Virginia Cowles „Looking for Trouble“: Auf beiden Seiten gekämpft

Reporterin Virginia Cowles erlebte die Verdüsterung Europas in den 1930er Jahren. Ihre brillanten Porträts und Analysen erscheinen erstaunlich aktuell.

Schwarzweiß Foto aus dem Jahr 1941 einer mittelalten Frau in Kostüm mit Hut vor einem Mikrofon

Virginia Cowles, 1941, be­wegte sich als Kriegs­reporterin in einem sonst von Männern dominierten Feld Foto: CBS Photo Archive/getty images

Virginia Cowles war überall dort, wo es im Europa der 1930er Jahre brannte und krachte, wo die Faschisten im Marschschritt auf Freiheit und Demokratie ­herumtrampelten und die Chefdiplomaten der großen Nationen verzweifelt bis hilflos den Manövern Hitlers und Stalins zuschauen mussten.

Bereits 1936 reiste die ehemalige Glamour-Reporterin aus den USA nach Europa – in High Heels und Pelzmantel und gerade mal 26 Jahre alt –, um für die Times und diverse Radiostationen aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu berichten. Dabei traf sie auf später so berühmte Kollegen wie Ernest Hemingway oder Martha Gellhorn.

Cowles erlebte den deutschen Einmarsch in Polen hautnah mit, die Besatzung Frankreichs durch Hitler-Deutschland und die Fliegerangriffe auf London, sie war in Berlin, Moskau und Rom, traf Präsidenten und Diktatoren zum Tee und Soldaten an der Front. Ende 1939 war sie unter abenteuerlichen Umständen nach Finnland aufgebrochen. Die Sowjetunion hatte Finnland angegriffen, aber der „Winterkrieg“ lief nicht ganz so, wie es sich die Feldherren in ihrer warmen Stube erwartet ­hatten.

Unweigerlich fühlt man sich bei Cowles’ Bericht an die Gegenwart erinnert: „Aus militärischer Sicht wird der russische Angriff als einer der bizarrsten Feldzüge der Geschichte betrachtet werden. […] Tausende russische Soldaten wurden in die finnische Wildnis geschickt, wo sie von ihren Stützpunkten isoliert waren und von den Wäldern verschluckt wurden. Diese außergewöhnliche Dummheit ist kaum zu begreifen. Die einzige Erklärung ist, dass Russland auf einen Blitzkrieg gesetzt hatte.“

Verteidigung der Freiheit gegen Hitler und Stalin

Ein paar Monate später zog sich Cowles zu britischen Freunden aufs Land zurück, um in kürzester Zeit ihre Erlebnisse in einem Buch festzuhalten – 600 Seiten, die vor allem eines erreichen sollten: die zögerlichen, dem Isolationismus zuneigenden Vereinigten Staaten aufzuwecken, den Verantwortlichen zu zeigen, dass es nicht nur um Europa ging, sondern um die Verteidigung der Freiheit auf der ganzen Welt – gegen den Hitler-Faschismus und den Stalin’schen Terror. Ihr Plädoyer war nicht ohne Pathos: „Mit verzweifelter Überzeugung sage ich: Besinnen wir uns auf die Mannhaftigkeit unserer Vorfahren und stehen wir auf, ehe es zu spät ist.“

Virginia Cowles: „Looking for Trouble“. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. DuMont, Köln 2022, 638 Seiten, 28 Euro

Ganz pathosfrei dagegen sind ihre Erzählungen aus den verschiedenen Krisengebieten der Zeit. Ausgestattet mit reichlich Mut, Neugierde, Aufklärungswillen und einem Notizbuch bereist sie immer beide Seiten der Front, scheut dabei kein Risiko und lässt sich auch vom chauvinistischen Gebaren der Presseoffiziere in ihrem journalistischen Eifer nicht bremsen.

Dass dieses 80 Jahre alte Werk, das seinerzeit in den USA große Aufmerksamkeit erregte, gerade jetzt wiederaufgelegt wird, kann niemanden verwundern: Virginia Cowles beschreibt in „Looking for Trouble“ ein Europa im Um- und Zusammenbruch, eine Zeit der Herausforderung, unfassbare Angriffe auf die Demokratie und das Völkerrecht.

Wiederkehr rechter und antidemokratischer Kräfte

Vieles, was sie aus den 30er Jahren berichtet, kehrt auf erschreckende Weise in unseren Tagen wieder: die Uneinigkeit der Großmächte bei der Zurückweisung von Aggressoren, die schleichende Unterminierung freiheitlicher Rechte, das Erstarken antidemokratischer Kräfte. Das Buch ist aber nicht nur in dieser Hinsicht sowie aus historischer Perspektive interessant. Es ist zudem hervorragend, spannend und hellsichtig geschrieben: Cowles ist eine bemerkenswerte Erzählerin. Obwohl mittendrin im Geschehen, versucht sie den Überblick zu behalten – und zugleich die Beschränkungen ihres Blicks mitzureflektieren.

Skizzenhaft, aber sehr prägnant zeichnet sie Porträts ihrer Zeitgenossen – von Reporterkollegen über Winston Churchill bis zu Benito Mussolini. Sie hat die beeindruckende Fähigkeit, wichtige Szenen packend und plastisch zu schildern. Cowles berichtet vom Horror auf den Schlachtfeldern, hat aber zugleich ein Auge für die Absurditäten im Hinterland.

Manche Passagen glänzen durch einen fast britischen Humor, und ihre Analysen sind scharfsinnig und pointiert. Das Buch besitzt natürlich auch eine emanzipatorische Dimension: Cowles bewegte sich unter den meist männlichen Kriegsreportern mit der größten Selbstverständlichkeit. Sie nahm sich einfach heraus, was Frauen seinerzeit kaum zugestanden wurde. Auf jeden Fall muss man sie – spätestens nach dieser Wiederentdeckung – in einem Atemzug mit ihren berühmten Kolleginnen Martha Gellhorn und Lee Miller nennen.

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