Jahresbericht für 2016: Verfassungsschutz zählt nach
Der Bericht sieht fast durchweg mehr Extremisten. Der Innensenator warnt vor IS-Rückkehrern und will die Polizei in der Rigaer Straße präsent halten.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) und der Berliner Verfassungsschutz gehen davon aus, dass aus Mossul verdrängte IS-Kämpfer aus Europa auch nach Berlin kommen könnten. 110 waren aus Berlin in die Kampfgebiete im Irak und in Syrien gereist. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für 2016 am Dienstag sagte Geisel, Berlin sei „wie ein Brennglas“, was den Extremismus angehe. Nicht einzuschätzen sei für den Verfassungsschutz, wie sich die Ereignisse beim G20-Gipfel in Hamburg auf die linksextreme Szene auswirken. Geisel stellte fest, dass der langjährige Szenekonsens „Keine Gewalt gegen Personen“ gefährdet scheine.
Dem Bereich des Islamismus/Salafismus ordnet der Verfassungsschutz für das vergangene Jahr 840 Personen zu, 380 davon gewaltbereit. In den ersten Monaten dieses Jahres sei die Zahl auf 880 angewachsen, aktualisierte Berlins Verfassungsschutzchef Bernd Palenda. Anders als in anderen Bundesländern bilden er und seine Mitarbeiter keine eigenständige Behörde, sondern eine Abteilung der Senatsinnenverwaltung.
Die linksextremistische Szene ist nach Geisels Zahlen leicht gewachsen und umfasst 2.790 Personen, von denen 970 gewaltbereit sein sollen. Für das Wachstum soll vorrangig der Verein „Rote Hilfe“ verantwortlich sein, dem es laut Geisel „beständig gelingt, neue Mitglieder zu rekrutieren“. Bei den Rechtsextremen ist der Anteil der Gewaltbereiten laut Palenda höher: 700 von insgesamt 1.450 schätzt der Verfassungsschutz so ein. Eine eigene extremistische Kategorie bilden die „Reichsbürger“, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennen: Ihre Zahl ist von 100 auf 400 gestiegen, die durchweg beobachtet werden, auch wenn sie nicht als rechtsextrem oder gewaltbereit eingestuft sein sollten.
Beim Linksextremismus hat der G20-Gipfel laut Geisel zwischenzeitlich zersplitterte Gruppen wieder zusammen gebracht. Die Ausschreitungen werden Palenda zufolge in der Szene als „Triumph“ gefeiert, dort aber noch ausgewertet. „Wir können derzeit keine Tendenzen sehen, dass sich daraus für Berlin etwas ableiten lässt“, sagte der Verfassungsschutzchef.
Angesprochen auf die Konflikte in der Rigaer Straße kündigte der Innensenator an, die seit vier Wochen währende Polizeipräsenz – nach seinen Angaben sind dort nachts 20 Bereitschaftspolizisten – aufrecht zu halten. „Sie haben schon Recht, Ruhe kehrt dort nicht ein“, räumte Geisel ein, als ihm eine Journalistin vor hielt, die Lage nicht im Griff zu haben. Er setzt darauf, dass im Herbst ein Gerichtsurteil die Räumung des Szenetreffs „Kadterschmiede“ im Innenhof der Rigaer Straße 94 ermöglichen wird. „Die Räumung könnte ein großer Schritt voran sein“, sagte Geisel.
Für eine Dialogveranstaltung mit den Anwohnern erwartet Geisel für die nächsten Tage eine Einladung von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Auch wenn dabei die Stadtentwicklung im Vordergrund steht, will Geisel dafür zur Verfügung stehen – mit einer Einschränkung: „Wenn ich nicht mit Gewaltttätern am Tisch sitze“. Mit denen sei Dialog nicht möglich „und von denen auch gar nicht gewollt“.
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