ verkraften. Auch Wallrath wollte sich jetzt im Frühjahr zum vierten Mal auf den Weg nach Santiago de Compostela begeben. Das musste er absagen. Nun hofft er auf 2021, wenn ein heiliges Jakobusjahr ansteht, in dem stets besonders viele Pilger „dann mal weg“ sind nach Santiago de Compostela.

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1 Kommentar

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    "Der Tourist verlangt, der Pilger nimmt hin."

    Diese Aussage möchte ich so NICHT hinnehmen - auch wenn ich nichts verlange. Jenseits von Talkshow-Plattitüden zeigt sich Realität häufiger weniger schablonenhaft.

    Deutschland ist ein Land, in dem viele Menschen vieles hinnehmen. Gleichwohl ist es auch ein Land, in dem Viele vieles verlangen.

    Es lohnt sich sicherlich eine tiefergehende Betrachtungsweise als dieses Motto, das allenfalls für das "Phrasen-Schwein" taugt.

    Sonntag ist dafür sicherlich der passende Tag.