Jahrestag der Revolution in Tunesien: Jeder feiert für sich

Die schwerbewaffnete Polizei trennt in der Hauptstadt Tunis Säkulare und Islamisten voneinander. Nur eins haben sie gemein: die Nationalhymne.

Mit Füßen getreten: Teppich mit dem Bild des gestürzten tunesischen Diktators Ben Ali. Bild: ap

TUNIS taz | „Sie zementieren die Spaltung Tunesiens“, sagt ein an die Absperrung gelehnter Mann und schüttelt den Kopf. Der Mittelstreifen der Avenue Bourguiba, die Hauptstraße von Tunis, ist mit Polzeigittern eingezäunt. Alle paar hundert Meter steht eine Hundertschaft Polizei mit Schilder, Helmen, Schlagstöcken, Tränengasgewehren und Maschinenpistolen. Die Seitenstraßen sind von Polizisten besetzt. Ein Hubschrauber kreist ständig über dem Stadtzentrum.

„Sie trennen die säkularen Parteien von den Islamisten“, erklärt der Mann, was er mit seiner Bemerkung meint. Noch im vergangenen Jahr gab es auf dem Fest amJahrestag des 14. Januar 2011, als die Tunesier Diktator Zine El Abidine Ben Ali aus dem Amt jagten, zahlreiche kulturelle Veranstaltungen. Künstler stellten aus. Musiker spielten.

Nicht so in diesem Jahr. Auf der einen Seite des Boulevards demonstrieren Gewerkschafter und linke Parteien. Sie verlangen eine säkulare Republik und die Aufklärung der radikalen Islamisten zugeschriebenen Morde an zwei Linkspolitikern, die das Land in eine schwere politische Krise stürzten.

Religiöse Gesänge und fromme Werte auf der Seite von Ennahda

Die andere Seite gehört den Anhängern der islamistischen Partei Ennahda, die erst vor wenigen Tagen auf Druck der Opposition die Regierung dem Unabhängigen Mehdi Jomaa überließ, damit dieser ein Technokratenkabinett ernennt. Außerdem hat die Liga zum Schutz der Revolution - eine radikale Islamistentruppe mit Milizcharakter - eine Lautsprecheranlage aufgebaut. Zwischen religiösen Gesängen ist von Erneuerung und frommen Werten sowie vom Kampf gegen alte Seilschaften die Rede. Nur eines haben beide gemein: Die Nationalhymne, die sie immer wieder anstimmen.

Überall promenieren Familien mit tunesischen Fähnchen und unterschiedlichen Parteiemblemen. Ungeachtet der vom Innenministerium verordneten Aufteilung in zwei Lager, vermischen sie sich, Popkorn und Gebäck essend.

Seit Tagen streiken Müllabfuhr und Straßenreinigung

Die Revolution riecht nicht nach Jasmin. Es stinkt verwest und verbrannt. Seit Tagen streikt die Müllabfuhr und die Straßenreinigung in Tunis. Überall türmen sich Müllsäcke und zeugen von einem der vielen sozialen Konflikten, die dieser Tage das Land erschüttern. Überall in den Provinzen und selbst in Vororten von Tunis kommt es immer wieder zu teils gewalttätigen Protesten. Auslöser war die Erhöhung der KFZ-Steuer für Landwirte und Sammeltaxen. Diese wurden zwar zurückgenommen, aber die Proteste gehen weiter. In der Banlieue von Tunis kam es gar zu einem Toten.

„Es hat sich nicht geändert, wir stecken ganz tief in der Scheiße“, beschwert sich Badr Sassi. Der 28-jährige arbeitslose Religionslehrer und „dennoch Kommunist“ - so seine stolze Selbstdefinition – läuft durch die Menschenmenge. In der einen Hand hält er ein Baguette, in der anderen eine Münze. „Fehlende Arbeit und Korruption“, will er damit zum Ausdruck bringen. Er ist von allen Parteien enttäuscht.

Klagen über die zunehmende Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen

„Wenn das sich nicht ändert, wird es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kommen“, mischt sich sein Kumpel Ali Hakib, ebenfalls 28, ein arbeitsloser Topograf, ein. Die beiden schimpfen über die ständig zunehmende Arbeitslosigkeit und steigende Preise. „Wir haben hier keine Zukunft“, sind sie sich sicher. Sie haben sich der säkularen Demonstration, die wie am 14. Januar 2011 vom Sitz der Gewerkschaft UGTT aus loszog, angeschlossen.

Ein dritter Zug kommt aus der Gegenrichtung. Es sind die Angehörigen der „Märtyrer der Revolution“. „Mein Bruder Hassan wurde von der Polizei zwei Tage vor dem Sturz Ben Alis erschossen, und bis heute kam es zu keinen Gerichtsverfahren“, erklärt Fathia Arfaoui, warum sie aus der Bergarbeiterregion Gafsa im Süden angereist ist.

Auch die Angehörigen der Opfer der Revolution demonstrieren

112 Familien der insgesamt 317 Todesopfer sind nach Tunis gekommen. „Nur fünf Verfahren wurden bisher abgeschlossen und die Schuldigen verurteilt“, beschwert sich der Opferanwalt Charfedinne El Kellil. Selbst die Entschädigung von umgerechnet 10.000 Euro wurden bisher an die betroffenen Familien nicht ausgezahlt.

„Das Gericht hält sie zurück, bis zum Ende der Verfahren“, erklärt er. Das Militärgericht führt die Ermittlungen, da die mutmaßlichen Täter Polizisten sind. Und die haben es nicht eilig. „Wenn wir hier kein Recht bekommen, werden wir vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ziehen“, sagt der Anwalt. Um ihn herum rufen die Demonstranten „Gegen die Vergessenheit!“. Dabei ist die Revolution erst drei Jahre her.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.