Jahrestag des Srebrenica-Massakers: Gedenken an die „Hölle auf Erden“
Über 8.000 Jungen und Männer wurden am 11. Juli 1995 von Serben im bosnischen Srebrenica abgeschlachtet. Von Aufarbeitung kann keine Rede sein.
Die Hitze von weit über 30 Grad, der Durst, der ständige Beschuss durch serbische Maschinengewehre sowie die furchtbare Sorge um die Mutter, den Vater, den Bruder, die Freunde und vor allem um die im UN-Lager geblieben Frauen und Kinder: All dies wurde von den Überlebenden später als „Hölle auf Erden“ bezeichnet.
Dass die serbischen Soldaten sich noch einen Spaß daraus machten, eine regelrechte Treibjagd auf die unbewaffneten Fliehenden zu veranstalten, ist durch Augenzeugen sowie serbische Filmaufnahmen (des Militärs) belegt.
„Ich konnte mein Leid nicht einmal herausschreien, die Verfolger waren uns zu nah“, berichtete kürzlich ein Überlebender, der auch dieses Jahr wieder an dem jährlichen Gedenkmarsch teilnehmen will, der vor Jahren noch von Tuzla aus nach Srebrenica führte. Die Veteranen sind älter geworden, viele sind inzwischen gestorben.
Identität verschleiern
Jetzt ist der Weg kürzer. Seit Dienstag sind 2.000 Menschen unterwegs, um dem Leiden der Verfolgten und der über 8.000 Ermordeten zu gedenken. Auch die Reihen der trauernden Mütter von Srebrenica lichten sich. Es werden auch nicht mehr so viele Leichen gefunden, nur 14 werden dieses Jahr begraben. Über 6.700 Grabsteine zählt man auf dem Gräberfeld.
Die Gelder für weitere Nachforschungen sind zwar nicht versiegt, es ist aber mühsamer geworden, weitere Knochen zu bergen. Serbische Behörden hatten vor 29 Jahren versucht, die Spuren zu verwischen und die Massengräber nochmals geöffnet, die Leichenteile herausgeholt und woanders begraben. Die Identität der Toten sollte unbekannt bleiben, ja sie sollten als serbisch ausgegeben werden. Doch in Tuzla nach dem Krieg entwickelte DNA-Analysen vereitelten diesen Versuch.
Vollständiges Leugnen ist nicht mehr möglich. Serbische Politiker, wie der Präsident des serbisch dominierten Landesteils in Bosnien Milorad Dodik oder der Präsident Serbiens Alexandar Vučić, schwanken zwischen Leugnung und Teilwahrheiten. Angesichts der Beweise betrauerte Dodik am Donnerstag angeblich die Opfer des Verbrechens, wies aber gleichzeitig auf die serbischen Opfer in der Region hin. Ihnen hat man in Kravica ein Denkmal gebaut. Unerwähnt bleibt, dass viele dieser Toten lokale serbische Soldaten waren, die in Kroatien gekämpft hatten.
Als Deutschland und Ruanda im Mai 2024 eine Resolution in die UN-Vollversammlung einbrachten, die zum Ziele hatte, den Genozid in Srebrenica als weltweiten Gedenktag einzuführen, war die Bestürzung in der nationalistischen serbischen Führung groß. Dodik verurteilte die Annahme der Resolution scharf. Ausgerechnet in Srebrenica erklärte er, dass es „keinen Völkermord gegeben hat“.
Schwelender Konflikt
Zudem freute er sich: Staaten wie China, Russland und Indien hätten die Resolution nicht unterstützt, der Westen habe „keine Mehrheit“. Der Plan, den Serben Völkermord und moralische Disqualifikation aufzuerlegen, sei gescheitert. Aber erst einmal blieb UN-Generalversammlung bei ihrer Linie: Sie bezeichnete das Massaker von Srebrenica als „dunkelstes Kapitel“ des Bosnienkriegs und als „größtes Massaker in Europa nach dem Holocaust“. Bei einer Zeremonie in New York will sie der Getöteten am Jahrestag gedenken.
Doch der Konflikt schwelt weiter. Am vergangenen Sonntag geriet ein Aufmarsch serbischer Militärkadetten im bosnischen-serbischen Prijedor im Rahmen eines Weltkriegsgedenkens zu einer Provokation. Das autokratische Regime in der Republika Srpska jedenfalls manipuliert mit Lügen und Propaganda: Dagegen demonstrierten serbische Oppositionelle am Donnerstag für die Anerkennung des Genozids. Sie fürchten eine weitere Stärkung der Achse Wladimir Putin, Viktor Orbán und Alexandar Vučić.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!